Der Wind pfeift um die neugotische Fassade aus anthrazitgrauem Muschelkalkstein: In einem Innenhof am Münchner Rathaus fällt eine schwere, mit Blech beschlagene Holztür ins Schloss.
"Man kommt vorne rein, hat hier eine Einführung auf zwei großen Tafeln, und dann beginnt es mit 'Identität und Stadtgestalt'. Das ist das gelbe Thema. Dann geht es weiter in das Thema 'Mittendrin zuhause: Wohnen in der Innenstadt'. Das ist das blaue Thema. Dann geht man hier weiter, kommt zum roten Thema. Da geht es um 'Kultur, Freizeit und Tourismus'. Und das vierte Thema ist hier das grüne, da geht es um 'öffentliche Räume'."
Gelb, blau, rot, grün - die einzelnen Themen sind farbig markiert. 'Innenstadt weiterdenken' vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung. Judith Hartmann vom Büro Baumeister hat die Architektur der Ausstellung mit entworfen: Schwarze Teppichmatten aus dem Kunststoff PET, Polyethylenterephthalat, verlegt auf den Marmor- und Parkettboden der Rathaushalle. Durch die 650 Quadratmeter große Säulenhalle schlängelt sich statt Museumsvitrinen ein Baugerüst auf Bauchnabelhöhe - die Idee Innenstadt mit Werkstattcharakter.
"Das Baustellengerüst ist genau dazu da, das zu symbolisieren, das es permanent eine Baustelle ist, die Innenstadt. An der immer wieder weiter gewerkelt wird."
"Eine Stadt verändert sich"
"Ich weiß jetzt gar nicht, was in der Ecke da ist, da können wir ja auch mal hingehen."
Stefan Reiß-Schmidt, der Leiter der Hauptabteilung Stadtentwicklungsplanung in München, schlendert durch die Säulenhalle - vorbei an den Baugerüsten aus ramponiertem Aluminium, vorbei an den drapierten Stadtkarten, Fotoreportagen und Projektskizzen, vorbei an den Architektur-Modellen aus ultraleichtem Balsaholz.
"Eine Stadt verändert sich, ob eine Verwaltung das will oder nicht. Weil es kommen und gehen Menschen, die hier leben, die hier arbeiten, die Unternehmen betreiben. Insofern ist es Illusion zu glauben, die Stadt könnte sich dafür entscheiden stillzustehen. Das wäre erstens nicht gut und zweitens gibt es dazu, zum Glück würde ich sagen, keine Instrumente, um Stillstand zu erzeugen."
Der Titel der Ausstellung "Innenstadt weiterdenken" ist deshalb auch ganz wörtlich zu nehmen: Die Besucher können, ja sollen die Projekte kommentieren. Und das ganz wunderbar analog. Überall liegen bunte Post-it-Zettelchen aus. Rot, gelb, blau - einfach die Meinungen zum Thema notieren und an das Baugerüst heften. Bürger, empört euch!
Beteiligung von Bürgerinitiativen
"Und dann sehe ich: Oh, da sind Bauschilder! Was machen die da? Dann schaue ich im Internet nach, dann denke ich mir: Jetzt geht es echt los, das kann nicht wahr sein. Ab 2008 hat die Geschwindigkeit des Verschwindens von gewachsenen, natürlichen baulichen Strukturen so was von zugenommen, dass man plötzlich sehen konnte: dack, dack, dack, dack."
Investitionsboom, Luxussanierung, Gentrifizierung. Wie Pilze sprießen sie aus dem Boden, die überteuerten Immobilien im Münchner Zentrum. Interessenskonflikte zwischen dem Prunk und Protz der Schönen und Reichen, den Traditionalisten mit ihrer Mia-San-Mia-Mentalität und dem prekären Bürgertum. Andreas Dorsch präsentiert in der Ausstellung "Innenstadt weiterdenken" eine von zwölf Bürgerinitiativen.
"Man lebt so vor sich hin, und irgendwann fällt es einem auf. Und ab dem Zeitpunkt, wo es einem auffällt, sieht man es plötzlich überall."
Die Identität der Münchner Innenstadt soll in den nächsten Wochen auf ein Dutzend Podiumsdiskussionen und Stadtspaziergängen erforscht werden. Draußen vor der Rathausgalerie pfeift der Wind durch die Münchner Gassen - diesem so überaus teuren Pflaster.
"Ich würde zunächst mal sagen: Es ist ein schönes Pflaster. Aber das ist meine persönliche Auffassung. Ich bin ein Planer. Insofern glaube ich eher an eine positive Zukunftsentwicklung. Ich beklage weniger das, was sich verändert, als das, was stagniert."