"Nachdem die Weißen vor über 200 Jahren hierhergekommen waren, erklärten sie Australien kurzerhand zum Niemandsland und unsere Landrechte für null und nichtig. Erst seit 1992 haben wir einen Anspruch auf die Gebiete, die unsere Ahnen besiedelt und zum Teil auch urbar gemacht haben. Und auf unsere heiligen Orte. Nun haben wir auch endlich erreicht, dass der Uluru demnächst nicht mehr bestiegen werden darf. Ganz allmählich scheinen wir ein wenig voranzukommen."
"Die Stätte aller Stätten"
"Viele Aborigines machen sich immer wieder auf den Weg zu Orten wie diesem. Hier tanken wir Kraft, indem wir die Verbindung zu unserem Land und zu unseren Ahnengöttern stärken. Deshalb ist es für uns alle sehr bedeutsam, dass dieser heilige Berg nicht mehr erklettert werden darf. Seine traditionellen Hüter, die Anangu, sind richtiggehend krank davon geworden, dass Besucher immer wieder auf den Uluru hinaufgestiegen sind. Dass sie vor Ort Kritzeleien hinterlassen oder Gesteinsbrocken mit nach Hause genommen haben. Diese Leute wissen einfach nicht, wie viel uns dieser Berg bedeutet. Für uns stellt der Uluru die Stätte aller Stätten dar."
So die Aborigine-Elders David Ross und Bob Sutor aus den Blue Mountains, nicht weit von Sydney. "Elders" gelten unter den australischen Ureinwohnern als Wissende. Meist gehören sie zu den älteren Mitgliedern der jeweiligen Stammesgemeinschaft oder Großfamilie. Es sind meistens Männer, manchmal auch Frauen, die sich als besonders kenntnisreich und besonnen hervorgetan haben. Sie fungieren als Lehrer der Aborigine-Traditionen, leiten die Rituale und sorgen dafür, dass den Ahnengöttern und den spirituell bedeutsamen Orten die ihnen gebührende Achtung zukommt. Der australische Religionswissenschaftler Professor Garry Trompf:
"Im Laufe der Jahrtausende sind Orte von großer religiöser Bedeutung entstanden, an denen die Ureinwohner immer wieder ihre Zeremonien durchführen. An einigen jener Plätze haben eine kosmische Schlange oder ein Känguru ihre Spuren hinterlassen. Oder inmitten eines Waldes ragt eine ganz besondere Gesteinsformation hervor."
Spiritualität und Land sind verzahnt
Aborigines glauben, dass allmächtige Wesen vor langer Zeit alle natürlichen Dinge ins Leben riefen und an besonderen Orten ihren Geist und damit ihre spirituelle Energie hinterlassen haben. Die Periode, während derer das geschah, nennen die Ureinwohner "Traumzeit". Die Ahnenwesen sollen damals das Land, die Sprachen und die Menschen erschaffen und ihnen ebenjenen Teil der Welt dann anvertraut haben. Die göttlichen Ahnen teilten den Kontinent in unterschiedliche Regionen auf und schufen so die Stämme.
Heute gibt es mehrere Hundert Stammesgemeinschaften, die sich beinahe 300 verschiedener Sprachen bedienen. Die Clans pflegen zum Teil sehr unterschiedliche Rituale und folgen ureigenen Stammesgesetzen. Die Anthropologin Rasme Berolah:
"Unser Leben ist durch und durch von Spiritualität bestimmt. Dies ist etwas, das alle Stämme miteinander verbindet. Und: Unsere Identität ist eng mit unserem Land verknüpft, mit der Sprache, unserer Kunst, den Geschichten und den Träumen. Ausnahmslos alles wird von unserer Spiritualität berührt."
Für Ureinwohner, die sich ihrer alten Religion verbunden fühlen, dauert das Träumen ein Leben lang an: Sie können - ganz real oder imaginär - jederzeit auf ihren Traumpfaden wandeln und sich damit in die spirituelle Energie der Schöpfungszeit zurückversetzen. Das Träumen baut Aborigines eine Brücke zwischen jenem ewigen Moment der Schöpfung und einem bestimmten Landstrich oder ihren Totems, den als heilig angesehenen Pflanzen und Tieren. Rasme Berolah sagt:
"Unsere Spiritualität und der Teil des Landes, zu dem wir gehören, sind eng miteinander verzahnt. Wenn zum Beispiel das Gebiet, mit dem wir verbunden sind, aus irgendeinem Grund zerstört oder entehrt wird, gerät unsere ganze innere Welt aus den Fugen. Unsere Schöpfungsmythen, die sich auf die Traumzeit beziehen und unser spirituelles Träumen werden uns damit auf einen Schlag genommen. Das, was uns von anderen Menschen unterscheidet, alles, was uns einzigartig macht, wird ausgelöscht."
"Man bekommt immer nur das Negative zu hören"
Bob Sutor sagt: "Nach allem, was wir wissen, haben unsere Vorfahren wohl in erster Linie ein spirituell ausgerichtetes Leben geführt. Sie kümmerten sich um ihr Land, sie suchten auf den Traumpfaden Kontakt zu den Ahnenwesen und sie bewahrten ihre Geschichten, indem sie sie mündlich weiter gaben. Doch nach Ankunft der Weißen wurden sie aus diesem Leben herausgerissen. Sie sollten sich anpassen und die Werte der Europäer übernehmen. Daran sind viele Aborigines zerbrochen. Und das setzt sich fort, bis in die Generation, die heute in Australien lebt. Viele von uns wissen nicht mehr, wer sie sind, woher wir alle kommen - und dass wir, so unterschiedlich wir auch sein mögen, doch zusammengehören."
Bei seinen verstreut über Kleinstädte und winzige Ansiedlungen lebenden Clanmitgliedern kann Bob Sutor das Resultat dieser Entwurzelung immer wieder deutlich erkennen. Mehr als die Hälfte aller männlichen Aborigines zwischen zwanzig und vierundzwanzig Jahren haben bereits einen oder sogar mehrere Gefängnisaufenthalte hinter sich. Überdurchschnittlich viele Ureinwohner sind arbeitslos und arm. Und sehr häufig sieht Bob Sutor sich Clanangehörigen gegenüber, die große Probleme mit Alkohol und Drogen haben.
"Auf so etwas sind gewisse Medien natürlich scharf. Man bekommt immer nur das Negative über Aborigines zu hören. Man erfährt aber nichts über die jungen Leute, die ihr Studium abgeschlossen haben. Nichts über Aborigines, die sich politisch engagieren, die für unsere Landrechte kämpfen, große Prozesse gewinnen oder sich einfach um ihre Mitmenschen kümmern. Darüber hört man so gut wie gar nichts."
"Heilung" in der Natur
Bob Sutor nimmt seine Stammesangehörigen regelmäßig zu Exkursionen in den Busch mit. Damit sie dort die Wirkung des Heiligen erfahren und so, wie er es nennt, "heilen" können.
"Draußen im Busch geht es dann darum, meine Leute wieder in Kontakt mit unserem Land zu bringen. Es gibt nichts Schlimmeres für uns als die Verbindung zu unserer spirituellen Seele zu verlieren! Ich kann, ich darf über die Zeremonien nicht reden. Nur so viel: Meine Erfahrung ist, dass die Teilnehmer es fast immer schaffen. Die Leere weicht von ihnen, sie treten wieder nach draußen, ins Leben. Und Körper und Seele kommen endlich wieder zu Kräften."
Eigentlich haben wir doch alles, sagt Bob Sutor. Wir haben viel mehr als die gesamten Weißen zusammen. Wir wenden es nur nicht an.
"Im Ritual bitten wir unsere Traumzeit-Ahnen um Hilfe für diejenigen unter uns, deren Wurzeln verkümmert sind. Es klingt vielleicht zu simpel, zu naiv, aber es geht um nichts anderes als um die innere Rückkehr. Unsere Kultur ist so stark, so alt! Draußen, auf unserem Land, in der Stille, können wir all das wiederfinden. Unser Land und die Natur sind der Schlüssel zu alldem."