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Ausstellungsparcours in Tempelhof

Das Raumlabor Berlin arbeitet seit 1999 an den Grenzen von Architektur, Kunst und Urbanismus. Zusammen mit dem Theater "Hebbel am Ufer" (HAU) widmet es sich der Frage, was geschieht mit Gebäuden oder Flächen, die ihre ursprüngliche Bedeutung verloren haben? Jetzt haben sie sich den stillgelegten Flughafen Tempelhof vorgenommen.

Von Ina Beyer |
    Dauerregen. Die 15 Pavillons der "Weltausstellung 2012" liegen weit verstreut auf dem Tempelhofer Feld, das die Ausdehnung der Prager Altstadt hat. Unverdrossen bleiben da nur die Feldlerchen, die auf den Wiesen brüten und vereinzelte Besucher, die auf ihren Fahrrädern Areal und Kunst erkunden wollen.

    "Das ist die Lüftung, nee den ollen Dreck wollen wir nicht von den Jahrhunderten."

    Erste Station: der ehemalige Hundezwinger mit dazugehöriger Baracke. Die Theatertruppe "Machina EX", bekannt dafür, Computerspiele in lebensechter Kulisse nachzustellen, hat das Gelände zur Werkstatt des "Metatrons" erklärt. Der hochrangige Engel aus der christlichen wie jüdischen Religion, der den Willen des Schöpfers weitergibt, leitet hier den ahnungslosen Gast durch stockdunkle Räume.

    "Telefonklingeln, dann " Hallo""

    Der Zuschauer muss Rätsel lösen und Anweisungen folgen und wird zum real existierenden Mitspieler in einer bizarren Kulisse aus Duschräumen, Arbeitsplatz oder Küche, in der abgenagte Maiskolben und erstarrtes Fett vom Vergehen der Zeit zeugen.

    "Du sollst den Menschen verkünden, dass sie in einem bunten harmlosen Gemälde leben, in einer Fälschung, dass ihr tägliches Brot nur nicht im Mund verfault, weil sie nichts vom Ende wissen."

    Hier wird Welt interaktiv simuliert, der Mensch zum Spielball höherer Technikmächte. Freiwillig. In der 160-jährigen Geschichte der Weltausstellungen wurden lange Menschen aus den Kolonien zur Schau gestellt. Mutwillig. Weiter geht’s.

    Hinter einem Schleier aus Regen und Dunst blitzt in der Ferne eine luftig leichte Stahlkonstruktion auf. Über die Asphaltpiste einer ausgedienten Startbahn vergeht die Fahrradfahrzeit zuerst wie im Fluge. Dann holpert man querfeldein auf das Ziel zu. Es duftet nach nassem Gras. Die ehemalige Antennenanlage ist erreicht. Und damit die Geschichtsstunde des Dokumentartheaterregisseurs Hans-Werner Krösinger. Er hat wie immer genau recherchiert. Von zwei Historienlotsen erfährt man: Bis zum 18. Jahrhundert noch als Ackerfläche genutzt, wurde das Tempelhofer Feld da bereits Exerzierplatz: 1722 beginnt unter Friedrich Wilhelm dem Ersten die militärische Nutzung des Geländes. 1896 entstand hier eine Arrest-Anstalt für Soldaten, die ab 1918 Polizeigefängnis war. Von 1934 bis 1936 wurde daraus das Konzentrationslager Columbia.

    "1936 wurde das KZ Columbia aufgelöst. Die Häftlinge wurden in unterschiedliche, andere KZs verteilt, denn das KZ musste dem Neubau des neuen Weltflughafens Berlin Tempelhof weichen. Der Neubau ist das Gebäude, was lange Zeit als das längste zusammenhängende Gebäude der Welt galt. Ausgelegt für sechs Millionen Passagiere pro Jahr sollte es zum Flughafen Tempelhof werden und Deutschland mit den wichtigsten europäischen Wirtschaftszentren verbinden und zum zentralen deutschen Luftrüstungszentrum ausgebaut werden."

    Daraus wurde nichts. Es kam der Krieg. Und der geht weiter und weiter. Wie in Syrien.

    Double Shooting hat Rabih Mroue seine Installation genannt. Im Internet fand er Videoaufnahmen von Protestierenden, die ihre eigene Erschießung mit Handykameras filmten. Er hat eine davon in Einzelaufnahmen zerlegt und an einer Tunnelwand angebracht. Läuft man an ihr schnell genug entlang, erlebt man die letzten 18 Sekunden eines Lebens hautnah – sieht wie der Schütze plötzlich hinter einem Betonvorsprung auftaucht, zuerst den Blick auf den Betrachter richtet, dann das Gewehr. Schuss. Das Bild verschwimmt. Man sieht blauen Himmel. Ende.

    Wenn man wieder unter dem realen Berliner Wolkengebirge steht, ist man sichtlich erleichtert. Es hat aufgehört zu regnen – dafür fegt jetzt ein beachtlicher Wind über das unendlich weite, baumlose Areal dieser Weltausstellung, die in unterschiedlichsten Stationen mit modernen Weltentwicklungen konfrontiert. So direkt und ergreifend wie Rabih Mroue oder ironisch- abstrakt wie der japanische Künstler Toshiki Okada, der in seinem Pavillon, der dem havarierten Reaktor F in Fukushima nachempfunden ist, der Katastrophe in kleinen Slapsticks nachspürt.

    An der rasanten technischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte mit ihren katastrophalen Auswüchsen wie in Japan reiben sich die Weltausstellungskünstler ebenso wie am sich wandelnden Menschenbild oder den nimmer endenden Kriegen. Sie suchen aber auch die Auseinandersetzung mit urbanen Übergangsräumen – wie dem brachliegenden Flughafen Tempelhof. Wie kann man so einen Ort begreifen? Sinnlich erfahrbar machen in seiner Historie und Gegenwart?

    Diesen Geschichts- und Geländeparcours zu bezwingen, kann bis zu acht Stunden dauern.
    Wenn man sich ausliefert – nicht nur den Wetterbedingungen – und einlässt auf diese Reise, die nirgends so recht zu beginnen oder zu enden scheint. Die Weltausstellung 2012 in Berlin Tempelhof - ein weites Feld.