Es ist Wahlkampf in Australien. Die Spitzenkandidaten knuddeln Babys, schütteln Hände, versprechen ihren Wählern das Blaue vom Himmel herunter und stellen bei Fernsehdebatten immer wieder die Vertrauensfrage. In der blauen Ecke: Premierminister Malcolm Turnbull, 61, Chef der konservativen Liberalen, Multimillionär, Rechtsanwalt und früherer Investmentbanker. Sein Herausforderer in der roten Ecke ist Labor-Führer Bill Shorten, 49, ein Mann der Straße, der sein Leben lang als Gewerkschafter gearbeitet hat. Zwei Politiker, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Eines aber haben sie gemeinsam: Beide wollen dafür sorgen, dass für Boots- und Wirtschaftsflüchtlinge die Hintertür nach Australien weiter fest geschlossen bleibt.
"Ein starkes Australien ist ein sicheres Australien. Wir haben die Menschenschmuggler gestoppt und damit verhindert, dass Flüchtlinge bei der Überfahrt auf hoher See ertrinken. Deshalb müssen wir weiter unsere Grenzen schützen. Und das werde ich tun, solange ich Premierminister von Australien bin."
Grenzen dicht, Patrouillen der Marine auf hoher See und Asylsuchende, die mithilfe von Schleppern per Boot nach Australien wollen, abfangen und wieder zurückschicken: Premier Turnbull hat die Flüchtlingspolitik seines Vorgängers Tony Abbott übernommen. Die sozialdemokratische Labor-Partei aber hat aus ihrer Niederlage bei der letzten Wahl gelernt. Damals genügte den Konservativen der Drei-Wort-Slogan "Stoppt die Boote", um an die Macht zu kommen. Deshalb wird es auch bei Labor unter Bill Shorten für Bootsflüchtlinge in Australien keine offenen Grenzen geben.
"Sollten wir die Wahl gewinnen, dann wollen wir uns für die Umsiedlung von Flüchtlingen in unserer Region stark machen. Wir wollen sie nicht auf unbestimmte Zeit internieren, aber auch verhindern, dass wieder unzählige Boote kommen. Wir dürfen nicht vor den Menschenschleppern kapitulieren."
Im Klartext: Für jeden, der per Boot ungebeten ins Land will, heißt es in Australien weiter "Betreten verboten". Seit 15 Jahren werden Asylsuchende, die von der Marine aufgegriffen wurden, weit weg vom australischen Festland in kleine Inselstaaten im Pazifik gebracht – in Auffanglager in Papua-Neuguinea und in der Südsee. Doch es gibt Ärger im Paradies. Ende April dieses Jahres urteilte Papua-Neuguineas oberster Gerichtshof, dass das Internieren von Flüchtlingen auf der Halbinsel Manus Island verfassungswidrig und, wie Richter George Manuhu betonte, mit sofortiger Wirkung zu beenden sei.
"Dieses Abkommen war im Interesse Australiens, aber nicht Papua-Neuguineas. Die Abermillionen Dollar, die unsere Regierung für das Unterbringen der Flüchtlinge bekommen hat, waren es nicht wert, die Verfassung unseres Landes zu ändern."
Harte Kritik vom Flüchtlingsanwalt
Im Camp von Manus Island sitzen 850 Internierte aus dem Irak, Iran und aus Afghanistan. Niemand halte sie dort fest, sagt die australische Regierung. Den Asylsuchenden stünde es frei, sich in Papua-Neuguinea niederzulassen, zurück in ihre Heimat oder nach Kambodscha zu gehen, ein Land, mit dem Australien ein Umsiedlungsabkommen hat. Die Flüchtlinge aber wollen nach Sydney, Melbourne oder Brisbane. "Nie und nimmer", hält Premier Malcolm Turnbull dagegen, nicht einer der Asylsuchenden werde je nach Australien kommen. Jetzt wollen die Internierten von Manus Island ihre Aufnahme vor Gericht einklagen. Mithilfe des Melbourner Flüchtlingsanwalts David Manne.
"Milliarden auszugeben, um Menschen ein- und wegzusperren, die in Australien ein sicheres Leben suchen, ist rechtlich, moralisch, praktisch und finanziell unhaltbar. So kann es nicht weitergehen. Die Regierung muss eine vernünftige Lösung für dieses grausame Problem finden."
Menschenrechtsgruppen und Flüchtlingsaktivisten fordern, die 850 in Papua Neuguinea Gestrandeten sofort nach Australien zu bringen. Sarah Hanson-Young, die Flüchtlingssprecherin der Grünen, geht noch einen Schritt weiter: Sie und ihre Partei wollen, dass künftig nicht ein Asylsuchender mehr ins Ausland abgeschoben wird.
"Premier Turnbull muss sich entscheiden: Will er ein Furcht verbreitender, politischer Feigling sein oder ein Staatsmann mit Anstand?"
Der letzte macht das Licht aus. Wohin die Asylbewerber von Papua-Neuguinea gebracht werden, entscheidet sich erst, nachdem Australien gewählt hat. Bis dahin gibt es nur noch ein ausländisches Auffanglager, das für Abermillionen australische Dollar Bootsflüchtlinge aufnimmt. Es liegt auf der Winzinsel Nauru, Einwohnerzahl 10.000, in der kleinsten Republik der Erde.
Südsee, Hintereingang. Die Palmen und Sandstrände täuschen, das Innere Naurus gleicht einer Mondlandschaft – das Überbleibsel der einst reichsten Phosphatvorkommen der Welt.
1.200 abgeschobene Asylsuchende sind dort untergebracht: In Baracken, hinter Stacheldraht, zwischen der örtlichen Müllkippe und einer leer geräumten Phosphatmine. Medien haben keinen Zutritt. Sozialarbeiterin Daniela Sartori aus Sydney arbeitete sechs Monate für eine Kinderhilfsorganisation auf Nauru, im Lager und mit Flüchtlingen, die sich auch außerhalb aufhalten dürfen. Noch in Australien bekam sie einen Anruf aus dem Einwanderungsministerium. Ein Beamter warnte sie, zu keiner Zeit alleine auf der Insel unterwegs zu sein.
"Das sagt mir: Die Behörde weiß genau, dass die Insel nicht sicher ist. Mich machte das wütend. Wie kann es sein, dass man sich um mein Wohlbefinden sorgt, aber Frauen und Kinder, die um Asyl suchen, dort frei herumlaufen lässt."
Mit jedem Wort, das Daniela Sartori über ihre Zeit auf Nauru verliert, macht sie sich strafbar. Die australische Regierung hat ein Maulkorb-Gesetz verabschiedet. Vom Wachpersonal bis zu den Grenzschützern auf hoher See: Jedem Mitarbeiter im Asylsystem ist jeglicher Kontakt mit der Presse streng verboten. Wer trotzdem redet, dem droht Gefängnis. Daniela ist das egal. "Jeder Australier", sagt sie, solle erfahren, was in seinem Namen auf Nauru geschehe.
"Ich habe selbst gehört, wie einheimische Wachmänner den Frauen, die Freigang hatten, drohten, was sie mit ihnen anstellen würden wenn sie erst aus dem Lager wären. Dafür hat Australien gewählt, dafür werden unsere Steuergelder ausgegeben. Wir müssen uns nur fragen: Sind wir damit auch einverstanden?"
"Die mangelnde Transparenz im und um das Lager ist ein enormes Problem"
Australiens Menschenrechtsbeauftragte Gillian Triggs musste monatelang mit dem Einwanderungsministerium verhandeln, um das Abschiebelager in Nauru besuchen zu dürfen. Ihr Bericht ist nicht gerade Bettlektüre: Triggs schreibt von Depression, von Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit bei den Internierten, von Willkür der Wachen, von sexuellen Übergriffen und Gewalt innerhalb und außerhalb des Lagers. Alles unter Ausschluss der australischen Öffentlichkeit.
"Die mangelnde Transparenz im und um das Lager ist ein enormes Problem und die Flüchtlinge, die sich außerhalb des Camps aufhalten dürfen, befinden sich in einem nahezu gesetzfreien Raum. Nauru ist kein erwachsener Rechtsstaat und weit weg von Australien. Auf der Insel gibt es keinen Schutz für Asylsuchende."
Nach immer mehr Ausschreitungen in Nauru, nach Selbstmordversuchen und Selbstverbrennungen, hat Australiens Menschenrechtsbeauftragte das Internieren von Asylsuchenden auf unbestimmte Zeit, ihre Isolation und die Geheimniskrämerei der Regierung scharf kritisiert. Und sie ist nicht die Einzige.
Doch obwohl es in den Großstädten immer wieder zu Protesten kommt, unterstützt die Mehrheit der Australier das harte Durchgreifen gegen Bootsflüchtlinge. Vor allem Einwanderer. Australiens Klein-Athen liegt mitten in der Innenstadt von Melbourne. Lonsdale Street ist eine baumlose Flaniermeile voller griechischer Cafés, Tavernen und Restaurants, die "Sorbas" oder "Mykonos" heißen und in denen samstagabends beim Sirtaki Wagenladungen von Tellern zerdeppert werden. In keiner Stadt der Welt findet man außerhalb Athens mehr griechischstämmige Einwohner als in Melbourne.
Im "Nikos-Cafe" geht es wieder einmal um Weltpolitik. Maria und Voula, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Australien kamen, schimpfen gerne auf die Sesselwärmer der griechischen Regierung in Athen. Ihre Kinder Roula und Con aber machen sich Sorgen um Australien und illegale Einwanderer. Warum sollten sich Menschen, die kriminelle Schlepper bezahlten, ihre Chance auf ein besseres Leben einfach erkaufen können, wenn es für ihre Familien Jahre dauerte, um legal nach Australien zu kommen? "Bootsflüchtlinge", sagen Roula und Con, "untergraben ein geordnetes Einwanderungsprogramm."
"Die Flüchtlinge haben nicht das Recht, einfach zu uns zu kommen und zu verlangen, dass ihnen Freiheit und Großzügigkeit auf einem Silbertablett gereicht werden – unsere Eltern hatten nichts. Sie mussten sich hier alles erarbeiten."
"Das sind Illegale. Sie drängen sich vor andere Flüchtlinge, die in Camps sitzen. Deshalb sollten wir keine Bootsflüchtlinge bei uns aufnehmen."
Unterstützt werden Asylsuchende von Pro-Flüchtlingsanwälten, die Einsprüche gegen Abschiebungen einlegen oder gegen die Bedingungen in Auffanglagern protestieren. "Das ist ihr gutes Recht", räumt Einwanderungsminister Peter Dutton ein, aber "sogenannte Aktivisten" versuchten immer wieder, die Flüchtlinge zu Verzweiflungstaten in den Camps zu bewegen, um dadurch ihre Aufnahme in Australien zu erzwingen.
"Diese Selbstverletzungen haben zugenommen und sind extremer geworden – mit schrecklichen Folgen. Ob Hungerstreiks oder Selbstverbrennungen: Asyl-Aktivisten benutzen das Leben der Flüchtlinge, um unsere Grenzen zu öffnen. Aber das ist nicht die Politik dieser Regierung, und keiner dieser Erpressungsversuche in den Flüchtlingslagern wird uns von diesem Kurs abbringen."
Regierung dreht Spielfilm zur Abschreckung
Ein Asylsuchender, der gar nicht erst nach Australien aufbricht, ist einer weniger, der später wieder abgeschoben werden muss. Die kompromisslose Haltung der australischen Regierung gegenüber Bootsflüchtlingen ist, seit Jahren, kein Geheimnis. Nicht im In- und schon gar nicht im Ausland.
Erst waren es Horror-Videos mit Haien, züngelnden Giftschlangen und Krokodilen mit weit aufgerissenem Maul, dann zeigte man die tödlichen Gefahren bei der Überfahrt: Schon vor 15 Jahren machte die australische Regierung Bootsflüchtlingen deutlich: Wer illegal versucht, nach Australien zu kommen, auf den wartet kein neues Leben, sondern Abschiebehaft. Doch die Boote kamen weiter, also schickte man sie wieder zurück und startete mehrsprachige Medienkampagnen in den Fluchtländern. Der Kommandeur des australischen Grenzschutzes blickte in Uniform direkt in die Kamera und warnte: Wer Menschenschmugglern glaube und versuche, sich auf dem Seeweg einzuschleichen, der werde gefasst – und würde nie auch nur einen Fuß nach Australien setzen. Wer trotzdem von der Marine aufgegriffen wird, landet in so abgelegenen Insel-Camps wie Nauru – aus den Augen aus dem Sinn. Seit drei Jahren hat nicht ein einziger Bootsflüchtling Asyl in Australien bekommen, und damit das auch so bleibt, ist die Regierung jetzt sogar unter die Filmproduzenten gegangen.
Ein Ausschnitt aus "The Journey - Die Reise", einem regierungsfinanzierten, 90-minütigen Spielfilm, der das Schicksal von Flüchtlingen zeigt, die versuchen, mithilfe von Schleppern nach Australien zu kommen. Eine Gruppe ertrinkt auf hoher See, von Menschenschmugglern auf einem überladenen Fischkutter im Stich gelassen. Andere Flüchtlinge bleiben zurück, registrieren sich bei UN-Hilfsstellen und bekommen am Ende Visa. "The Journey" wurde in Afghanistan, Irak, Iran, Malaysia und Pakistan mehrmals zur besten Sendezeit im Fernsehen gezeigt. Budget des Films: Vier Millionen Euro. Für Australiens Einwanderungsminister Peter Dutton sind das Peanuts. Denn echte Asylbewerber in echten Abschiebelagern kosten Milliarden.
"Millionen Menschen wollen nichts anderes, als nach Australien zu kommen. Aber wir entscheiden, wen wir bei uns aufnehmen – nicht Menschenschmuggler. Dieser Film wird Leben retten, wenn sich viele gar nicht erst auf den Weg machen. Denn wir nehmen niemanden auf, der per Boot zu uns kommen will."
In "The Journey" schafft es nicht ein Asylbewerber auf illegalem Weg nach Australien. Wer nicht unterwegs stirbt, endet in Abschiebehaft oder kehrt frustriert in die Heimat zurück. "Der Film ist unverhohlene Propaganda", kritisiert Graham Thom von Amnesty International. In einem aber zeige er die Wahrheit: Dass Australien jedes Mittel recht ist, um seine Landesgrenzen zu schützen.
"Dieser Film zeigt nichts von den Menschenrechtsverletzungen, vor denen diese Leute in der Regel fliehen. Nicht jedem geht es nur darum, ein besseres Leben zu haben. Australien diskriminiert nicht. Es zeigt allen Bootsflüchtlingen die kalte Schulter. Aber ob wir darauf stolz sein können – das ist eine andere Frage."
"Manchmal muss dabei Gewalt angewendet werden"
Der Mann, der wohl am stolzesten darauf ist, die illegale Einwanderung nach Australien gestoppt zu haben, ist Malcolm Turnbulls Vorgänger - der frühere Premierminister Tony Abbott. Er verwandelte Australien in eine Festung: Kein Durchkommen für Schlepperboote, Flüchtlinge abschieben, die Grenzen dicht machen. Jetzt rät Tony Abbott Europa, dasselbe zu tun. Menschen, die durch mehrere, sichere Drittstaaten gereist wären, seien keine Flüchtlinge mehr, sondern Migranten – nicht auf der Suche nach Sicherheit, sondern nach einem besseren Leben. Asyltouristen, die sich das Land aussuchten, das ihnen am meisten lebenslange Sozialhilfe verspreche und am wenigsten Integration abverlange. Abbott betont immer wieder: "Ohne sichere Grenzen ist kein Land mehr sicher". Auch nicht in Europa.
"Das bedeutet, Flüchtlingsboote wieder zurückzuschicken, jeden an der Grenze abzuweisen, der kein Recht auf Einreise hat, und Auffang- und Abschiebelager zu errichten. Manchmal muss dabei Gewalt angewendet werden, der Aufwand und die Kosten sind enorm. Aber es ist der einzige Weg, um zu verhindern, dass eine Migrantenwelle über Europa hinweg rollt und es für immer verändert.”
Etwa 250.000 Menschen finden jedes Jahr in Australien eine neue Heimat, darunter 13.000 Flüchtlinge aus Lagern überall in der Welt. Mehr will Australien nicht aufnehmen. "Wir können nicht jeden zu uns holen", heißt es bei beiden Großparteien – nicht ohne den sozialen Frieden im Land auf's Spiel zu setzen. Ob links oder konservativ: Die Regierung will weiter selbst bestimmen, wer wie nach Australien kommt, und diese Entscheidung nicht Menschenschmugglern überlassen, die Plätze auf kaum seetauglichen Booten meistbietend versteigern. "Alles andere", meint Premier Malcolm Turnbull, wäre Verrat am eigenen Volk. Und dazu gäbe es keine Alternative.