Es war wie das Rennen des Hasen gegen den Igel. Wo immer Australiens Premierminister Tony Abbott in den letzten Wochen auch hinging, die Reporter waren schon da und stellten ihm immer wieder die gleichen Fragen.
Wie könne die Regierung tatenlos bei der Flüchtlings-Katastrophe im Andamanen-Meer zusehen? Warum würde nichts unternommen, um tausende Verzweifelte, Frauen und Kinder, zu retten? Könne Australien nicht, wie andere Länder in der Region, den Migranten die Hoffnung auf eine neue Heimat geben? Doch Tony Abbotts Antwort war ohne jedes Mitgefühl: "Kommt nicht in Frage. Denn in Australien gilt für Bootsflüchtlinge: "Betreten verboten."
"Wir tun alles in unserer Macht, um dem Menschenschmuggel ein Ende zu bereiten, aber das erreichen wir nur, wenn wir eines völlig klar machen: Wer auf einem klapprigen Boot zu uns kommt, der wird abgewiesen. Flüchtlinge zu ermutigen in Boote zu steigen würde das Problem nur noch größer machen."
Einwanderung illegaler Bootsflüchtlinge ist gestoppt
Australien hat erreicht, wovon die Europäische Union träumt: Die Einwanderung illegaler Bootsflüchtlinge ist gestoppt. 2013 waren noch 20.000 Migranten über das Meer nach Australien gekommen, die meisten aus Afghanistan, Iran und Sri Lanka. 2014 und 2015 aber hat es kein einziges Flüchtlingsschiff auf das australische Festland geschafft. So wie es der konservative Premier Tony Abbott vor der Wahl versprochen hatte.
"Stop the boats - Stoppt die Boote": Der Drei Wort-Slogan verhalf Tony Abbott vor eineinhalb Jahren zur Macht. Den Menschenschleppern wurde der Krieg erklärt, Australien verwandelte sich in eine Festung. Abbotts erste Amtshandlung bekam den Decknamen Sovereign Borders". Seit Ende 2013 patrouillieren Militärschiffe der Marine in den Gewässern zwischen Indonesien, Papua-Neuguinea und Australien: Ihre Aufgabe: Alle Boote mit Flüchtlingen zu stoppen und zurückzuschicken. Australien wurde für ungebetene Migranten zum Niemandsland erklärt.
Viele beklagen die so multikulturelle Gesellschaft habe ihre Seele verkauft. Doch der harte Kurs gegen Bootsflüchtlinge ist populär. Nirgendwo mehr als in Gegenden, in denen viele Einwanderer leben.
Viele Asybewerber wollen nach Australien
Straßenfest in Leichhardt, Sydneys Italiener-Viertel. In der Norton Street riecht es nach Pizza, Cappuccino und Tiramisu. Die Bars und Cafés sind voll, es wird mit Händen und Füßen geredet. Über Fußball, den Papst - und über Asylbewerber. Die Älteren erinnern sich noch gut an die Zeit, als ihre Eltern nach dem Zweiten Weltkrieg nach Australien kamen. "Sie hatten nichts damals", erzählen Raye und Lino Tozzi von der Eisdiele im Einkaufszentrum. Und ihre Eltern bekamen auch nichts. Keine Unterkunft, keine Sozialhilfe, kein Arbeitslosengeld und auch keine Krankenversicherung. "Kein Wunder, dass heute so viele Asylbewerber nach Australien wollen", schimpft Raye. Denn für sie wäre schon gesorgt, noch bevor sie auch nur einen Finger gerührt hätten.
"Die Flüchtlinge haben nicht das Recht einfach zu uns zu kommen und zu verlangen, dass ihnen Freiheit und Großzügigkeit auf einem Silbertablett gereicht werden". - "Das sind Illegale. Sie drängen sich vor andere Flüchtlinge, die in Camps sitzen. Deshalb sollten wir keine Bootsflüchtlinge bei uns aufnehmen."
Die wenigen Bootsflüchtlinge, die von der australischen Navy nicht sofort zurückgeschickt werden, kommen in Auffanglager auf der winzigen Südsee-Insel Nauru oder auf Manus Island in Papua-Neuguinea. Bettelarme Dritte Welt-Länder, die am Entwicklungshilfe-Tropf hängen. Das menschliche Treibgut wird abgeschoben, aus den Augen aus dem Sinn - Flüchtlingskonvention hin oder her. Die australischen Grünen aber sehen rot. Sie sind die einzige Partei, die mehr Menschlichkeit für Bootsflüchtlinge fordert. Und dabei sind die Grünen nicht alleine.
Demo: "Free, free, the refugees. Free, free, the refugees..."
Protestmärsche und Unterschriftenaktionen: Immer wieder demonstrieren Australier dagegen Flüchtlinge im Ausland, auf unbestimmte Zeit und an gottverlassenen Orten hinter Stacheldraht einzusperren. Menschenrechtsgruppen fordern, dass sich Asylbewerber frei in Australien aufhalten dürfen, solange ihre Anträge bearbeitet werden.
Demo: "Say it loud, say it clear, refugees are welcome here"
Julian Burnside kann die Sprechchöre der Demonstranten in der Innenstadt von Melbourne oft bis in seine Kanzlei hören. Burnside ist einer der angesehensten Juristen des Landes und ein scharfer Kritiker der Asylpolitik der Regierung. Australien nimmt jedes Jahr etwa 20.000 Flüchtlinge auf. „Wir müssten mehr tun", glaubt Burnside. Schließlich kämen jährlich zehnmal so viele Einwanderer ins Land. Statistiken zeigen, dass 90 Prozent aller Bootsflüchtlinge als legitime Asylbewerber anerkannt werden. "Und trotzdem", beklagt Julian Burnside, "werden sie wie Kriminelle behandelt."
"Unsere Politiker haben ganz bewusst versucht Australier davon zu überzeugen, dass Bootsflüchtlinge das Gesetz brechen, wenn sie hierher fliehen. Dass sie etwas verbergen, weil sie keine Papiere bei sich haben. Deshalb ist es auch in Ordnung sie als Illegale" einzusperren. Das würde nicht passieren, wenn uns nicht eingeredet worden wäre, dass wir vor diesen Menschen etwas zu befürchten haben."
Flüchtlinge riskieren ihr Leben
Zu Besuch bei einem "Illegalen". Ali Samar ist vor zwei Jahren durch die Hintertür nach Australien gekommen. Mit einem scheuen Lächeln serviert der 20-jährige Tee und Fladenbrot, wie zuhause in Afghanistan. In der engen Mietwohnung im Westen von Sydney ist er nur Gast. Ali gehört zu den Hazara, einer wegen ihres Glaubens verfolgten ethnischen Minderheit in Afghanistan. Sein Vater wurde von den Taliban umgebracht und Ali ist sicher: Wäre er nicht geflohen, dann wäre er heute auch nicht mehr am Leben.
"Die Taliban haben meinem Vater den Kopf abgeschnitten. So werden die Hazara noch immer in Afghanistan bestraft. Auf der Bootsüberfahrt von Indonesien wäre ich beinahe ertrunken, aber die australische Marine hat uns gerettet. Ich habe die Chance auf ein zweites Leben bekommen."
Ali war 16 und alleine, als er in Australien ankam. Vier Monate lang saß er im Auffanglager von Nauru, bevor er nach Sydney, zu Michelle Tisch kam. Die 60jährige Sozialarbeiterin besorgte ihm Arbeit und gab ihm ein Zuhause, weil sie es nicht länger ertragen konnte, dass Asylbewerber in ständiger Furcht lebten wieder dahin zurückgeschickt zu werden, von wo sie geflohen waren. Flüchtlinge, die alles für ein neues Leben riskiert hatten. Flüchtlinge wie Ali.
"Weltweit gibt es 42 Millionen Flüchtlinge und wir geben jährlich drei Milliarden Dollar aus um tausende dieser Menschen in Lager zu stecken? Warum heißen wir sie nicht willkommen? Ich bin bitter enttäuscht, dass wir nichts weiter von unserer Regierung hören als Propaganda, Angstmacherei und Lügen."
Alis bester Freund heißt Hamid, ist 23 und stammt aus dem Iran. Die beiden teilten sich eine Baracke im Abschiebelager von Nauru. Ali war nur ein paar Monate da, Hamid aber drei lange Jahre. Unter den Folgen leidet er noch heute. Hamid hat Albträume und Ärger-Probleme. Die Schuld gibt er seiner Zeit im Lager. Die seelischen Narben von damals seien bis heute nicht verheilt.
"Die Insassen im Camp haben nicht die Wärter verletzt, sondern sich selbst. Sie stürzten sich vom Dach oder schnitten sich gegenseitig die Pulsadern auf. Manche hoben ihr eigenes Grab aus und es gab immer wieder Schlägereien. Kein Wunder, dass ein Kind wie ich in einer solchen Umgebung gewalttätig wird."
Journalisten haben keinen Zutritt
Die Lager von Manus Island und Nauru sind so entlegen wie notdürftig. Zelte und Baracken hinter Stacheldraht, Moskitos, Langeweile. Minimale medizinische Versorgung, maximale Isolation. Journalisten haben keinen Zutritt. Graham Thom ist Experte in Sachen Elend. Als Australiens Asylbeauftragter von Amnesty International hat er Flüchtlingslager auf der ganzen Welt besucht. Doch die Camps in Papua Neuguinea und Nauru haben sogar Graham Thom schockiert.
"Tagsüber ist es in den Zelten zu heiß; wenn es regnet wird in nassen Betten geschlafen. Es gibt nichts zu tun dort. Nichts als warten. Vielleicht für Jahre. Diese Unsicherheit bricht den Willen der Flüchtlinge. Ihre geistige und körperliche Verfassung wird von Tag zu Tag schlechter."
Anfang dieses Jahres legte die australische Menschenrechtskommission einen Untersuchungsbericht über die Zustände in Australiens Abschiebecamps vor. Gillian Triggs, die Präsidentin der Kommission, wollte vor allem herausfinden, welche Folgen Lagerhaft auf unbestimmte Zeit für Kinder hat. Die Ergebnisse waren alarmierend. Eines von drei Flüchtlingskindern litt unter psychischen Störungen, war depressiv, verweigerte Nahrung oder dachte an Selbstmord.
"Ganz Australien sollte sich für die Asylpolitik unseres Landes schämen. Wir verletzen unsere internationalen Pflichten. Dieser Bericht beweist wie menschenverachtend es ist Kinder einfach einzusperren. Nie wieder sollten Kinder in Australiens Namen so behandelt werden."
Premierminister Tony Abbott machte das Wachpersonal privater Sicherheitsfirmen für die Zustände in den Camps verantwortlich und tat den Bericht als "völlig einseitig" ab. Kinderärztin Elizabeth Elliott ist empört. Sie hat für den Report in Nauru und Manus Island mit Familien und Kindern im Alter zwischen drei und 15 Jahren gesprochen. Elliott hörte von tätlichen Angriffen auf Kinder, von sexuellen Übergriffen und von Kindern im Hungerstreik.
"Ein derartiger Missbrauch in früher Kindheit kann schwere Langzeitfolgen haben. Es gäbe einen Aufschrei, wenn es irgendwo in Australien zu solchen Vorfällen käme. Die Regierung ist für alles, was in den Lagern passiert verantwortlich. Der Einwanderungsminister hat diese Kinder in seiner Fürsorge."
"Hello, I'm Peter Dutton, Australia's Minister for Immigration and Border Protection....."
Peter Dutton ist unter Druck. Der australische Einwanderungsminister muss Tony Abbotts Wahlversprechen einhalten keine Bootsmigranten ins Land zu lassen, selbst wenn sie als Flüchtlinge anerkannt wurden. Den gut 1.000, die in Nauru sitzen, hat Dutton jetzt, per Video, ein Angebot gemacht: Umsiedeln nach Kambodscha. Ein neuer Start in einem Land noch weiter weg von Australien.
Die Abmachung mit der kambodschanischen Führung kostet Canberra 40 Millionen US-Dollar. Und obwohl es international als korruptes Arme-Leute-Land gilt, das die Menschenrechte von Flüchtlingen mit Füßen tritt, preist Peter Dutton Kambodscha als das Paradies Südostasiens an.
"Ein Umsiedeln nach Kambodscha ist die Gelegenheit für einen Neuanfang in einem demokratischen Land, das niemanden verfolgt und vielfältige Job-Möglichkeiten bietet. Kambodscha ist ein lebendiges Land mit vielen Völkern, Kulturen und Religionen."
Ertrunken auf hoher See
Wer es auf Umwegen bis nach Kambodscha oder auch nur in eines der australischen Abschiebelager schafft, der hat noch Glück gehabt. Tausende Bootsflüchtlinge sind in den letzten Jahren im Indischen Ozean umgekommen. Ertrunken auf hoher See. Wie viele genau weiß niemand. Nicht einmal die Seeleute der australischen Marine, die versucht haben ihnen zu Hilfe zu kommen - und oft nur noch Leichen aus dem Wasser fischen konnten.
"Die Körper der Ertrunkenen sind aufgedunsen und unkenntlich. Man kann sie nur bergen, wenn man sie packt und an Bord zerrt. Dabei hat sich oft einfach das Fleisch von den Knochen der Leichen gelöst Wer so etwas einmal gesehen hat, der wird es nie wieder vergessen."
Troy Norris bekommt die Gesichter toter und sterbender Bootsflüchtlinge einfach nicht aus dem Kopf. 13 Jahre lang war der frühere Seemann an der Front im Kampf gegen den Menschenschmuggel. Norris diente auf Patrouillenbooten in den Gewässern zwischen Indonesien und Australien. Er half mit dutzende Flüchtlingsboote zu stoppen. Heute leidet er unter posttraumatischem Stress und ist wieder Zivilist. Vergessen aber kann Troy Norris nicht. Nicht die kilometerlangen Leichenketten und schon gar nicht die Verzweifelten, die er im Ozean zurücklassen musste, weil an Bord kein Platz mehr war.
"Niemand hört von den Booten, die es nicht schaffen und niemand hört davon, dass Berge von Leichen geborgen werden. Aber das Schlimmste war: Manche Überlebende zu retten und andere sterben zu lassen. Das war wie Gott zu spielen und machte mir schwer zu schaffen."
Trifft eine Grenzpatrouille der australischen Marine heute auf ein nicht mehr seetaugliches Flüchtlingsschiff, dann wird es versenkt. Die Insassen werden auf ein Rettungsboot umgeladen und wieder dorthin zurückgeschickt, wo sie her-kamen. Ein zweifelhafter Luxus, den die EU-Staaten nicht haben. Vor drei Jahren wurde Italien vom Europäischen Gerichtshof verurteilt, weil die Behörden afrikanische Flüchtlinge nach Lybien abgeschoben hatten. Um zu verhindern, dass Migranten erst gar nicht versuchen übers Meer nach Australien zu kommen, warnt die Regierung Abbott mit weltweiten Anzeigenkampagnen, dass kein Bootsflüchtling jemals die Chance auf ein neues Leben in Australien hat.
Ausschnitt: Anti-Bootsflüchtlings-Spot der Regierung
Jede Verschärfung der australischen Asylpolitik wird damit begründet Leben retten zu wollen. Für Mark Lewis vom UN-Flüchtlingshilfswerk ist das nichts weiter als eine Ausrede. Es werde Zeit, dass das Einwanderungsland Australien das zynische Monopoly mit dem Leben Unschuldiger beende.
"Der gute Ruf Australiens als aktiver Weltbürger steht auf dem Spiel, wenn sich die Regierung fast ausschließlich mit den Problemen rund um Asylbewerber beschäftigt. Europa hat es mit viel höheren Flüchtlingszahlen zu tun und die Haltung "Je grausamer wir sie behandeln, desto weniger werden kommen", wird international scharf verurteilt. Außenpolitisch ist das ein großer Fehler, der Australien noch teuer zu stehen kommen wird."
Ob Kambodscha, das gegen Bezahlung Flüchtlinge aus australischen Abschiebelagern aufnimmt oder Länder wie Sri Lanka, Indonesien oder Malaysia, die hunderte Flüchtlingsboote gestoppt haben, bevor sie überhaupt ausliefen, Australien hat Rückendeckung im Kampf gegen ungewollte Einwanderer. Ähnliche Hilfe hat die EU südlich des Mittelmeeres nicht. Doch Australiens hartes Vorgehen gegen Migranten zum Vorbild zu nehmen wäre trügerisch: Denn die Flüchtlinge leiden weiter und sie sterben weiter - nur eben anderswo. Es stimmt: Australien hat die Boote gestoppt - aber zu welchem Preis?