"Die Formulierung, die Stonewall-Unruhen waren von homosexuellen Männern ausgelöst worden, ist irreführend: Es war mindestens eine Lesbe anwesend". So korrigierte die New York Times im Mai 2016 ihren eigenen Artikel wenige Tage zuvor, der die Stonewall-Unruhen nur den Schwulen zugesprochen hatte.
Unter dem Titel "There Was At Least One Lesbian Present" hat L.J. Roberts eine aus vielen Lichtkästen bestehende, eingestürzte Mauer geschaffen. Sie ist dem Gedenken an die Butch-Lesbe Stormé DeLarverie gewidmet, die am 28. Juni 1969 den sprichwörtlichen ersten Stein geworfen hatte. Auf den Lichtkästen: eine Sammlung von Fotos, Zitaten und Zeitungsartikeln, die das bunte und lange Leben von Stormé zeigt.
An diese zentrale Figur zu erinnern, war L.J. Roberts wichtig: "Ihre Arbeit für die Gemeinschaft fing lange vor Stonewall an und ging lang danach weiter. Sie war ein Drag-King, was absolut revolutionär zu der Zeit war, sie war Türsteher, Rausschmeißer und Bodyguard, ein Vorbild und Beschützer für viele Jugendliche in der Szene." Sie starb 2014 mit 94 Jahren.
Rebellion, Gedenken, Verlangen und Fürsorge: In diesen vier Etappen erzählt die Ausstellung "Nobody Promised You Tommorrow: Art 50 Years After Stonewall" die Geschichte der Unruhen in der New Yorker Bar "The Stonewall Inn" und ihrem Erbe, aus der Sicht von 28 zeitgenössischen LGBTQ-Künstlern, die alle nach1969 geboren sind.
Revolutionäre Elemente der Unruhen
Ob Bilder, Fotografien, Skulpturen, Wandteppiche, Videoinstallationen oder Protestplakate – die Schau im Brooklyn Museum versucht, die revolutionären Elemente der Unruhen und ihrer Protagonist*innen wieder neu in den Blick zu nehmen.
"Es war sehr wichtig, uns auf die Elemente zu konzentrieren, die kritisch mit der Mainstream-LGTBQ-Bewegung umgehen. Natürlich ist diese Emanzipationsbewegung sehr wichtig für den Kampf um Gleichstellung, aber die Erfolge seit Stonewall konzentrieren sich doch sehr auf weiße, wohlhabende, meist schwule, Cisgender-Gruppen - und nicht auf die vielen Probleme, um die es ursprünglich ging." Meint Kuratorin Allie Rickard.
Cisgender bezeichnet im Gegensatz zu Transgender Menschen, die mit ihrer ursprünglichen Geschlechterrolle identifiziert sind. Die Proteste damals waren vor allen Dingen ein Aufschrei gegen Polizeigewalt, Gentrifizierung, fehlende medizinische Versorgung, fehlende Bildungsangebote, Obdachlosigkeit und Armut.
Transgender-Frauen als treibende Kraft
Und - so legt es Rickards Ausstellung nahe - die treibenden Kräfte damals waren maßgeblich Transgender-Frauen aus der afro-amerikanischen und afro-karibischen Gemeinde sowie obdachlose Jugendliche aus der LGBTQ-Community.
"This message is urgent. My girls are dying/ girls like us/ like me/ everyone is turning against us/so tell, what have you done to show us that you see/urgent/urgent."
Die von der transgender Performerin Linda LaBeija aufgenommene Audioinstallation "Urgency" spricht von der offenen Gewalt, der transgender Menschen in den USA immer noch und seit der Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaft in den USA wieder verstärkt ausgesetzt sind.
"Die letzte Sektion der Ausstellung konzentriert sich auf Fürsorge, Freundschaft und Intimität. Das Nachtleben spielt da eine ungeheuer wichtige Rolle, auch in Erinnerung an das ‚Stonewall Inn‘, das ja damals einer der wenigen Orte war, an dem man sich relativ sicher treffen konnte."
Kuratorin Rickard geht es um Wohngemeinschaften, Häuser und Zentren der Community von heute – von privaten Wohnungen über Hausboote bis zu Partys des alternativen DJ-labels Papi Juice - die nicht-weißen, queeren, transgender Menschen und ihren Freunden in New York und Brooklyn einen sicheren Hafen bieten.
Rickard zeigt einen riesigen Wandteppich von L.J. Roberts, der aussieht wie eine bunte, gewebte und gestrickte Landkarte von Brooklyn mit rosa Dreiecken dort, wo diese Gemeinschaften und Initiativen verortet sind. "Fürsorge war für uns eines der zentralen Themen dieser Ausstellung. Stonewall selbst ist unseren Augen ein Symbol, ein es ist ein Akt der Fürsorge: für die Leute, die bei den Unruhen waren, aber auch für zukünftige Generationen."
Die Ausstellung "Nobody Promised You Tommorrow: Art 50 Years After Stonewall" zeigt eine beeindruckende Breite künstlerischer Arbeiten und sie ist wohltuend persönlich. Sie überzeugt mit ihrer zeitgenössischen Perspektive auf eine Bewegung, deren Kampfgeist ungebrochen ist. Denn dies bleibt am Ende hängen: Auch wenn die Situation für die LGBTQ-Community aktuell wieder schwierig ist - es gibt Solidarität und Hoffnung.