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Ausstieg, Brücke oder Zukunft

Politik. - Das dreimonatige deutsche Moratorium und das Abschalten alter Reaktoren ist europaweit die Ausnahme: Kein anderes EU-Land stellt nach dem Unfall von Fukashima die eigene Atompolitik so auf den Prüfstand gestellt. Und von der EU-Kommission werden sich die Mitgliedsstaaten nicht zu einer gemeinsamen Politik zwingen lassen.

Von Doris Simon |
    "Erdbeben, Hochwasser, Tsunamigefahren, Terrorangriffe. Die Kühlsysteme und deren operative Tätigkeit, die Gefahren des Stromausfalls vor Ort, die Vorgaben für die Funktion von Notstromsystemen, die Fragen des Alters und des Bautyps der bestehenden Kernkraftwerke."
    Doch die Europäische Kommission kann diese Stresstests für Atomkraftwerke nicht anordnen, dazu fehlt ihr die gesetzliche Zuständigkeit. Daher können sie nur auf freiwilliger Basis stattfinden, dem haben bei einem Treffen in dieser Woche die anwesenden Betreiber zugestimmt, vom Europäischen Gipfel kommende Woche erhofft der Energiekommissar das Grüne Licht der Mitgliedsstaaten zu den Stresstests. Nach dem Willen des Energiekommissars sollen die strengsten Vorgaben für Sicherheit aus den Mitgliedsstaaten als Masstab genommen werden. Oettinger geht davon aus, dass in diesem Fall nicht alle Kernkraftwerke in der EU den Stresstest bestehen werden: So sind mehrere AKW in erdbebengefährdeten Gebieten gebaut, so etwa Cofrentes in Spanien, Krsko an der slowenisch-kroatischen Grenze oder Cernavoda in Rumänien.
    In Frankreich, das mit 58 Kernkraftwerken die meisten AKW in der EU am Netz hat, gibt sich die Regierung überzeugt, alle französischen Kernkraftwerke seien sicher, der Unfall dürfe keineswegs dazu führen, die eigene energiepolitische Strategie in Frage zu stellen. Tschechiens Ministerpräsident Necas findet, seine Regierung müsse ein Haufen Verrückter sein, wenn sie ihre Atompolitik ändere. Und in Polen argumentiert die Regierung, da sie erst jetzt das erste Atomkraftwerk des Landes baue, übernehme man schliesslich die sicherste Technik, so sieht man es auch in Litauen, wo ein neues Kernkraftwerk entstehen soll, das mehrere Länder im Baltikum versorgen könnte. In Belgien, das zu sechzig Prozent abhängig ist vom Atomstrom aus den sieben Reaktoren in Doel und Tihange, kritisierten Politiker das deutsche Moratorium sogar als einseitigen und leichtsinnigen Alleingang. Da steht Österreich ziemlich allein auf weiter Flur mit der Forderung seines Umweltministers Nikolaus Berlakovitch, die EU müsse sich geschlossen abwenden von der Atomenergie:
    "Wir in Österreich fahren den strikten Anti-Atomkurs und jetzt ist auch der Zeitpunkt da, um international und auch auf europäische rEbene umzudenken: Raus aus Atom. Wenn jetzt nicht die Lehren gezogen werden, wann dann?"
    Für viele EU-Mitgliedsstaaten bedeutet die Konsequenz aus Fukushima sicher nicht, den Ausstieg aus ihrer Atompolitik vorzubereiten. Sie sehen oft in der Kernkraft oft keine Brücken-, sondern eine Zukunftstechnologie- insbesondere mit Blick auf Ressourcenverknappung und Klimawandel. So halten Belgien, Spanien, Schweden und Slowenien weiter an ihren Kernkraftwerken fest, ebenso wie Grossbritannien, Frankreich, die Niederlande, Tschechien, die Slowakei, Finnland, Ungarn, Bulgarien und Rumänien: Diese neun EU-Staaten planen darüberhinaus neue Kernkraftwerke. In Italien wurden in der Folge von Tschernobyl 1987 alle Atomkraftwerke abgeschaltet, doch die Regierung Berlusconi plant nach einem Abkommen mit Frankreich den Neubau von acht bis zehn Kernkraftwerken.