Archiv

Australischer Kardinal im Vatikan
Karriere trotz Missbrauchsskandal

In Australien steht Kurienkardinal George Pell vor Gericht. Vor Jahrzehnten soll er sich an Minderjährigen vergangen haben. Die Vorwürfe gegen den früheren Erzbischof von Sydney sind schon lange bekannt, Karriere machte er in Rom dennoch. Sein Fall zeigt die Widersprüchlichkeit der päpstlichen Politik.

Von Sarah Zerback |
    Der australische Kardinal George Pell bei einer Pressekonferenz im Vatikan am 29. Juni 2017 (Bild: AFP / Alberto Pizzoli)
    Er sei nicht hier, um zu rechtfertigen, was sich nicht rechtfertigen lasse, sagt Kurienkardinal George Pell. (AFP / Alberto Pizzoli)
    Hunderte Kinder, missbraucht von hunderten australischen Priestern, die sich gegenseitig gedeckt haben und die geschützt wurden – auch durch George Pell, den ehemaligen Erzbischof von Melbourne und Sydney. So der Vorwurf. Persönliche Schuld weist der Kurienkardinal jedoch vehement zurück. Lediglich eine allgemeine Verantwortung der Kirche habe es gegeben.
    "Die Kirche hat es verbockt und Menschen im Stich gelassen, an vielen Orten, gewiss auch in Australien. Ich bin nicht hier, um das zu rechtfertigen, was sich nicht rechtfertigen lässt", sagt Kardinal Pell bei seiner Befragung im Vatikan – nur wenige Monate, bevor er in seiner Heimat Australien nun selbst vor Gericht steht. Er, der mächtige Mann in Rom, soll sich vor Jahrzehnten an kleinen Jungen vergangen haben. Für den Heiligen Stuhl sind die Anschuldigungen äußerst unangenehm. Hatte Papst Franziskus doch angekündigt, Missbrauchsfälle und andere schwerwiegende Delikte in der katholischen Kirche strenger aufzuklären. Dazu hat er ein neues Gremium geschaffen, das Kirchenrecht weiter verschärft und die Taten öffentlich verurteilt.
    "Das ist, wie wenn man eine schwarze Messe feiert", sagte Franziskus. "Ein Priester, der das tut, ist Verräter am Leib des Herrn. Weil dieser Priester dieses Kind, das kleine Mädchen, den Buben zur Heiligkeit führen soll. Dieser Bub, dieses Mädchen haben Vertrauen. Und dieser, anstatt sie zur Heiligkeit zu leiten, missbraucht sie. Und das ist sehr schlimm."
    Franziskus hat die Opfer außerdem um Vergebung gebeten. Ein Signal, das den Betroffenen sehr wichtig ist – und das ihnen doch so oft verwehrt bleibt, wie jüngst bei den Regensburger Domspatzen. Trotz massiver Kritik war Kardinal Gerhard Ludwig Müller nicht bereit, sich für Versäumnisse bei der Aufklärung zu entschuldigen oder diese auch nur zuzugeben. Auch zu persönlichen Gesprächen mit den Betroffenen ist es jetzt, nachdem das Ausmaß des Missbrauchsskandals in seinem früheren Bistum aufgeklärt ist, nicht gekommen. Dabei ist das ein Teil der Aufarbeitung, den Papst Franziskus verlangt und auch selbst praktiziert. Immer wieder empfängt er Betroffene persönlich im Vatikan, wie Hedwig Herrath-Beckmann aus dem Münsterland.
    Sie sagt: "Je mehr über dieses Thema gesprochen wird und je ehrlicher man darüber wird, desto mehr Kinder kann man vielleicht davor schützen, denn die Kinder leiden ein Leben lang darunter, wenn sie missbraucht werden. Und das ist ganz, ganz furchtbar. Man darf die Täter nicht ungeschoren davonkommen lassen."
    "Es geht viel zu langsam, das wissen alle"
    Auch wenn das noch immer eher die Regel als die Ausnahme sei, habe sich in den vergangenen Jahren einiges bewegt, so der deutsche Jesuit Hans Zollner. Er leitet das Kinderschutzzentrum an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom und ist Mitglied der päpstlichen Kinderschutzkommission. Wo Missbrauch bekannt wird, muss das ein Bischof oder Ordensoberer nach Rom melden. Gesetze im jeweiligen Land müssen angewandt werden – wie jüngst im Fall George Pell.
    Zollner sagt: "Die Glaubenskongregation ist, wenn Sie die Bischöfe fragen, weltweit sehr gefürchtet, weil sie mit großer Stringenz die Fälle aufnimmt und behandelt und auch die Verhandlungen meistens mit dem Ergebnis zu Ende führt, dass die Priester entlassen werden oder dass ihnen sehr schwere Kirchenstrafen auferlegt werden. Der Punkt, der wirklich für alle einsehbar ist, vor allem für die Behördenleiter und die Mitarbeiter der Glaubenskongregation: Es geht viel zu langsam, das wissen alle."
    Ein Satz, dem Emiliano Fittipaldi noch einiges an Schärfe hinzufügen würde. Der Journalist und Buchautor wirft dem Vatikan vor, Missbrauch in den eigenen Reihen noch immer nicht transparent genug aufzuarbeiten. Das Engagement des Papstes geht ihm nicht weit genug.
    Fittipaldi fragt: "Was hat er bis jetzt getan? Er hat eine Kommission gegen Pädophilie eingesetzt, die sich in vier Jahren nur drei Mal getroffen und keine Exekutiv-Kompetenzen hat."
    Kritik, mit der er nicht alleine dasteht. Zuletzt war ein Mitglied der Kinderschutzkommission zurückgetreten, aus Frust darüber, dass es mit der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen nicht vorwärts geht – dass die Mauer des Schweigens noch immer viel zu langsam bröckelt.