Ein tapsiger Ritter zwischen zwei tumben Hunden, drei nackte Knaben, die Blumenkränze bedeutungsschwer drapieren, und ein Lyra schlagender Orpheus in arkadischer Brehms Tierleben-Landschaft - ein bisschen erschrickt man schon, wenn man im kargen Lübeck unversehens auf solch opulente Wandfriesbilder von Hans Thoma trifft. Einst schmückten sie den Musiksaal im Hause Pringsheim in München. Und auch der junge Thomas Mann mag - beim ersten Besuch seiner Verlobten Katia - angesichts dieses Gründerzeit-Dekors wohl etwas beklommen gewesen sein. Der nordische Hanseatenspross traf dort auf das südlich-schwelgerische München, der Protestant wurde konfrontiert mit dem geradezu gegenreformatorischen Kunstwollen in einem jüdisch-assimilierten Bürgerhaushalt Bayerns.
Neorenaissance-Schnörkel und Lenbach-Schwulst
Manns Dürer- und Gotikverehrung hatte sich Neorenaissance-Schnörkeln, Lenbach-Schwulst und Stuck-Porträts zu stellen. Wie ging das zusammen? Nun, Thomas Mann kriegte es irgendwie auf die Reihe. Der so ambitionierte wie eklektische Schriftsteller pflegte auf die Frage, was er von Kunst halte, etwas kokett zu antworten, er sei kein Augen-, sondern Ohrenmensch; und vielleicht verstand er ja wirklich mehr von Wagner und Meyerbeer als von Klinger und Matisse. Ungeachtet dessen ist Thomas Mann wiederholt mit Grafik, Malerei und Skulptur zusammen gestoßen, und sein Werk wimmelt von Verweisen auf diverse Kunstwerke. Deswegen rückt man nun in seiner Geburtsstadt dem Mythos von seiner Kunst-Ferne kritisch zu Leibe.
Thomas Mann war anscheinend hin- und her gerissen zwischen den unterschiedlichen künstlerischen Idiomen. Er belustigte sich über Arnold Böcklins Pomp, schwärmte aber für ein Medaillon, das den Bilderstürmer Savonarola zeigt. Zu sehen ist auch das Gemälde "Kinderkarneval" des Münchner Gesellschaftsmalers Kaulbach, ebenfalls aus dem Besitz der Pringsheim-Eltern. Schon der junge Thomas Mann hatte das populäre Bild aus einer Illustrierten ausgeschnitten. Dass die Dargestellten Katia und ihre vier Brüder sind, erfuhr er erst später von seiner Verlobten. Auch sehr früh hat Mann ein Bild des renommierten Malers Ludwig von Hofmann erworben; es heißt "Die Quelle" und wimmelt von hüllenlosen Jünglingen zwischen Baum, Moos und Steinen und stützt die These, dass der Schriftsteller homoerotische Obsessionen hatte. Bekannt ist, dass er Motive aus Hofmanns Bilderwelt auch in seinem Roman "Zauberberg" verarbeitete. Wie stark er Bilder von der Antike über Mittelalter und Neuzeit für seine Menschenschilderung ausschlachtete, erfährt man ausführlich im umfangreichen Katalogbuch.
Disparater Eindruck
Die Ausstellung selbst hinterlässt allerdings einen disparaten Eindruck. Gesuchte Vorbilder und zufällige biografische Bild-Begegnungen wechseln einander in loser Folge ab. Sie reichen von Albrecht Dürer über Hans von Marées bis zu Oskar Kokoschka. Ein Blickfang: das flackernde Thomas-Mann-Bildnis mit spiegelnden Brillengläsern, 1926 virtuos-gefällig gemalt von dem Schiele-Epigonen Max Oppenheimer. Fast zeitgleich - kurz vor Erhalt des Nobelpreises - ließ der Autor sich von keinem geringeren als Max Liebermann portraitieren. Die leichte Kohlezeichnung gehört zu den Glanzlichtern der Schau, doch sie bekommt etwas beliebiges, eingeklemmt zwischen einer Serie neusachlicher Fotografien von Albert Renger-Patzsch und Holzschnitten Frans Masereels, zu dessen "Stundenbuch" Thomas Mann ein lobendes Vorwort schrieb. Im Labyrinth der Schau ist keine rote Linie erkennen, sondern fleißig ist aneinander, was am begegnungsreichen Lebensweg des großen Schriftstellers zu finden war. Exemplarisch zu erleben ist dies noch einmal am Schluss der Ausstellung mit einer skurrilen Reihe von Tier-Holzschnitten von Hans Arp. Für diese Serie erfand Thomas Mann 1955 den Titel "Kleine Menagerie". Nun füllen sie klein und beziehungslos einen engen Raum, ohne in Dialog mit dem großen Zauberer zu treten. - Die Lübecker Schau macht deutlich: Ja, der Romancier Thomas Mann war auch ein Augenmensch. Enttäuscht wird man aber zugleich gewahr, dass er weder zu Picasso oder Paul Klee, noch zu Nolde oder Max Ernst irgendetwas Bleibendes gesagt hat - eine etwas magere Botschaft.