"Ich würde schon sagen, dass das so ein Phänomen in der zeitgenössischen Videokunst ist", sagt Ann Kristin Kreisel, "dass Musik einen immer größeren Part einnimmt", Kuratorin von "Mix it - Popmusik und Videokunst". "Es gibt natürlich zahlreiche Künstler, aber nicht so viele wie Musiker, die Musikvideos produzieren, weil das ja eigentlich fast jeder macht."
Massenware Musikvideo. Darum geht es nicht im Marta in Herford. Die Ausstellung zeigt neun Videoinstallationen von Künstlern, die Popmusik in ihre Arbeit integrieren. Etwa Cyprien Gaillard. Aus der Hubschrauberperspektive sieht man graue, scheinbar leblose Hochhäuser in Kiew. Oder, zu Musik von Koudlam, prügelnde Hooligans vor einem sozialistischen Wohnkomplex in Sankt Petersburg. Verschrobene Tanzmusik zur Straßenschlacht. Popmusik hier eher als Untermalung.
Mal toll umgesetzt, mal weniger
"Aber auch wirklich Musik oder Sound als Kommunikationsform. Also, man hat manchmal das Gefühl, dass durch den Sound und das Bild eigentlich ein ganz eigener Dialog entsteht, nonverbal, der den Betrachter aber sofort ergreift, und wo man eigentlich auch als Betrachter sofort Teil von wird. "
Doch bei nicht allen Videos entsteht dieser Dialog. Doug Aitkens "Song 1" etwa. Eine Collage. Menschen in Autos, Tilda Swinton, ein Parkplatz. Dazu Coverversionen des Songs "I Only Have Eyes For You". Bei der Premiere wurde "Song 1" als 360-Grad-Video an die komplette Außenfassade des Hirshhorn Museums in Washington projiziert. Im Marta zweidimensional in einem engen Raum. Atmosphäre: Fehlanzeige.
Besser: "2'59" vom italienischen Künstlerduo Masbedo. Eine Schallplatte von John Lennons "Imagine" dreht sich auf einem Plattenspieler.
"Die Platte wird einfach im Laufe des Videos immer stärker bearbeitet und zerkratzt durch einen Zahnsteinentferner. Und diesen Sound vernimmt man natürlich auch über die Kopfhörer. (…) Ein sehr brachialer Umgang mit dem Material und natürlich auch vielleicht mit der Idee einer friedlichen Welt oder der Utopie von einem friedlichen Zusammenleben, was da sehr drastisch zerstört wird."
Musik und Video arbeiten sich aneinander ab
Auch gut: "Le Clash" vom armenischen Videokünstler Anri Sala. Drehorgelspieler vor einer geschlossenen Halle für Punk-Konzerte in Bordeaux. Sie spielen "Should I Stay Or Should I Go" von The Clash in einer Ambient-Version. Langsam folgt die Kamera den Musikern. Die Konzerthalle, vollgesprayt mit Graffiti, degradiert zum popmusikalischen Nicht-Ort. Die Stimmung bedrückend. Die Musik fast schon stärker als die Bilder. Doch der Spagat gelingt. Musik und Video arbeiten sich aneinander ab. Passen mal zusammen, mal wieder nicht.
Kunst und Pop als fast schon untrennbare Einheit bei Wolfgang Tillmans. Sein Visual Album "Fragile - That's Desire | Here We Are" ist musikalisch zwar nur mittelmäßig. Die Bilder aber sind klug inszenierte Körperstudien. Performerinnen tanzen, stocken, verdrehen sich. Mal kippt das Bild auf die Seite, die Kamera wackelt. Licht in grellen Farben.
Nah an der Gegenwart
So richtig weiß man nicht, was man hier sieht und hört. Ist das jetzt Videokunst inspiriert von Popmusik? Sind das Bilder zu Musik - oder Musik zu Bildern? Es ist verwirrend. Mit nur neun Exponaten wirkt die Ausstellung etwas zu klein für ihr Thema: der Weg von Pop ins Museum. Trotzdem arbeitet "Mix it" nah an und mit der Gegenwart. Und so ist das Gefühl, hier etwas zu sehen, was noch gar nicht richtig fertig ist, gar nicht falsch. Sondern sogar die beste Haltung, dieser Ausstellung zu begegnen. Eine Ausstellung, die auch für die Politisierung der visuellen Künste steht, meint Ann Kristin Kreisel.
"Ich denke schon, dass Popmusik einfach wirklich als Spiegel für politische Einstellungen genutzt wird, um einfach Brüche anzuzeigen und aufmerksam zu machen und, ja, zu hinterfragen. Und da gehört die Popmusik, denke ich, auf jeden Fall auch mit in den Kunstbereich"
"Mix it - Popmusik und Videokunst" ist vom 16. Juli bis zum 15. Oktober 2017 im Marta in Herford zu sehen.