Archiv

Austausch von Forschungsdaten
"Die Technologie an sich ist vorhanden"

Das Interesse am Austausch von Forschungsdaten in der Wissenschaft ist groß. Doch nur wenige Institutionen wollen ihre Ergebnisse einer breiten Masse online zur Verfügung stellen. Das habe sehr viel mit dem Exzellenzanspruch in der Wissenschaft zu tun, sagte Klaus Tochtermann, Direktor des Leibniz-Informationszentrums Wirtschaft im DLF.

Klaus Tochtermann im Gespräch mit Jörg Biesler |
    Klaus Tochtermann, Direktor des Leibniz-Informationszentrums Wirtschaft
    "Die Grundhaltung heutzutage ist, dass man sagt, das Teilen von Forschungsdaten ist prima, solange es die Daten der anderen sind", sagt Klaus Tochtermann. (ZBW / Sven Wied)
    Jörg Biesler: Wissenschaft kommuniziert ja längst nicht mehr allein mit Büchern und gedruckten Aufsätzen, sondern elektronisch, und auch Material zum Lehren und Lernen ist längst online verfügbar. Die Open Science Conference in Berlin ist der Hotspot für diese Themen, heute beginnt sie, und eingeladen hat Professor Klaus Tochtermann, der Direktor des Leibniz-Informationszentrums Wirtschaft. Guten Tag, Herr Tochtermann!
    Klaus Tochtermann: Guten Tag!
    Biesler: 220 Teilnehmer aus 34 Ländern sind heute nach Berlin gekommen. Das zeigt, wie groß das Interesse auch international ist an Open Science, also am offenen Dialog in Wissenschaft und Bildung. Die Strukturen befinden sich erst im Aufbau. Wieso kann man da nicht einfach einen Schalter umlegen und große, vielleicht erst mal europäische Plattformen im Netz einrichten und so Wissenschaftsdaten für alle verfügbar machen?
    Tochtermann: Wir haben in der High Level Expert Group, also der Expertengruppe, die diese Open-Science-Bewegung vorangetrieben hat, festgestellt, dass 80 Prozent der Veränderungen im Bereich Kulturwandel stattfinden müssen und nur 20 Prozent im Bereich der Technologie. Das heißt, wir müssen auch im Wissenschaftssystem eine Bereitschaft dafür aufbauen und eben evangelisieren, dass das Teilen von Forschungsdaten, das Öffnen der Forschungsergebnisse zu einem wesentlichen Teil wird, um die Wissenschaft und das Wissenschaftssystem nachhaltig zu verbessern. Die Grundhaltung heutzutage ist, dass man sagt, das Teilen von Forschungsdaten ist prima, solange es die Daten der anderen sind. Und wir müssen eben dahin kommen, dass man auch die eigenen Daten, die eigenen Forschungsdaten anderen zur Verfügung stellt. Da ist unglaublich viel im Kulturwandel derzeit noch zu tun.
    "Das Wissenschaftssystem ist im Moment sehr selbstreferenziell"
    Biesler: Weil jeder, das liegt auf der Hand, Sorge hat, jemand anderes komme ihm vielleicht mit der Forschung zuvor und benutzt die Daten, die er selbst erhoben hat, für seine Sache.
    Tochtermann: Das ist die Schwierigkeit. Die Grundhaltung derzeit ist in der Tat noch die, ich habe Daten erhoben, Daten generiert, und ich möchte die erst maximal nutzen für eigene Publikationen, bevor ich sie anderen zur Verfügung stelle. Das hat sehr viel zu tun mit diesem Exzellenzanspruch in der Wissenschaft, der eben am Ende des Tages kontraproduktiv ist hinsichtlich der Kriterien wie Teilen und Offenheit von Forschung und Forschungsdaten.
    Biesler: Das klingt jetzt aber gleich nach einer ganz großen Vision, die dahintersteckt, also mit der Öffentlichmachung von Forschungsdaten würde ja dann gleichzeitig auch eine ich nenne es mal Demokratisierung der Wissenschaft einhergehen oder eine Vergesellschaftung, sodass nicht mehr der Einzelne wichtig wäre, sondern eher die Gruppe der Wissenschaftler insgesamt.
    Tochtermann: Ja, das ist aber auch aus unserer Sicht absolut erforderlich, weil das Wissenschaftssystem im Moment sehr selbstreferenziell ist. Das macht man wunderbar durch diesen Exzellenzanspruch, dass man eben sagt, exzellente Forschung wollen wir betreiben, und die Exzellenz kann halt wieder nur von der Wissenschaft selbst definiert und auch bewertet werden. Demokratisierung heißt, dass man natürlich auch mit seiner Forschung ganz andere, wir nennen es im Englischen Narratives braucht, also andere Mechanismen, um die Bedeutung der Forschung, aber auch die Ergebnisse der Forschung hin zur Öffentlichkeit zu kommunizieren.
    "Technologisch ist im Grunde alles da"
    Biesler: Das ist ein großes Ziel. Sie haben gerade schon mal geschildert, wo möglicherweise in den Köpfen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler da noch Steine liegen, die beiseite geräumt werden müssen. Wie sieht es denn technisch eigentlich aus? Was wäre denn technisch möglich?
    Tochtermann: Technisch ist es so, dass wir zahlreiche Forschungsdatenzentren haben. Wir haben zahlreiche Publikationsplattformen. Die Technologie an sich ist vorhanden, um diese Forschungsdatenzentren auch miteinander zu verknüpfen, um Publikationsplattformen miteinander zu verknüpfen. Was wir noch brauchen, sind einheitliche Standards, beispielsweise Standards, anhand derer wir Forschungsdaten beschreiben. Das ist zum Beispiel eine Grundvoraussetzung dafür, dass Forschungsdaten auch disziplinübergreifend auffindbar sind, dass man also Suchen machen kann nach bestimmten Kriterien, und Sie bekommen dann Forschungsdaten aus dem Bereich Fischfang in der Ostsee auf der einen Seite, und auf der anderen Seite Forschungsdaten aus dem Bereich Wohlstand in den Ostseeanrainerstaaten. Also Standards für Metadaten, Standards auch ein bisschen für die Protokolle, sind noch im Moment der große Flaschenhals. Technologisch ist im Grunde alles da.
    Biesler: Weil spannend wird es dann, wenn man die Sachen miteinander verbinden kann. Sie haben jetzt gerade das am Beispiel Fischfang genannt. Wenn man zum Beispiel Historiker ist und dann sehen kann, wie viele Fische im Lauf der Zeit möglicherweise gefunden wurden und wie das mit dem Wohlstand korreliert, dann bringt das ganz neue Forschungsmöglichkeiten.
    Tochtermann: Genau. Das ist eben das völlig Neue durch die Öffnung der Forschungsdatenzentren, dass man plötzlich Disziplinen übergreifend Forschung betreiben kann. Ich kann eben schauen, welche Auswirkungen hat beispielsweise eine Beschränkung des Fischfangs in der Ostsee auf den Wohlstand der Ostseeanrainerstaaten. Das ist bislang nicht möglich, solche Forschung zu betreiben, weil wir eben die Forschungsdaten in Datensilos haben. Sie haben eben die Forschungsdaten für den Fischfang in einem Datensilo, die Forschungsdaten für den Wohlstand und das Einkommen der Bevölkerung in einem anderen Silo. Die sind nicht miteinander verknüpfbar, sodass es unmöglich ist, die Forschungsdatensätze zu bekommen, die für solche Fragestellungen, wie sie eben formuliert wurden von Ihnen, gefunden werden können. Hier brauchen wir Standards, damit die Forschungsgemeinschaft ihre Daten einigermaßen einheitlich beschreibt, sodass Suchmaschinen dann auf diesen einheitlichen Beschreibungen operieren können.
    "Jeder ist damit einverstanden, dass Infrastruktur Geld kostet"
    Biesler: Das eine sind die Forschungsdaten, das andere sind die Dinge, die die Wissenschaftler daraus machen, also wissenschaftliche Aufsätze zum Beispiel, die werden heute auch fast nur noch elektronisch veröffentlicht. Literaturwissenschaftler und Historiker werden vielleicht noch mal ans Bücherregal in der Bibliothek treten, aber die Naturwissenschaften kommunizieren online, auch die Forschungsergebnisse. Wir haben hier mehrfach darüber berichtet bei "Campus & Karriere", dass es im Augenblick da ein großes Ringen gibt darüber, wer die Herrschaft eigentlich über die Veröffentlichungsplattformen hat. Im Augenblick sind das die großen Wissenschaftsverlage. Den Hochschulen ist das alles zu teuer. Kann man sich vorstellen, dass es auch da vielleicht staatliche, öffentliche Plattformen geben wird, die irgendwann an die Stelle treten, um diese Forschungsergebnisse dann tatsächlich auch für jeden zugänglich zu machen, also für jeden zugänglich machen heißt kostenfrei.
    Tochtermann: Im Grunde, glaube ich, ist gar nicht so viel Widerstand da, wenn solche Plattformen, die Plattformen meine ich, von den Verlagen betrieben werden, weil irgendwo muss die Infrastruktur herkommen. Es ist auch jeder damit einverstanden, dass die Infrastruktur, also der Betrieb einer Plattform, Geld kostet. Was bei den Verlagen das Problem ist, ist, die Lizenzen auf den Artikeln, die sie haben. Davon wollen wir weg kommen, weil ja, und das ist bekannt im Open-Access-Bereich, diese Doppelfinanzierung für die Verlage durch das Wissenschaftssystem letztendlich stattfindet. Davon muss man wegkommen. Die Bereitstellung der Literatur unter einer freien Lizenz in einer Plattform, die betrieben werden kann entweder von einer Bibliothek, von mir aus auch von Verlagen, das muss eben das Ziel sein.
    "Offene Bildungsquellen sind ein ganz großes Thema"
    Biesler: Ich hab jetzt schon verstanden, dass es für die Wissenschaft einen gewaltigen Schub bedeuten kann, wenn man die Daten besser miteinander in Verbindung bringen kann, wenn man die besser miteinander vernetzen kann, weil alles elektronisch zur Verfügung steht und recherchierbar ist. Aber Sie erhoffen sich ja auch für Otto Normalverbraucher, einfach Bildungshungrige, einen neuen Schub, also das Stichwort dazu ist Open Educational Ressources. Da geht es zum einen um die Schulen, aber zum anderen auch um Bildungs- und Lehrmaterialien für jedermann. Wikipedia kennt man, aber das ist längst nicht das Ende der Fahnenstange.
    Tochtermann: Offene Bildungsquellen, offene Bildungsmaterialien sind ein ganz großes Thema, auch vor dem Hintergrund der Demokratisierung von Wissenschaft, dass man eben Ergebnisse unterschiedlicher Art auch frei zugänglich macht. In Deutschland wird das derzeit organisiert über das Bundesministerium für Bildung und Forschung in der Form, dass bei dem Bildungsserver, der ja von Frankfurt aus betrieben wird, solche Ressourcen, solche Quellen abgelegt werden. Und hier ist es insbesondere so, dass eine Entwicklung aufgegriffen wird, die wir auch an den Universitäten wahrnehmen, als Dozierende, als Professoren, Professorinnen sind wir jetzt viel mehr in der Verantwortung, auch vorhandenes Material zu kuratieren, das heißt, zu bewerten, was ist gut für meine Studierenden, welches Material ist qualitativ hochwertig, kann von ihnen genutzt werden, während in der Vergangenheit häufig entlang eines Textbuches vorgegangen wurde, besteht heute eine Vorlesung aus Materialien unterschiedlichster Quellen, sei es ein YouTube-Video, sei es eine offene Bildungsressource, die wo bereitgestellt wird. Und die Aufgabe der Professorinnen und Professoren ist es zunehmend, die richtigen dieser Ressourcen auszuwählen. Und da ist natürlich offene Bildungsressource und auch die Bereitstellung in einer Umgebung besonders wichtig. Dann haben wir nämlich schon mal einen Qualitätssicherungsmechanismus, wenn ich auf den deutschen Bildungsserver gehe, weiß ich, dort sind nur Materialien, die Qualitätsstandards entsprechen.
    Biesler: Professor Klaus Tochtermann, Direktor des Leibniz-Informationszentrums Wirtschaft war das über die Open Science Conference, die noch heute und morgen in Berlin läuft. Ich wünsche Ihnen eine spannende Tagung!
    Tochtermann: Ganz herzlichen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.