"Prosa ist Schwerstarbeit, Dichtung nicht, Dichtung ist Singen."
Das sagte Les Murray 2011 während einer Lesereise durch Deutschland. Der australische Autor überzeugte mit seinen leisen, melodiösen Versen:
"Wollhaargras
Einfach wie Flechtwerk fast das ganze Jahr
erwacht dieses zerzauste Gras im Oktober
entlang den Landstraßen in einer Wolke von
Sagoblüten, von rötlich-braunen Knoten
geknüpft in einem formlos wolligen Plasma
erwacht dieses zerzauste Gras im Oktober
entlang den Landstraßen in einer Wolke von
Sagoblüten, von rötlich-braunen Knoten
geknüpft in einem formlos wolligen Plasma
doch bring das Gespinst vor die Sonne
und es entflammt rosé geschliffene
Kelche und Krüge. In Gottes Namen
flüssiger Opal von einem Parallelufer,
blendender Tau zu jeder Tageszeit."
und es entflammt rosé geschliffene
Kelche und Krüge. In Gottes Namen
flüssiger Opal von einem Parallelufer,
blendender Tau zu jeder Tageszeit."
Seine Welt war die des Hörens
Gott – hier und da gab der tiefgläubige Katholik Murray ihm unaufdringlich auch in seinen Versen Raum: als Erklärung für die umwerfende Schönheit der Natur oder, wie im Gedicht "Die letzte Begrüßung", um seinen verstorbenen Vater vor atheistischen Bekehrern in Schutz zu nehmen. In fast allen seinen Gedichten sei, so Murray, das lyrische Ich mit dem Autor identisch. Was er dichtend beschrieb, hatte er beobachtet, erlebt oder mittelbar erfahren: den Suizid der Kollegin seiner Frau, die Umweltzerstörung durch den Menschen, die Klänge und Formen der Natur:
"Die Frauen haben bessere Nasen als ich. Meine Frau schnüffelt, was ich zum Mittagessen gehabt habe. Ein Sinn, dessen ich mächtig bin, ist das Gehör. Die Hörwelt ist in ihrer Art und Weise bunt. Und die Sichtwelt. Aber meine Geruchswelt ist begrenzt."
Les Murray wurde 1938 in der australischen Kleinstadt Nabiac geboren und wuchs unweit davon auf einer Farm auf, in einer Gegend, in der seit dem 19. Jahrhundert auch deutsche Auswanderer leben. In "Fredy Neptune", Murrays von der Kritik hochgelobtem Versepos, steht dann auch ein Australier deutscher Herkunft im Zentrum. 1957 ging Les Murray nach Sydney und studierte moderne Sprachen, darunter Deutsch. Während des Studiums, das er nie abschließen sollte, nahm er sich eine Auszeit, verkaufte seinen Besitz und trampte wie in Trance durch Australien. Zurück in Sydney, der Zivilisation noch immer entfremdet, wurde er zum ersten Mal depressiv. Mit Ende vierzig kehrte Murray, schon ein angesehener Dichter, aufs Land zurück, um sich um seinen sterbenden Vater zu kümmern. Die Folge: seine schwerste Depression.
"Meine Dämonen warteten auf mich in dem Landstück. Und ich musste eine Abrechnung mit denen erreichen. Und die Dämonen sind kühne Geschöpfe, aber die sagen einem nicht, wo der Hund begraben liegt: 'Wo ist mein Hund begraben?' - 'Wir wissen das. Das musst du aber selbst rausfinden!'"
Glaube und Dichtung - seine zwei Leidenschaften
1997 reflektierte Les Murray seine Depression in "Killing the Black Dog" (deutsch: "Der Schwarze Hund"), einem schmalen Band aus einem Essay und Gedichten. Es wurde sein meistgelesenes Buch. Längere Prosatexte wie ein Roman von 1980 blieben die Ausnahme. Weltweite Anerkennung verschafften Murray bis zuletzt seine betörend schönen Verse, in denen er tragische bis komische Töne anschlagen konnte, präzise Beobachtungen spiegelte und lautmalerisch spielte. Die wahre Kunst sei die Lyrik, sagte Les Murray einmal, Prosa sei nur Journalismus. Mit solchen Aussagen konnte er genauso verstören wie mit seiner mitunter mürrischen Laune; die mit seinen feinfühligen Versen zusammenzubringen, konnte einem schwerfallen. Murray fiel es dagegen offensichtlich leicht, den Glauben und die Dichtung, seine zwei Leidenschaften, miteinander zu verbinden:
"Spiritualität?
schnaubte sie. Und Poesie?
Die sind wie Gelb und Gold."
schnaubte sie. Und Poesie?
Die sind wie Gelb und Gold."