Es war das Jahr 2013, als Australien dem Menschenschmuggel den Krieg erklärte und sich in eine Festung verwandelte. Wer per Boot illegal durch die Hintertür ins Land wollte, für den hieß es: Betreten verboten! Die australische Regierung sprach Asylbewerbern die Legitimation ab, weil sie durch mehrere sichere Drittländer gereist seien. Statt von Flüchtlingen sprach man von Asyltouristen. Der damalige Einwanderungsminister Scott Morrison erklärte Australien für ungebetene Migranten zum "Niemalsland":
"Auch wenn sie als Flüchtling anerkannt werden: Australien wird sie nicht aufnehmen! Sie bleiben außerhalb unserer Grenzen, bis sich ein anderes Land findet, das sie aufnimmt."
"Wir verbannen Menschen aus den Augen, aus dem Sinn"
Heute ist Morrison nicht mehr Einwanderungs-, sondern Australiens Premierminister. An der Flüchtlingspolitik des Landes hat sich nichts geändert. Noch immer sitzen 239 Asylbewerber in Auffanglagern auf der Südseeinsel Nauru und in Papua-Neuguinea teils seit Jahren fest. In Camps, die Kritiker als "menschenunwürdig", die Regierung als "adäquat" bezeichnen. Die Insassen könnten sich schließlich außerhalb der Lager frei bewegen. Die Schlepperboote sind gestoppt, niemand ertrinkt mehr bei der Überfahrt. Migrationsforscherin Jane McAdam glaubt trotzdem, Australiens multikulturelle Gesellschaft habe ihre Seele verkauft und dabei ihren guten, internationalen Ruf ramponiert:
"Niemand möchte, dass Menschen auf hoher See sterben, aber wir verbannen Menschen aus den Augen, aus dem Sinn. Wir verschwenden 400.000 Euro im Jahr pro Flüchtling, um das Problem außer Landes zu halten. Jetzt sterben Flüchtlinge eben woanders."
Gezielte Einwanderung
Australien lehnt den "UN-Migrationspakt für eine sichere und geordnete Migration" entschieden ab, man setzt strikt auf gezielte Einwanderung. Wer qualifiziert und gut ausgebildet ist, Englisch spricht, Arbeit hat und nicht vorbestraft ist, der darf bleiben. So nimmt Australien jedes Jahr 200.000 Einwanderer auf, dazu 20.000 Flüchtlinge, die aus Auffanglagern überall auf der Welt umgesiedelt werden. Aus Lagern in Jordanien, Kenia oder Pakistan. Eine Politik, die der heutige australische Botschafter in London, Alexander Downer, als Kabinettsmitglied und damaliger Außenminister mit auf den Weg gebracht hat. "Das ist ein geordnetes Programm, das wir uns von niemandem aushöhlen lassen", betont Downer. Nicht von den Vereinten Nationen, nicht von der NGO-Flüchtlingslobby – und schon gar nicht von Aktivisten, die, auch in Australien, offene Grenzen forderten:
"Es gibt eine großangelegte Kampagne unsere Flüchtlingspolitik aufzuweichen und uns dazu zu bringen jeden aufzunehmen, der nach Australien will. Wir aber wollen entscheiden, wer zu uns kommt und unter welchen Umständen. Wir sehen, was gerade in Europa passiert. Australien wird garantiert nicht gegenüber Menschenschmugglern klein beigeben."
Niemand ist sicher
Was Abschiebungen betrifft, diskriminiert Australien nicht. Niemand ist sicher. Auch nicht im eigenen Land, nicht einmal die nächsten Nachbarn. Keine andere Nation hat mehr Bürger in australischer Abschiebehaft sitzen, als Neuseeland. Etwa 600.000 Neuseeländer leben permanent in Australien. Wegen des Lebensstils, wegen besserer Jobs. Sie verdienen mehr und arbeiten mehr als Zuhause und zahlen mehr Steuern als Australier. Sie gelten als Australiens beste Einwanderer. Außer sie werden straffällig.
Jahrzehntelang hatten Neuseeländer uneingeschränkt das Recht in Australien zu leben und zu arbeiten – und umgekehrt. Dann verschärften die Australier ihr Einwanderungsgesetz. Haftstrafen von über zwölf Monaten führen jetzt zur sofortigen Abschiebung, Aufenthaltsgenehmigungen können für Nicht-Australier schon bei Kleindelikten oder sogenanntem "schlechtem Charakter" entzogen werden. Davon besonders betroffen: Neuseeländer. Peter Dutton, damals Innenminister und Architekt des Gesetzes:
"Jedes souveräne Land der Welt hat das Recht, Straftäter in ihr Herkunftsland zurückzuführen. Das würde Neuseeland genauso mit einer Person machen, die die dortigen Gesetze verletzt hat."
"Verletzung der Menschenrechte"
Wer straffrei im Land lebe, habe nichts zu befürchten, heißt es von australischer Seite. Wer die australische Staatsbürgerschaft besitze, der würde auch nicht abgeschoben. Neuseelands Justizminister Andrew Little aber protestiert, dass, wie jüngst geschehen, selbst 15-Jährige ausgewiesen werden, die ihr ganzes Leben in Australien verbracht haben. Neuseeland sei nicht der Abladeplatz für Australiens Probleme:
"So handelt nicht unser bester Freund und Nachbar. Das ist nicht der Geist, in dem unsere Länder miteinander gewachsen sind. Neuseeländer, die nur ein Leben in Australien kennen, einfach zu uns abzuschieben, ist eine Verletzung der Menschenrechte."
Ausweisung wegen "schlechten Charakters"
Familien würden auseinandergerissen, so Little, Menschen entwurzelt und permanent verbannt. 3.000 Neuseeländer in den letzten fünf Jahren. Wer einmal ausgewiesen wurde, darf nicht wieder nach Australien zurück. Auch nicht Neuseeländer, die nur wegen Bagatelldelikten oder, wie Troy Atkins, wegen seines so genannten "schlechten Charakters" abgeschoben werden.
Troy Atkins hat eine schlechte Woche. Seine Kinder weinen am Telefon. Sie wissen, dass Papa eingesperrt ist und bald weggehen muss aus Australien. Filipa Payne versucht, Troy über FaceTime aufzumuntern. Er sitzt in Westaustralien, sie, 5.000 Kilometer weit weg, in Christchurch, Neuseeland. Von dort betreut Filipa ehrenamtlich Neuseeländer, die, inhaftiert in Australien, auf ihre Ausweisung warten. Sie hält Kontakt, schickt ab und zu ein Paket mit Kiwi-Snacks. Filipa kümmert sich, weil sich sonst niemand kümmert. Vor allem um die, die in ein Land zurück sollen, an das sie sich kaum erinnern.
"Fast jeder in Abschiebehaft ist in Australien aufgewachsen. Die meisten haben dort zwischen zehn und 30 Jahre lang gelebt. Sie fühlen sich nicht als Neuseeländer. Ist es nicht eine moralische und ethische Verpflichtung die Verbindung dieser Menschen zu Australien anzuerkennen?"
Redwood, am Stadtrand von Christchurch. Eine Gruppe Bauarbeiter steigt auf das Dach eines weißgetünchten Einfamilienhauses. Unten werden die Schindeln nach Maß zurechtgestutzt, oben zentimetergenau verlegt. Milo Hudson, einer der Dachdecker, ist ein 501er. So werden die Australien-Abgeschobenen nach dem Ausweisungsgesetz genannt, das sie zurück nach Neuseeland befördert hat.
"Häftlinge haben sich selbst angezündet"
Milo war 15, als er mit seinen Eltern nach Australien zog. 17 Jahre später, nach mehreren Vorstrafen, von Körperverletzung bis Drogenhandel, wurde er ausgewiesen. Nach geltendem Recht darf Milo nie wieder nach Australien einreisen.
"Mit 25 geriet ich auf die schiefe Bahn und in die Drogenszene. Ich saß drei Jahre im Gefängnis, danach wurde mein Visum eingezogen. Man sagte mir: Du kannst von Neuseeland aus Einspruch erheben oder solange hier in Abschiebehaft sitzen."
Gegen eine Ausweisung gerichtlich vorzugehen kann Monate, manchmal Jahre dauern. Milo saß in Villawood, einer Haftanstalt in Sydney, in der illegale Einwanderer, abgelehnte Asylbewerber und Visumsüberzieher bis zu ihrer Abschiebung untergebracht sind. Drei Monate hielt es Milo dort aus.
"Häftlinge haben sich selbst angezündet, einer stieg mit einer Schlinge um den Hals aufs Dach. Andere nähten sich die Lippen zu, um ein Bleiberecht zu erzwingen. Das waren nicht die Neuseeländer, sondern die Iraner, die dort einsaßen. Es war schrecklich. Ich wollte nichts als raus."
"Von heute auf morgen saß ich hinter Gittern"
Tua Tamahori wollte unbedingt bleiben. Seine Frau ist Australierin, seine vier Kinder wurden in Brisbane geboren. Tuas Visum war annulliert worden, weil er Mitglied des Rebel Motorrad Clubs war. Maori-Gesichtstattoo, ärmelloses Muskelshirt und Oberarme, wie man sie nicht im Fitnessstudio bekommt: Tua war Türsteher im Club. Aber als die Rebels von der westaustralischen Regierung als kriminelle Vereinigung eingestuft wurden, landete er im Hochsicherheitsgefängnis von Perth.
"Von heute auf morgen saß ich hinter Gittern. Das ist schwer zu verarbeiten. Aber ich wehrte mich. Zusammen mit anderen Neuseeländern, die von dort abgeschoben werden sollten, verklagten wir die Regierung. Das höchste Gericht gab uns Recht. Wir bewiesen allen, dass unsere Behandlung nicht verfassungsgemäß war. Wir haben den Prozess gewonnen."
Doch Tuas Sieg war teuer erkauft. Australiens damaliger Innenminister Peter Dutton machte von seiner Macht als letzter Instanz in Einwanderungsangelegenheiten Gebrauch, und erklärte Tuas Visum erneut für ungültig. Diesmal unwiderruflich. Nach nur einer Nacht in Freiheit wurde Tua wieder in Abschiebehaft genommen. Seine Familie verstand die Welt nicht mehr.
"Ich hatte meine Kinder gerade zum ersten Mal nach 22 Monaten wiedergesehen. Und dann musste ich ihnen sagen: Papa ist schon wieder seine Aufenthaltsgenehmigung weggenommen worden. Sie waren am Boden zerstört. Mir brach es das Herz."
Vorurteile gegen Abgeschobene
Tua und seine Familie entschieden sich, die Koffer zu packen. Sie gingen nach Neuseeland zurück und fingen dort wieder ganz von vorn an. In Blenheim, an der Spitze der Südinsel, da wo Tua geboren wurde. Ein Schulfreund gab ihm Arbeit in seiner Autowerkstatt, ohne Fragen zu stellen.
"Die Leute hier halten mir nicht ständig die Sache mit dem Motorradclub vor. Für sie bin ich nur ein normaler Kiwi-Junge, der vor langer Zeit, diese Stadt verlassen hat. Ich habe nur noch Zeit für meine Freunde und meine Familie. Mit Leuten, die Vorurteile haben, gebe ich mich nicht ab."
Er lässt die Finger von Drogen, hat seine zwei Motorräder angemeldet und zahlt pünktlich seine Steuern: seit er wieder zurück ist, ist Tua ein Muster-Neuseeländer. Doch die Vorurteile gegen die 501er-Abgeschobenen aus Australien kommen nicht von ungefähr.
Die Zahlen sind ernüchternd. Über 40 Prozent aller abgeschobenen Australien-Rückkehrer werden in Neuseeland straffällig. Dachdecker Milo Hudson brauchte ein halbes Jahr bis er nach seiner Abschiebung in Neuseeland Arbeit fand. Wer wie er ausgewiesen wurde, hat einen entsprechenden Eintrag im Führungszeugnis, der es schwer macht, einen Job oder eine Bleibe zu finden. "Gangs oder Motorradclubs werden dann für viele zu einer Art Ersatzfamilie", sagt Miles. Waren sie in Australien in schlechter Gesellschaft, dann gerieten sie in Neuseeland oft in noch schlechtere.
"80 Prozent meiner Kumpels, die wieder hier sind, sitzen im Gefängnis. Sie kommen zurück und haben nichts. Ihre Familien sind in Australien, sie haben niemanden, der sie unterstützt. Man hat sie in ein Land geschickt, das sie nicht kennen. Sie sagen sich: "Scheiß‘ drauf. Mir ist alles egal, ich mache Randale."
Gezielte Beschäftigungsprogramme
Die neuseeländische Regierung will jetzt mit gezielten Beschäftigungsprogrammen für die ausgewiesenen Australienrückkehrer verhindern, dass sie wieder in die Kriminalität abdriften. Die Proteste gegen Australiens Abschiebepolitik kommen laut und regelmäßig aus der Hauptstadt Wellington. Ohne Erfolg. "Die Australier lassen einfach nicht mit sich reden", beklagt Winston Peters. Er hat als früherer Außenminister Neuseelands selbst jahrelang in Canberra vergeblich auf Zugeständnisse gedrängt. Echten Druck auszuüben sei schwierig, gibt Peters zu, schließlich seien Australien und Neuseeland nun einmal aufeinander angewiesen:
"Wohl zu keiner Zeit, seit 1945, brauchten sich unsere beiden Länder mehr als heute. Australien und Neuseeland müssen den Frieden im Pazifik bewahren und zusammen für die Sicherheit und den Wohlstand in der Region sorgen. Deshalb sollten unsere beiden Länder sehr achtsam miteinander umgehen."
Wie eine Strafkolonie
Eines wird in Neuseeland aber gerne verschwiegen: Die Regierung Ardern schiebt genauso ab wie Australien. Vor allem Menschen aus der Südsee, die meisten aus Tonga, Samoa und Fidschi. Mit etwa 1.200 Männern und Frauen in den letzten fünf Jahren sind die Zahlen geringer, das Prinzip aber ist dasselbe. Wer gewalttätig oder straffällig wird, und keinen neuseeländischen Pass besitzt, der wird zurückgeschickt. Ohne Wenn und Aber. Selbst in kleine Inselstaaten, die weder das soziale Netz noch die finanziellen Möglichkeiten haben, völlig Kulturfremde, die oft ihr ganzes Leben im modernen Neuseeland verbracht haben, in eine traditionelle polynesische Gesellschaft einzugliedern. Trotzdem wirft Neuseeland Australien vor, es wie seine Strafkolonie zu missbrauchen.
Der 25. April ist einer der höchsten Feiertage in Australien und Neuseeland. Am ANZAC-Day wird den Opfern der engen, gemeinsamen Militärvergangenheit beider Länder gedacht. Seit dem Ersten Weltkrieg standen und starben australische und neuseeländische Soldaten in bewaffneten Konflikten und bei Friedensmissionen Seite an Seite. Von Gallipoli in der Türkei und Nordafrika über Vietnam und Irak bis hin zu den Salomonen oder Osttimor.
"Australian and New Zealand Army Corps"
Der Begriff "ANZAC", für "Australian and New Zealand Army Corps", ist mehr als nur ein Kürzel. Er steht auf Denkmälern und Brücken, Kasernen und Schiffen in Australien und Neuseeland. ANZAC ist das Symbol der besonderen Beziehung beider Nachbarn im südlichen Pazifik. In Kriegs- wie in Friedenszeiten. Eine enge Freundschaft, die durch Australiens strenge Aufenthaltsgesetze immer wieder getestet wird.
Die australische Regierung aber bleibt hart. Sie will sich von niemandem in ihre Abschiebepolitik hineinreden lassen. Weder von Flüchtlingsverbänden noch von anderen Ländern. Auch nicht von Neuseeland. Und daran, versichert Australiens früherer Außenminister Alexander Downer, der die Regeln mit auf den Weg gebracht hat – daran werde sich auch in Zukunft nichts ändern. Denn, in Australien leben zu dürfen, sei nun einmal kein Recht, sondern ein Privileg:
"Ich glaube die meisten Menschen in der westlichen Welt verstehen den Wert eines geordneten Einwanderungsprogramms, das nicht von Menschenschmugglern bestimmt wird. Viele glauben, wir sollten jeden aufnehmen, der nach Australien kommen will. Das werden wir bestimmt nicht tun. Niemals werden wir das tun."