Migration
Wie Australien die Einwanderung steuern will

Fachkräftemangel, Corona-Folgen, demografischer Wandel – Australien hat teils ähnliche Probleme wie Deutschland. Das Land änderte deshalb auch seine Einwanderungspolitik an mehreren Punkten.

    Australische Regierungsvertreter bei einer Pressekonferenz im Dezember 2023 in Canberra
    Die Einwanderungspolitik ist eine Großbaustelle für die australische Regierung. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Lukas Coch)
    Australien ist ein großes Land mit einer kleinen Bevölkerung. Auf einer Fläche, die 22-mal so groß ist wie Deutschland, leben heute gerade einmal 27 Millionen Menschen. Die australische Regierung forciert die Einwanderung – gerade wegen des Fachkräftemangels nach Corona. Doch die Migrationspolitik wird kontrovers diskutiert.

    Inhalt

    Warum ändert Australien seine Einwanderungspolitik?

    Nach mehr als zwei Jahrzehnten beständigen Wachstums tritt Australiens Wirtschaft auf der Stelle. Wie anderswo fehlen wegen der älter werdenden Gesellschaft Fach- und Arbeitskräfte. Die Regierung wirbt daher offensiv um Beschäftigte aus dem Ausland und will damit die eigene Wirtschaft stimulieren. „Besondere Zeiten“, meint Innenministerin Clare O’Neil, verlangten besondere Maßnahmen.
    Während der Coronapandemie waren die Grenzen des Landes zweieinhalb Jahre lang geschlossen. Als Australien die Grenzen dann wieder aufmachte, dauerte es, bis Rucksacktouristen mit Working-Holiday-Visa und Saisonarbeiter zurückkehrten. Die Jobs blieben unbesetzt, überall fehlte es an Arbeitskräften und Personal.
    Die für die Migrationspläne zuständige Innenministerin betonte Ende 2023 die große Bedeutung der Einwanderung für Australien. Ausländische Berufstätige seien das "Salz in der Suppe" für das australische Erfolgsrezept, sagte O'Neil. Es sei aber ein "besser geplantes System" nötig, das um "zentrale Bereiche wie den Wohnmarkt" aufgebaut werden müsse.
    Australians Innenministerin Clare O'Neil
    Australians Innenministerin Clare O'Neil verteidigt die Neuausrichtung der Migrationspolitik. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Mick Tsikas)

    Welche Änderungen nahm die australische Regierung bei der Einwanderung vor?

    Für besonders gesuchte Berufsgruppen wurden bürokratische Hürden abgebaut. Die Prüfung und Anerkennung ausländischer Qualifikationen gingen jetzt schneller, sagt Innenministerin O’Neil. Zudem werde daran gearbeitet, die Wartezeit für Visa zu verkürzen.
    Australien: Gesamtbevölkerung von 1950 bis 2022 und Prognosen¹ bis 2050 (in Millionen Einwohner)
    Bis 2050 wird ein Anstieg der Bevölkerungszahl Australiens erwartet. (World Population Prospects 2022 / UN Desa / Statista)
    Die Innenministerin sagt dazu: “Wir wollen es der Wirtschaft einfacher machen, Fachkräfte am oberen Ende des Arbeitsmarktes zu bekommen. Menschen mit Qualifikationen, die wir dringend brauchen und die wir nicht erst jahrelang anlernen müssen. Das reicht von Psychologen bis hin zu Cyberexperten. In den 50er-Jahren hieß es für Australien: ‚Bevölkern oder zugrunde gehen!‘ Heute geht es darum, die am besten ausgebildeten Zuwanderer zu bekommen. Oder abgehängt zu werden.“
    Das angestrebte Quotensystem, das regeln soll, wer aus welchen Gründen einwandern darf, vergleicht die Migrationsforscherin Jay Song vom Asien-Institut der Universität Melbourne mit einem gut gemixten Cocktail: etwa 65 Prozent qualifizierte Fachkräfte, 25 Prozent Familienangehörige und zehn Prozent anerkannte Flüchtlinge. Dieser Mix, so die Migrationsforscherin, sei ein Garant für eine produktive, sozial ausgewogene und harmonische Gesellschaft.

    Welche Kritik gibt es an der neuen Einwanderungspolitik Australiens?

    Wirtschaftswachstum durch einen forcierten Bevölkerungszuwachs - viele stellen sich gegen die Politik der seit 2022 amtierenden Mitte-links-Regierung und deren Vision eines „großen“ Australien. Das sei zwar eine bequeme, aber keine richtige Strategie.
    Außerdem komme das sprunghafte Anwachsen der Bevölkerung zum falschen Zeitpunkt. Tatsächlich ist Energie heute so knapp und so teuer wie nie zuvor, obwohl das Land selbst viele Rohstoffe hat. Inflation, Lebenshaltungskosten, Hypothekenzinsen und vor allem Mieten steigen um die Wette.
    Im Dezember 2023 kündigte die Regierung aufgrund der Kritik an ihrer Politik wieder restriktivere Maßnahmen an. So sollten Sprachtests für Zuwanderer verschärft und der Zugang für bestimmte Migranten begrenzt werden. Im vergangenen Jahr war nach Auslaufen der Einschränkungen im Zuge der Coronapandemie eine knappe halbe Million Menschen nach Australien eingewandert. Nach dem Willen der Regierung unter Labor-Premierminister Anthony Albanese sollen diese Zahlen in den Jahren 2024 und 2025 in Richtung 250.000 sinken.
    Zwar brummt der australische Arbeitsmarkt, Probleme bereiten vielen Menschen aber die teilweise in die Höhe geschossenen Wohnkosten. In manchen Vierteln von Melbourne und Sydney waren die Mieten zuletzt binnen eines Jahres um 25 Prozent gestiegen. Die Verschärfung der Einwanderungsregeln sieht unter anderem drastisch höhere Gebühren für Ausländer vor, die Immobilien in Australien kaufen und sie dann leer stehen lassen.
    Eine deutliche Mehrheit lehnt die Vision eines „großen Australiens“ mit wachsender Migrantenzahl ab. Erst im letzten Dezember führte das Institut für öffentliche Angelegenheiten, eine Denkfabrik in Melbourne, eine landesweite Umfrage durch. Dabei sprachen sich 74 Prozent gegen hohe Einwanderungszahlen aus. Je mehr Menschen kämen, so die Befragten, desto mehr ginge auch der entspannte australische Lebensstil verloren.

    Was macht Australien, um die Zuwanderung zu bewältigen?

    Die Lebensbedingungen für Einwanderer sollen verbessert werden – durch ganz konkrete (Bau)-Maßnahmen. Lindsay Partridge vom Verband der australischen Baumeister in Sydney ruft dazu auf, bevorzugt Maurer, Elektriker, Klempner und Zimmerleute ins Land zu holen: “Es macht keinen Sinn, Ärzte und Krankenschwestern hierherzuholen, wenn sie nirgendwo leben können. Wir brauchen also erst einmal Handwerker, die für sie Häuser und Wohnungen bauen. 500.000 Heime sind für die kommenden Jahre geplant. Dafür benötigen wir auch genauso viele Handwerker. Denn das, was gebaut werden soll, entspricht einer Stadt so groß wie Canberra.“
    Eine weitere Herausforderung kommt hinzu. Australien hat ehrgeizige Klima- und Umweltziele. Wie will das Land diese Ziele erreichen, wenn weiter so viele Menschen zuwandern, und damit auch mehr Energie und Ressourcen verbraucht werden?
    Der Ökologe Tim Flannery warnt: „Australien ist groß, aber nicht sehr fruchtbar. Wasser ist knapp, wir haben immer häufigere und längere Hitzewellen. Unsere Infrastruktur daran anzupassen, ist schwierig. Es wäre besser für die Umwelt, wenn wir unser Bevölkerungswachstum verlangsamten.“
    Jay Song, Migrationsforscherin am Asien-Institut der Universität Melbourne, hält Australiens Einwanderungssystem indes für robust, belastbar und flexibel. Sie hat keine Zweifel daran, dass Australien den sprunghaften Anstieg der Einwandererzahlen bewältigen wird. Schließlich gebe es klare Kriterien, und die würden durchgesetzt.

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