Christiane Florin: Im Jahr 2018 traten 216 000 Menschen aus der katholischen Kirche aus, im gerade zu Ende gehenden sollen es nach ersten Schätzungen deutlich mehr sein. Auffallend: Es gehen auch Gläubige, die ihrer Kirche lange hoch verbunden waren, die in ihr groß geworden sind und sich besonders für sie engagiert haben.
Einer von den diesen eigentlich Hochverbundenen ist Michael Halbfas. Er wollte einmal Priester werden, wurde dann Frauenarzt, er stand einiges Konflikte mit dem Erzbstum Köln durch, aber vor einigen Monaten hat er beschlossen: Das war’s. Mit seinem Beruf hat diese Entscheidung auch zu tun. Ich habe mit Michael Halbfas vor Weihachten gesprochen. Und meine erste Frage an ihn war: Ist Ihnen der Kirchenaustritt schwergefallen?
Michael Halbfas: Der ist mir sehr schwergefallen, weil ich mich mein ganzes Leben lang eigentlich als Katholik empfunden habe und aber auch immer mich mit der Katholischen Kirche auseinandergesetzt habe. Ich bin sehr katholisch sozialisiert worden, war Messdiener und habe Jugendgruppen geleitet, war im Pfarrgemeinderat usw. und habe als Schüler schon entschieden, dass ich Theologie machen möchte. Ich habe das Studium angefangen, merkte dann aber rasch, dass ich mit meinen Einstellungen häufig Probleme mit kirchlichen Lehren bekomme. Damals gab es dann einen Konflikt um die Studentengemeinde in Bonn. Für mich war klar, ich habe einen Brief an Höffner geschrieben, der durch ein Formschreiben beantwortet wurde.
Florin: Höffner - damals der Erzbischof von Köln und Kardinal.
Halbfas: Genau, ich habe dann entschieden, ich möchte meine berufliche Karriere und meine Existenz nicht an die katholische Kirche binden und mich daraufhin entschlossen, Medizin zu machen.
Florin: Ihr Nachname, Halbfas, wird manchem ein Begriff sein. Ihr Onkel ist der Theologe und Priester Hubertus Halbfas, ...
Halbfas: Richtig.
Florin: ... der Ende der 60er-Jahre – da waren Sie noch ein Kind - schon Konflikte mit der katholischen Kirche hatte, auch mit dem schon erwähnten Kölner Erzbischof Höffner. Warum haben Sie, obwohl Sie das ja so mitbekommen haben, das wird nicht ganz einfach, warum haben Sie gedacht, Theologie und auch das Priesteramt, das könnte was für Sie sein?
Halbfas: Sie sehen daran, in meiner Familie war Kirche immer ein wichtiges Thema. Als Jugendlicher oder als junger Mensch glaubt man nicht, dass Dinge so sein müssen, wie sie dann kommen. Ich war voller Optimismus und geprägt wirklich sehr stark vom Zweiten Vatikanischen Konzil. Gerade in den 20er Jahren, als ich das Studium aufnahm, ging ja doch auch ein befreiender Wind durch die Kirche. Das war noch nicht so restaurativ, wie es sich dann entwickelt hat in der Folge.
"Die Sexualmoral habe ich nie bejaht"
Florin: Was hat Ihnen die Kirche bedeutet? War das Konvention, war das Halt? War das mit Erwartungen Ihrer Familie verknüpft?
Halbfas: Das war natürlich zum einen ein Eingebettetsein in gewisser Weise eine Heimat. Man wächst hinein in die Riten, in die Abläufe. Die ganze Familie ist geprägt davon. Und dann kam für mich sehr wichtig hinzu, mein philosophisches und theologisches Interesse. Ich fand es ungemein spannend, mich mit diesen Dingen zu beschäftigen. Das ist bis auf den heutigen Tag auch nicht weggegangen.
Florin: Sie haben Medizin studiert und Sie sind Frauenarzt geworden, Gynäkologe.
Halbfas: Ja.
Florin: Hatte das auch etwas mit Ihrem Glauben zu tun?
Halbfas: Dass ich Frauenarzt geworden bin, ist eher Zufällen zu verdanken.
Florin: Aber, dass sich dort ein Konfliktfeld ergeben könnte, auch wieder mit der katholischen Kirche, ist nicht so überraschend, wenn man an die ganze Auseinandersetzung 1968 um die Enzyklika "Humanae vitae" denkt, um die Empfängnisverhütung. Papst Paul VI. wurde "Pillen-Paul" genannt. Also, da steckte auch ein gewisser Konfliktstoff in Ihrem Arbeitsgebiet.
Halbfas: Auch das ist jetzt für mich nicht unbedingt absehbar gewesen. Es ist natürlich, ja, vielleicht kein Zufall, dass ich an einer Klinik mit katholischem Träger gelandet bin. Und dadurch ergaben sich die Probleme. Wäre ich Frauenarzt an einer kommunalen Klinik gewesen, hätte es diese Konfliktstellung, in die ich hineingeraten bin, nicht gegeben.
Florin: Haben Sie die katholische Lehre, die Sexualmoral genannt wird - also: der geeignete Platz für Sexualität, der einzig legitime, ist die Ehe, künstliche Empfängnisverhütung ist verboten - haben Sie diese Lehre bejaht als Medizinstudent, als junger Arzt?
Halbfas: Zu keinem Zeitpunkt, nein. Nein, mein Katholisch-sein war immer auch von Alteritätserfahrung, also von Anderssein-Erfahrung geprägt. Das heißt, das war für mich nie überzeugend. Zum Beispiel die Enzyklika "Humanae Vitae", die die Benutzung der Pille schon untersagt, war auch in der Öffentlichkeit sehr umstritten, diese Umstrittenheit fand meine volle Zustimmung, denn die Enzyklika geht völlig an der Wirklichkeit vorbei. Ich fand es von Anfang an problematisch, dass eine Lehre gelehrt wird, die – ich sage mal – von 80/90 Prozent der Gläubigen überhaupt nicht befolgt wird.
"Ich sehe Abtreibungen als sehr problematisch an"
Florin: Es gibt Umfragen, die zu ähnlichen Zahlen kommen, also 80, 90 Prozent der registrierten Katholikinnen und Katholiken sagen: "Diese Sexualmoral hat für mein Leben keine Bedeutung." Weil das so ist, haben Sie geglaubt, wird sich die katholische Lehre auch eines Tages ändern?
Halbfas: Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass die katholische Lehre in dieser Weise in das Leben der einzelnen Menschen hineingreift. Das kann sie normalerweise auch nicht, denn für die meisten, die jetzt Pillen benutzen oder andere Verhütungsmittel, bleibt es ja irrelevant, was die katholische Kirche lehrt, auch wenn sie sich selbst als Katholiken begreifen. Das war in meinem Fall aber nun doch deutlich anders.
Florin: Und Sie sind – Sie haben es gerade gesagt – an einem katholischen Krankenhaus, wie soll man sagen, gelandet – oder wollten Sie da hin?
Halbfas: Ich war zunächst an einer kommunalen Klinik. Und wie das Leben so spielt: Es war in gewisser Weise Zufall, dass ich Gynäkologe geworden bin und es war dann auch Zufall, dass ich an ein kirchliches Haus geraten bin. Der Oberarzt der kommunalen Klinik, den ich sehr schätzte, weil er sozialkompetent und fachlich kompetent war, wurde Chefarzt an diesem kirchlichen Haus und ich bin mit ihm gegangen und habe dann an diesem Haus selber Karriere gemacht – vom Assistenten zum Oberarzt und schließlich zum leitenden Arzt. Also, ich habe meinen Chefarzt beerbt und bin zum leitenden Arzt geworden.
Florin: Und was unterscheidet einen Gynäkologen an einer katholischen Klinik von einem an einem städtischen Klinikum, an einem Universitätsklinikum?
Halbfas: Ja, im Grunde genommen gar nichts, außer dass eigentlich gewisse Sachen nicht sein dürften.
Florin: Abtreibung zum Beispiel?
Halbfas: Zum Beispiel Abtreibungen. Wir haben keine Abtreibungen gemacht. Das würde ich persönlich auch nicht tun.
Florin: Warum nicht? Sie lehnen Abtreibung ab?
Halbfas: Ich sehe Abtreibung als sehr problematisch an. Nein, ich würde nicht sagen, ich lehne sie kategorisch ab, aber ich würde sie auch nicht kategorisch befürworten, sondern da muss man auf den einzelnen Fall sehr stark gucken. Für mich ist sehr wichtig das Beziehungsgeschehen zwischen Arzt und Patient und auch zwischen zum Beispiel Patientin und Familie usw. und ihren Partnern. Also, auf all das müsste man gucken. Ich würde auf jeden Fall jetzt nicht pauschal sagen: Ich mache Abtreibung.
Kardinal unter Druck
Florin: Ich habe Sie aber vorhin unterbrochen. Sie wollten eigentlich sagen: Schwangerschaftsabbrüche haben Sie nicht vorgenommen, aber etwas anderes, was eigentlich laut Lehre verboten ist.
Halbfas: Zum Beispiel Sterilisationen haben wir durchgeführt, die ja auch nicht erlaubt sind. Und natürlich haben wir verhütende Medizin gemacht in jeder Form. Dazu gehörte bei uns auch, dass wir das Rezept für die "Pille danach" ausgestellt haben. Das wurde zum damaligen Zeitpunkt nach katholischer Lehre einer Abtreibung gleichgesetzt. Das war aber fachlich überhaupt nicht meine Meinung, dass das so ist und dass man das so betrachten kann.
Florin: Daraus ist ein offener Konflikt geworden, der über das Erzbistum Köln hinaus Schlagzeilen gemacht hat. Das war Ende 2012. Da gab es den Fall, dass eine Frau in einem katholischen Krankenhaus abgewiesen wurde, mutmaßlich nach einer Vergewaltigung und nach dem Einsatz von K.-o.-Tropfen. Welchen Hintergrund hatte das?
Halbfas: Etwa ein Jahr vor diesen Vorfällen fand ich einen Brief auf meinem Schreibtisch vom Generalvikar von Köln, Schwaderlapp, der null Toleranz für die "Pille danach" von allen Chefärzten einforderte. Der Hintergrund war, dass es quasi Fakes gab, dass Frauen in Kliniken aufgetaucht waren und dort um das Rezept für die "Pille danach" gebeten hatten. Diese Kliniken sollten angezeigt werden. Die sollten denunziert werden, dass sie solche Praktiken betrieben. Schwaderlapp sah sich dann genötigt, einen Brief zu schreiben, der es völlig untersagte, ein solches Rezept auszustellen.
Florin: Und auch schon die Untersuchung wurde nicht vorgenommen.
Halbfas: Ja, in der Klinik, wo dann diese Frau abgewiesen wurde, bestand große Unsicherheit. Die wussten nicht, wie sie mit einer solchen Frau umgehen konnten, denn es gehört zum Versorgungsauftrag, dass man (bei einer Untersuchung) darauf hinweist, dass es die Möglichkeit der "Pille danach" gibt. Das trauten die sich nicht mehr, unter dem Eindruck dieses Briefes. Ich hatte gesagt, dass wir das betreiben an unserer Klinik und wollte auch offen dazu stehen. Und das war mir untersagt worden vom Träger auch, das zu tun.
Florin: Sie waren leitender Arzt ...
Halbfas: Ja.
Florin: ... und damit auch in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis.
Halbfas: Richtig. Und ich habe diesen Konflikt auch in die Abteilung gebracht und es war halt so, dass dann auch meine Assistentinnen und Oberärzte sagten, sie würden ein solches Rezept nicht mehr ausstellen wollen – unter dem Eindruck dieser Auseinandersetzung.
Florin: Und dann hat sich im Januar 2013 interessanterweise die Lehre geändert. Also, plötzlich wurde die Pille danach – zur allgemeinen Überraschung – doch vom Erzbischof von Köln erlaubt, eine bestimmte Pille, die keine abtreibende Wirkung hat, wenn ich das richtig verstehe. Wie kam es dazu?
Halbfas: Ja, es war ausgelöst durch diese Kölner Fälle und ich denke, auch im Hintergrund durch meine Initiative. Ich hatte mir inzwischen einen Rechtsanwalt genommen und verlangte Rechtssicherheit darüber, dass ich das Recht hätte, ein solches Rezept auszustellen. Und es war so weit gekommen, dass durch diesen medialen Hype das Kölner Erzbistum unter erheblichem Druck stand. Ich hatte in einem Brief an meinen Träger vorher schon geschrieben, dass es dazu kommen würde, dass staatliche Behörden den Betrieb von kirchlichen Kliniken nicht mehr dulden würden, wenn sie dem Versorgungsauftrag nicht nachkommen könnten. Und das war jetzt der Fall, das war offensichtlich: Diese Frauen waren abgewiesen worden und sie hätten eigentlich behandelt werden müssen.
Es trat genau das ein, worauf ich hingewiesen hatte, dass das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium ankündigte, dass es die katholischen Kliniken vom Netz nehmen würde, was die Betreibung von Gynäkologien anging. Das hätte etwa die Schließung von 70 Abteilungen bedeutet. In dieser Gemengelage war meine Erfahrung, dass ich vor ein Tribunal gestellt wurde und angeschrien wurde, ich würde 5.000 Arbeitsplätze mit meiner egoistischen Haltung gefährden. Auf der anderen Seite sah sich Kardinal Meisner damit konfrontiert, dass ihm erhebliche Macht flöten ginge, wenn die katholischen Kliniken vom Netz gingen. Er hat in dieser Situation sich entschieden, die katholische Lehre an diesem Punkt zu ändern.
Florin: Die offizielle Begründung war, dass es aus einer gewissen Einsicht, aus einer neuen medizinischen …
Halbfas: Ja.
"Kontrapunkt zum Wachstumsdogma"
Florin: … aus einer neuen medizinischen Faktenlage heraus so entschieden wurde. Nun ist das schon lange her. Viele Hörerinnen und Hörer erinnern sich vielleicht noch dran, weil das Thema in vielen Talkshows war, in vielen Medien. Aber es ist schon fast sieben Jahre her. Und Ihr Austritt war dann doch mit einem gehörigen zeitlichen Abstand. Warum noch so viel Zeit dazwischen? Warum sind Sie nicht damals schon gegangen und haben gesagt: Ich sehe das keine Zukunft in diesem Laden?
Halbfas: Ja, ich war damals nicht so weit, diesen Schritt zu gehen. Es war so, ich habe damals – als ich die Klinik verlassen musste – die Zeit bis zu meinem neuen Job dazu benutzt, ein Buch zu schreiben und mich mit dieser Situation auseinanderzusetzen. Während ich dieses Buch schrieb, kam es zu einem Pontifikatswechsel, also Franziskus wurde neuer Papst, weil Benedikt zurückgetreten war – damals spektakulär. Für mich war der Aufbruch durch Franziskus doch ein erheblicher. Es kam ein völlig neuer Wind in die Kirche und auch in die kirchliche Sprache.
In meinem Buch ist die These, dass die Kirche im Grunde genommen sehr, sehr wichtig ist. Das sehe ich eigentlich auch weiterhin so. Aber ich sehe halt, dass die Kirche dieser Aufgabe, die ihr wirklich gestellt ist, überhaupt nicht nachkommt, sondern dass sie das verweigert. Deshalb bin ich damals nicht aus der Kirche ausgetreten, sondern habe dafür plädiert, dass die Kirche ihrer Verantwortung gerecht wird. Gerade in Zeiten, in denen wir eine neue Religiosität haben, in denen wir das Wachstumsdogma zum Beispiel anbeten, könnte und müsste die Kirche wirklich einen guten Kontrapunkt setzen.
Florin: Jetzt befindet sich die katholische Kirche in Deutschland auf dem synodalen Weg. Es gibt vier Schwerpunktthemen und eines davon ist die Sexualmoral. Was sollte Ihrer Ansicht nach dabei herauskommen? Was wäre eine Sexualethik, die Sie richtig fänden?
Halbfas: Na ja, die Kirche hat ja vor einigen Jahren eine Befragung der Gläubigen vorgenommen. Und diese Befragung hat ergeben, dass das, was die Kirche lehrt auf dem Gebiet der Sexualmoral ja nicht befolgt wird von den Gläubigen. Ich glaube, die Kirche wäre gut beraten, wenn sie sich einfach ansieht, wie die Realität aussieht. Sie muss nicht jede Realität anerkennen, aber sie muss diese Realität wahrnehmen und berücksichtigen.
Meine tiefste Überzeugung ist ohnehin, dass Kirche nur zu verstehen ist als Volk Gottes. Es gibt ein allgemeines Priestertum, in dem jeder berufen ist, Stellung zu beziehen. Diese Stellung, die er bezieht, auch auf Fragen der Sexualmoral, ist nicht irrelevant. Das müssen auch die Bischöfe und die Hüter der Lehre berücksichtigen.
"Ich kann da jetzt nicht den Knopf ausschalten"
Florin: Sie sind ausgetreten und trotzdem beschäftigt Sie das noch.
Halbfas: Ja.
Florin: Warum?
Halbfas: Das hat mein ganzes Leben geprägt und ich kann da nicht jetzt den Knopf ausschalten. Ich erlebe die Kirche so: Sie läuft dem Auftrag davon, den sie bekommen hat von Jesus. Sie nimmt einfach die Realität nicht wahr, sondern macht weiter wie eh und je. Ich habe Kardinal Woelki einen Brief geschrieben, in dem ich meinen Austritt begründe. Und er hat mir geantwortet auch – womit ich gar nicht gerechnet habe. Das Problem ist bei seiner wirklich langen Antwort, dass er meine Argumente im Grunde genommen nicht wahrnimmt.
Florin: Warum ist es Ihnen wichtig, dass ein Kardinal, ein Erzbischof weiß, warum Sie ausgetreten sind?
Halbfas: Weil mir die Kirche immer noch wichtig ist.
Florin: Und, wenn er jetzt versucht hätte um Sie zu kämpfen, vielleicht in einem persönlichen Gespräch oder in irgendeiner Art des intensiveren Diskurses, würden Sie dann sagen: Ich komme wieder zurück?
Halbfas: Ja, das hinge ja sicherlich von dem Verlauf des Gespräches ab. So, wie ich das einschätze, sehe ich da wenig Möglichkeiten. Es sei denn, ich könnte wirklich mit Herrn Woelki in ein wirkliches Gespräch eintreten.
Florin: Warum sind die Bischöfe so wichtig für das Katholisch-Sein offenbar, dass man von denen anerkannt, wahrgenommen, ernstgenommen wird?
Halbfas: Die Kirche ist halt letztendlich ein hierarchisch geordneter Verein. Es gibt natürlich viele Bestrebungen, sie von der Basis her zu reformieren. Aber letztendlich ist die Kirche von ihrer Struktur her darauf angewiesen, dass Veränderungen auch von oben mitvollzogen werden. Ich will nicht sagen initiiert, aber sie müssen mitvollzogen werden. Ich sehe ja an der obersten Spitze durchaus jemanden, der dazu bereit wäre. Aber ich glaube, dass die Opposition, der sich Franziskus gegenübersieht, so stark ist, dass er letztendlich keine Chance hat.
"Für mich ist das Gefühl der Befreiung im Vordergrund"
Florin: Welche Chancen geben Sie dem synodalen Weg?
Halbfas: Ich muss sagen, ich bin sehr skeptisch, was den synodalen Weg angeht. Ich finde es gut, dass es ihn gibt, aber nach meinen Erfahrungen, die ich mit der Kirche gemacht habe, habe ich den Eindruck, dass die eigentlichen Kernthemen, die angegangen werden müssten aus meiner Sicht, nicht angegangen werden, sondern dass es da Wortspiele gibt oder Regelungen, die am Kern der Sache vorbeigehen.
Florin: Sie sind ausgetreten, also es war Ihr Schritt, Ihre Entscheidung. Fühlen Sie sich jetzt ausgeschlossen von etwas?
Halbfas: Ich sage mal, für mich ist im Vordergrund das Gefühl einer gewissen Befreiung. Ich fühle mich freier als vorher. Das hat damit zu tun, dass ich bis zu meinem Austritt sehr darunter gelitten habe, dass ich mich für meine Kirche geschämt habe. Das Gefühl der Scham war sehr vordringlich. Ich bin jetzt freier und fühle mich weiterhin trotzdem als Christ. Ich habe Kardinal Woelki geschrieben, ich trete aus der Institution aus. Er hat das zurückgewiesen und hat gesagt: Wer aus der Institution austritt, der tritt ganz aus der Kirche aus. Es gibt kein halbes Austreten. Wenn das so ist, dann umso bedauerlicher für die Kirche, würde ich sagen. Denn ich glaube, die Kirche ist angewiesen auch auf Leute wie mich.
Florin: Als was bezeichnen Sie sich? Christ – haben Sie gerade gesagt. Auch noch als Katholik?
Halbfas: Katholik im weitesten, im allumfassten Sinne, ja.
Florin: Römisch-katholisch?
Halbfas: Ja, da fängt es an. Also, römisch-katholisch – ich würde, wenn ich es definieren könnte, aber das darf ich ja nicht, würde ich sagen, ja, römisch-katholisch, aber, nein, das würde natürlich zurückgewiesen werden.
Florin: Das darf nur die Obrigkeit?
Halbfas: Das darf nur die Obrigkeit – in ihrem Selbstverständnis.
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