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Ausstellung zur Darmstätter Künstlerkolonie
Unterschiedlichste Weltentwürfe

Um die Wirtschaft zu fördern und Handwerk und Kunst zu stärken, rief der Großherzog von Darmstadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Künstlerkolonie ins Leben. Eine Ausstellung zeichnet nun den Weg dieser Individualistengruppe in vielen Facetten nach.

Von Christian Gampert |
    Als der Darmstädter Großherzog Ernst Ludwig 1899 eine Künstlerkolonie gründete, da dachte er nicht nur an Ästhetik, sondern ganz schlicht auch an Wirtschaftsförderung. Als Enkel der Queen Victoria hatte er in England die Arts-and-Crafts-Bewegung kennengelernt; und mitten in der boomenden Industrialisierung erschien ihm eine Rückbesinnung auf das Handgemachte sinnvoll, vor allem für seine einheimischen Kleinbetriebe – darunter waren über 100 Möbeltischlereien.
    Der Erfolg gab ihm recht: Die von ihm berufenen Künstler entwarfen und bauten, Darmstädter Handwerksbetriebe produzierten. Und: Joseph Maria Olbrich, Hans Christiansen, Peter Behrens und ihre Kollegen schufen ab 1900 ein städtebaulich wie kunsthandwerklich einmaliges Gesamtkunstwerk auf der Mathildenhöhe.
    "In diesen Häusern wurde das Leben ästhetisch durchdekliniert. Jede Tasse, jeder Teller, jeder Teppich, jedes Instrument war hier entworfen worden und wurde in einer ganz kurzen Zeit hergestellt für jeden Bereich des täglichen Lebens! Nicht nur für zu Hause, sondern auch für die Festtagskultur, es gab hier Konzerte, Tanzvorführungen, Theatervorführungen."
    Sagt der neue Direktor der "Instituts Mathildenhöhe", Philipp Gutbrod. Die von ihm kuratierte Ausstellung zeichnet den Weg dieser Individualistengruppe in vielen Facetten nach, programmatisch beginnend mit Ludwig von Hoffmanns "Frühlingssturm", einem Gemälde, das noch den alten, pathetisch-schwärmerischen Jugendstil mit nackten Körpern am Felsgestade pflegt, bis hin zum benutzerfreundlichen Kunstgewerbe, das auch für die weniger betuchten Schichten erschwinglich sein sollte – ein Konzept, das nicht nur Peter Behrens mit seinem für das Kaufhaus Wertheim entworfenen Speisezimmer aus Eiche verfolgte, sondern später auch Albin Müller, der den Spagat zwischen Repräsentations-Kunst und den Ideen des 1907 gegründeten Werkbunds einigermaßen hinbekam.
    1900 hatten die Darmstädter Künstler auf der Pariser Weltausstellung erstmals gemeinsam ausgestellt und waren für ihre "Leichtigkeit" gelobt worden; 1901 folgte die erste Darmstädter Ausstellung, die von den Kosten her eine Katastrophe war – es wurde wenig verkauft, viele Werke waren noch zu opulent oder zu exzentrisch. Der Durchbruch kam danach, weil man anfing, einfacher und bedarfsgerechter zu entwerfen. Die Ausstellung ruft diesen Umbruch an vielen Beispielen in Erinnerung: Man sieht etwa ein luxuriöses Harmonium, das Albin Müller für den Großherzog entwarf (ein Zweitexemplar tauchte jetzt – als Schenkung! - aus dem Besitz einer vermögenden Darmstädter Familie wieder auf), und man sieht gleich dahinter eine höchst einfache Waschtischgarnitur für den Arbeiterhaushalt, die der Wiener Secessions-Erbauer und charismatische Guru der Mathildenhöhe, Joseph Maria Olbrich, entworfen hat.
    In Darmstadt fanden die unterschiedlichsten Entwicklungen statt: Peter Behrens kam als Maler – und wurde hier zum prägenden Architekten der Moderne, der riesige Fabrikhallen baute. Wer aber das erste (Einfamilien-)Haus sehen will, das er als Autodidakt entwarf, der muss auf die Mathildenhöhe kommen. Albin Müller hatte durchaus eine Schwäche für Zierschränkchen und Wohnzimmer-Pomp, konnte sich aber auch für einfaches Design und günstige Fertigung begeistern – das, was später das Bauhaus betreiben sollte. Von der Bahlsen-Keksdose bis zur expressionistischen Keramik-Skulptur (von Bernhard Hoetger) ist alles da. Der Kurator hat sogar entlegene Beispiele eingearbeitet: Edmund Körner baute als Mitglied der Künstlerkolonie die Essener "Alte Synagoge", die in der Pogromnacht und später im Krieg stark beschädigt wurde. Ihre orientalisierende frühere Innenausstattung ist hier wenigstens als Abbildung zu sehen.
    Das beeindruckendste Exponat aber ist natürlich die Jugendstil-Anlage der Mathildenhöhe selbst – mit dem bis 2016 (hoffentlich) renovierten Ausstellungsgebäude und dem 1908 von Olbrich für den Herzog entworfenen Hochzeits-Turm: proto-expressionistischer dunkler Backstein-Klinker, mit majestätischem Blick über Land. Heute ist da das Standesamt. Wer schön heiraten will, sollte sich in Darmstadt anmelden.