Anzac Day, Australiens höchster Feiertag. Jedes Jahr, Ende April, hält die Nation inne, um ihrer gefallenen Soldaten zu gedenken. Fahnen werden gehisst, Schweigeminuten abgehalten. Politiker erinnern für gewöhnlich an vergangene Kriege in entlegenen Teilen der Welt.
Diesmal aber warnten sie vor einem drohenden Konflikt im Südpazifik - direkt vor Australiens Haustür. Nur Tage zuvor hatte der Premierminister der Salomonen, Manasseh Sogavare, im Parlament verkündet, dass der bürgerkriegs- und krisengebeutelte Inselstaat ein Sicherheitsabkommen mit China geschlossen habe. Einen Pakt, der es den Chinesen erlauben, soll Marine- und Polizeieinsätze – auch unter dem Schutz von Streitkräften - in den Salomonen durchzuführen. Der Premierminister:
„Das Sicherheitsabkommen ist auf Wunsch der Regierung der Salomonen zustande gekommen. Niemand hat uns unter Druck gesetzt. Als unabhängiges Land wollen wir dafür sorgen, dass unsere Sicherheitsbedürfnisse befriedigt werden. Und das mit Hilfe verschiedener Partner.“
Starke Worte Richtung China
In Canberra schrillen die Alarmglocken. Der australische Hochkommissar in den Salomonen wusste von nichts, der Geheimdienst und das Pazifikministerium der Regierung waren überrumpelt. Bislang unterhält China nur einen Stützpunkt im Ausland, den in Dschibuti. Doch Australien und die USA befürchten schon seit langem, dass China auch im Südpazifik einen Pflock einschlagen und einen strategischen Marinestützpunkt errichten könnte. Aufgrund des jüngst geschlossenen Abkommens sollen chinesische Fregatten fortan in den Gewässern der Salomonen ungehindert manövrieren, jederzeit Zwischenstopps machen und Nachschub erhalten können – 2000 Kilometer vor der australischen Ostküste und fast 8000 Kilometer entfernt vom chinesischen Festland. Für den australischen Verteidigungsminister Peter Dutton steht fest: Das Sicherheitsabkommen ist eine gezielte Provokation Chinas, der man entschieden begegnen muss.
“Die einzige Möglichkeit, Frieden zu bewahren, ist für einen Krieg bereit zu sein. Stärke zu zeigen. Die Chinesen sind im Südpazifik ganz bewusst auf Konfrontationskurs. Deshalb müssen wir mit unseren Verbündeten jeder Aggression begegnen, um den Frieden in der Region und für Australien zu sichern.“
Starke Worte von einem Verteidigungsminister, der ein starkes Bündnis hinter sich weiß. Im September letzten Jahres hatten die USA, Großbritannien und Australien „Aukus“ gegründet – eine militärische Allianz, die im Südpazifik verstärkt zusammenarbeiten will. Den Pakt der Salomonen mit China aber hatte keiner der Bündnispartner auf dem Radar.
“This represents the worst failure of Australian foreign policy in the Pacific since WW2.”
Im Wahlkampf sprach Labor-Schattenaußenministerin Penny Wong daher vom „größten außenpolitischen Versagen Australiens im Pazifik seit Ende des Zweiten Weltkriegs“.
Salomonen suchen Einvernehmen mit China
Zwar betont die Führung der Salomonen, dass man nicht im Traum daran denke, China eine Militärbasis im Land errichten zu lassen. Der Salomone Peter Kenilorea aber ist skeptisch. Der Oppositionspolitiker saß schon 2019 im Parlament seines Landes, als die Regierung nach 36 Jahren unvermittelt alle diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abbrach – und sich China zuwandte. Damals war von Millionen an Bestechungsgeldern aus Peking die Rede. Peter Kenilorea ist davon überzeugt, dass die Chinesen auch beim Verhandeln des kürzlich abgeschlossenen Sicherheitsabkommens ihre Hände im Spiel hatten.
“Ich glaube, dass die salomonische Regierung und der Premierminister im Lager und auf der Gehaltsliste der Chinesen stehen. Dieser Pakt bringt den Salomonen nicht mehr Sicherheit als die, die unsere anderen Partner bereits garantieren. Besonders Australien.”
Wo aber waren die Australier, die - nicht nur die Salomonen - sondern den ganzen Südpazifik seit Ende des Zweiten Weltkriegs als „ihre Gegend“ bezeichnen?
China taucht dort auf, wo Australien wenig Präsenz zeigt
Australien ist dort mit jährlich fast zwei Milliarden Euro der mit Abstand größte Geldgeber, der verlässlichste Not- und Entwicklungshelfer, der älteste Partner. „Vielleicht war einfach zu lange Frieden im Südpazifik“, spekuliert der australische Journalist Sean Dorney.
“Die meisten australischen Politiker glaubten, der Pazifikraum sei strategisch betrachtet tiefste Provinz und haben ihn weitgehend vernachlässigt. Mit Beginn der 2000er Jahre änderte sich das, als die Chinesen immer mehr politischen Einfluss in der Region gewannen. Australien muss besser zuhören. Zu lange schon haben die Menschen im Pazifik den Eindruck, dass ihre Meinung bei den Entscheidungen, die Australien trifft, nicht zählt.“
Die Juristin Amanda Cahill war jahrelang als Entwicklungshelferin in Fiji tätig. Sie vergleicht das Dreiecksverhältnis Australiens, Chinas und der 16 Inselstaaten im Südpazifik mit einer „festgefahrenen, unglücklichen Vernunftehe“. Ein Partner fühlt sich vernachlässigt, flirtet mit jemand Neuem und beginnt eine Affäre. Scheinbar ohne weitere Bedingungen. Australien habe Fiji nach dem Coup im Jahr 2006 strenge Auflagen gemacht, erinnert sich Amanda Cahill. Die Chinesen aber seien mit nichts weiter als einem gezückten Scheckbuch gekommen.
“Die Stimmung war gegen Australien. Schimpfwörter wie “Kolonialherren” machten die Runde. Zur gleichen Zeit wurde die Entwicklungshilfe für Fiji zurückgefahren – in zehn Jahren um ganze 30%. Das machte die Situation noch schwieriger. Jeder Dollar war für Fijis Regierung an Erwartungen geknüpft wie eben der - im Gegenzug - auszugeben war. Dann aber tauchten die Chinesen auf und Fiji hatte plötzlich eine andere Geldquelle.“
Während australische Premierminister dem alljährlichen Forum der pazifischen Inseln immer öfter fernblieben und Entwicklungshilfe empfindlich kürzten, versprachen die Chinesen in der ganzen Region unbürokratisch millionenschwere Kredite. Hauptsächlich für Infrastruktur: Straßen und Brücken, Verwaltungs- und Regierungsgebäude, Häfen, Anlegestellen und Landebahnen.
"Die Unterstützung der Chinesen ist willkommen"
Geld spiele für China keine Rolle, sagt Stephen Howes, Professor für Entwicklungspolitik an der Nationaluniversität Canberra. Und Fragen über Korruption oder mögliches Missmanagement in den Empfängerländern würden erst gar nicht gestellt.
“Die Unterstützung der Chinesen ist so willkommen, weil sie anders als Australien den Regierungen der Südseenationen nicht auf die Finger schauen. Australien gibt viel Geld aus, um Einheimische aus- oder fortzubilden und die Wirtschaft anzukurbeln. Die Chinesen bauen lieber einfach eine Brücke – das ist für viele Einwohner einfach greifbarer.“
Vanuatu, 3.600 Kilometer nordöstlich der australischen Küste. Aus der Luft sieht der Südseestaat mit insgesamt 83 Inseln wie ein unberührtes Naturparadies aus. Unten angekommen stellt sich die Situation anders dar. Die Landebahn wurde von China gebaut und finanziert, genauso wie die Straße vom Flughafen in die Hauptstadt Port Vila, dann ein gewaltiges Kongresszentrum auf halbem Weg. Das Gebäude ist für Veranstaltungen hier viel zu groß, meist steht es leer. Die Regierung kann sich nicht einmal die Strom- und Reinigungskosten leisten – die werden aus dem Topf der australischen Entwicklungshilfe bezahlt. Oppositionsführer Ralph Regenvanu gibt offen zu, dass das arme Vanuatu Unterstützung braucht und auch annimmt. Egal woher sie komme.
„Wir suchen Partnerschaften mit China, aber auch mit anderen Nationen. Wir wollen für Vanuatu das Beste erreichen, indem wir mit so vielen Ländern wie möglich zusammenarbeiten. Als Nation fühlen wir uns niemandem verpflichtet. Von dem Machtspiel 'China gegen Australien' wollen wir in Vanuatu jedenfalls nichts wissen.“
Pekings Scheckbuchpolitik führt Südseestaaten in die Schuldenfalle und Abhängigkeit
China gibt große Summen aus. Ob die Großprojekte genutzt werden oder nicht, scheint den Chinesen dabei gleichgültig zu sein. Offensichtlich sind sie nur Mittel zum Zweck, denn für die finanziell schwachen Südseestaaten bedeuten sie den sicheren Weg in die Schuldenfalle. Malcolm Davis vom Institut für Strategiefragen in Canberra gibt der australischen Regierung daran eine Mitschuld.
“Wir haben es zu lange als selbstverständlich angesehen, dass sich die Inselnationen im Südpazifik ausschließlich auf uns, auf Australien, verlassen. Die Chinesen lassen diese Länder Schulden über Schulden machen, und wenn sie die nicht zurückzahlen können, dann nehmen sie statt des Geldes eben eine Insel, eine Landzunge oder einen Hafen.“
Pekings Scheckbuchpolitik scheint nur ein Ziel zu verfolgen: mehr Einfluss in der Region zu bekommen. Auch diplomatisch. Quid pro quo, eine Hand wäscht die andere. Kommt es bei den Vereinten Nationen zu kritischen Abstimmungen, dann zählen die Chinesen auf die Stimmen der Inselstaaten, die sie mit Geldern unterstützen. Auch Australien hegt ähnliche Erwartungen, China aber geht es um mehr: um Fischereirechte und Lizenzen für Bodenschätze, um den Zugang zu Häfen, Anlegestellen und regionalen Flughäfen - oft auch um Landbesitz und Baugrund für chinesische Investoren.
Strategische Militärpräsenz im Südpazifik
Caitlyn Byrne, Direktorin des Griffith Asia Institute, geht noch weiter: China wolle im Südpazifik langfristig eine strategische Militärpräsenz. Australiens wichtigster Job in der Region müsse es daher sein, genau das zu verhindern.
“Australien muss darauf vorbereitet sein, dass China seinen Machtanspruch immer aggressiver geltend macht. Deshalb müssen wir unsere diplomatischen Fähigkeiten massiv ausbauen. Unsere Auslandsvertretungen im Südpazifik sind unterfinanziert und unterbesetzt. Australien ist daher gar nicht in der Lage, eine robustere Außenpolitik in unserer Region zu machen und auch durchzusetzen.“
Australien steht unter Druck. Sein Engagement im Südpazifik – vor allem aber die hier gewünschte „robustere Außenpolitik“ - sind nicht ohne Risiko. Denn: Peking ist der wichtigste Handelspartner Australiens, Washington dagegen der wichtigste Verbündete. Australien muss also zwischen Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen abwägen. Australien müsse eine ehrliche Diskussion über seinen Platz in der Welt führen, meint Caitlyn Byrne. Dabei werde es weder einfache Fragen noch Antworten geben.
“Wir müssen auch unser Verhältnis zu den USA hinterfragen. Diese Beziehung ist das Rückgrat unserer Außenpolitik. Ich denke aber, es wird Zeit, dass wir mehr auf eigenen Füßen stehen und gleichzeitig unser Verhältnis zu China und dem übrigen Asien sehr vorsichtig überdenken.“
Canberra rüstet auf
Häfen und Piere, klobige Regierungsgebäude, Brücken, Mobilfunktürme und Flugzeug-Landebahnen – im Südpazifik sind die Folgen chinesischer Einflussnahme nicht zu übersehen. Eine zunehmende Präsenz, die auch in Australien Konsequenzen hat: Canberra rüstet auf. Vor zehn Jahren noch gab Australien weniger als eineinhalb Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aus, heute sind es mehr als zwei Prozent. Tendenz steigend. Arbeitsminister Stuart Robert will damit zweierlei erreichen: den Erhalt und Ausbau von Arbeitsplätzen und mehr militärische Sicherheit für Australien im Pazifik.
„Wir machen große Investitionen. Denn wir haben es mit einem China zu tun, das sich an keine Regeln hält und im Pazifik hinter verschlossenen Türen operiert.“
Ginge es nach dem Pentagon, würden australische U-Boote regelmäßig für die Amerikaner im südchinesischen Meer patrouillieren, um die Aktivitäten der Roten Armee im Blick zu behalten. Doch die aktuelle, dieselbetriebene Flotte der Australier ist dazu gar nicht in der Lage. Sie ist nicht schnell und nicht leise genug und hat eine zu geringe Reichweite. Bis aber die ersten acht der neuen, in den USA entwickelten U-Boote unter australischer Flagge einsatzbereit sind, wird es noch mindestens 15 Jahre dauern.
"China ist zum bedeutenden Akteur in der Region geworden"
Jonathan Pryke ist vom Lowy-Institute, einer unabhängigen Denkfabrik in Sydney. Er glaubt, dass das militärische Vakuum den Chinesen nur in die Hand spiele – und rät zum Pragmatismus.
“Australien kann nicht davon ausgehen, das strategische Monopol über die Region der pazifischen Inseln zu haben. China ist durch den Ausbau von Infrastruktur, privaten Investitionen, von Entwicklungshilfe und Darlehen zu einem bedeutenden Akteur in der Region geworden. Deshalb müssen wir geopolitische Spannungen mit China hinnehmen und bereit sein, Zugeständnisse zu machen.“
Doch jedes Zugeständnis gegenüber Peking käme einem diplomatischen Seiltanz gleich: Ein Zuviel an Entgegenkommen vonseiten Australiens im Südpazifik könnte China als Schwäche deuten, der Alliierte USA dagegen als Bündnismüdigkeit.
Labour-Politikerin: Australien soll mehr Nachbarschaftshilfe leisten
Jede Eskalation sei zu vermeiden, es dürfe nicht zu einer Konfrontation beider Supermächte in der Region kommen, warnt daher Anika Wells, die Pazifiksprecherin der Labor-Partei. Sie fordert stattdessen, dass Australien mehr Nachbarschaftshilfe leisten soll: die Liste sei lang.
“Der Klimawandel ist ein Beispiel. Im Pazifik gibt es drei große Themen: die USA, China und der Klimawandel. Ein australischer Verteidigungsminister hat einmal Inselbewohner ausgelacht, obwohl das Meer schon bis an ihre Türschwelle hochschwappte. Unsere Regierung hat die existenzielle Bedrohung der Menschen im Pazifik nicht ernst genommen. Jetzt erleben wir die Folgen.”
Die australische Regierung scheint aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt zu haben. Fünf neue Botschaften und Konsulate wurden im Südpazifik eröffnet oder sind derzeit in Planung. Australiens Militär trainiert mehr Bereitschafts- und Sicherheitskräfte auf den Inseln, die Marine verdoppelt ihre Patrouillenfahrten. Der größte Posten aber sind 1,4 Milliarden Euro. Sie sollen zu Niedrigzinsen für den Ausbau von Straßen, Häfen und das Internet in der Region bereitgestellt werden.
Könnten China und Australien kooperieren?
Tess Newton Cain von der Lowy-Denkfabrik in Sydney verweist jedoch darauf, dass viele Inselstaaten am liebsten Australien und China an ihrer Seite hätten.
“Einige Regierungschefs im Pazifik, etwa die der Cook-Inseln, von Vanuatu und Papua-Neuguinea, haben mehr Kooperation zwischen ihren Partnern in der Entwicklungshilfe vorgeschlagen: bei der Katastrophenhilfe, der landwirtschaftlichen Beratung, der nachhaltigen Ernährung. Sie wollen generell mehr Zusammenarbeit.”
Eine gelungene Zusammenarbeit setzt im Idealfall gleiche Ziele voraus. Die könnten im Falle Chinas und Australiens aber unterschiedlicher nicht sein. Australien will den Frieden, seine Einflusssphäre, damit den Status Quo im Südpazifik, beibehalten, China dagegen will expandieren. Für eine gelungene Kooperation in der Entwicklungshilfe liegen die geostrategischen Interessen Canberras und Pekings wohl zu weit auseinander. Pazifikexperte Jonathan Pryke vom Lowy-Institute ist jedoch fest davon überzeugt, dass sein Land vor seiner eigenen Haustür einen klaren Heimvorteil hat:
“Wir müssen künftig geschickter unsere roten Linien abstecken und China mit unseren Waffen schlagen: den stärkeren Gemeinsamkeiten, die Australien mit den Staaten im Südpazifik hat. Von Geschichte über Kultur, Sport bis zur Sprache. Diese Dinge verbinden uns eng mit der Region, China dagegen nicht. Wenn wir klug sind, dann spielen wir das Spiel nach unseren Regeln und lassen uns nicht von China in einen Wettbewerb um Finanzen hineinziehen.”
Einige Inselstaaten sind vorsichtiger gegenüber Peking
Jahrzehnte der finanziellen und politischen Abhängigkeiten haben Spuren hinterlassen: Bei vielen pazifischen Inselstaaten setzt sich allmählich mehr Vorsicht und Pragmatismus im Umgang mit Peking durch.
Das Südsee-Königreich Tonga etwa hat damit begonnen seine hohen Kreditschulden an Peking zurückzuzahlen. Das 10.000-Einwohner-Eiland Tuvalu will Gelder aus China nur noch akzeptieren, wenn sie für Klimaschutzprojekte und Maßnahmen gegen steigende Meeresspiegel verwendet werden. Und die neue Regierung Samoas hat den geplanten Bau eines von China finanzierten, riesigen Docks für Transport- und Kreuzfahrtschiffe im Hafen der Hauptstadt als „unnötig“ und „völlig überdimensioniert“ auf Eis gelegt.