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Auswärtige Kulturpolitik
"Die Glaubwürdigkeit der Goethe-Institute liegt in ihrer Unabhängigkeit"

Kommt die GroKo, gibt es mehr Geld und mehr Aufgaben für das Goethe-Institut - zum Beispiel in Afrika. Dort könnte das Goethe-Netz etwa bei der Aufarbeitung des Kolonialismus helfen. Kritiker fürchten, dass Goethe-Institute dadurch zum politisch-humanitären Werkzeug werden könnten. "Wir arbeiten partizipatorisch und nicht missionarisch", sagte Präsident Klaus-Dieter Lehmann im Dlf.

Klaus-Dieter Lehmann im Gespräch mit Karin Fischer |
    Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts
    Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts (picture alliance / dpa / Tim Brakemeier)
    Karin Fischer: Ein wichtiger Punkt im Programm, das die künftige GroKo gestern verabschiedet hat, ist die Aufwertung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Neben der Deutschen Welle darf sich auch das Goethe-Institut über erhebliche Mittelzuwächse freuen und über einen signifikant erweiterten Auftrag. Mehr Engagement in und Kulturaustausch mit Afrika; mehr Institutsarbeit zusammen mit Frankreich, um auch mit europäischer Perspektive zu punkten; Aufarbeitung der Kolonialzeit; was denn noch?, möchte man fragen, das klingt so, als ob das Goethe-Institut vom Kultur- und Sprachmittler zum Messias für Moralität und Humanität gemacht würde. Klaus-Dieter Lehmann wie verstehen Sie diesen Auftrag?
    Klaus-Dieter Lehmann: Also wir freuen uns über den Auftrag, denn die Felder, die Sie genannt haben, sind ja nicht neu, nur die Größenordnung oder die Reichweite hat sich bislang nie in einer Ressourcenstärkung niedergeschlagen, sodass wir auch diese Dinge so behandeln konnten, dass sie einen Effekt ausübten und dass sie wirklich eine große Möglichkeit geboten haben. Also beispielsweise Afrika ist für uns seit Jahren ein Thema. Wir haben, gerade, was die kulturelle Infrastruktur angeht, große Projekte gemacht, beispielsweise "Music in Africa", wo die Musiker ihre zeitgenössische Musik speichern und abrufbar machen können, die Biografien abrufbar machen können, und damit werden sie aus der lokalen Verbundenheit wirklich regional und national bekannt und bekommen mit ihrer künstlerischen Perspektive eben auch eine ökonomische Perspektive, und das ist etwas, was uns sehr wichtig ist, weil Künstler und Kulturakteure sind sehr, sehr wichtig für die Gesellschaften und können dadurch auch ein stabilisierender Faktor sein.
    Ermöglicher künftiger Partnerschaften
    Fischer: Nun ist das aber doch, Herr Lehmann, auch eine ganz immense Umdrehung der Perspektive, die das Goethe-Institut im Ausland hatte: statt deutsche Sprache und Kultur dorthin zu vermitteln, stärken Sie jetzt die Kultur im Ausland?
    Lehmann: Ja, das hat sich tatsächlich geändert, weil wir gesagt haben, im Grunde geht es uns ja darum, dass wir partizipatorisch arbeiten, gleichwertig arbeiten. Wenn aber Talente im Grunde keine Arbeitsstrukturen haben, um wirklich mit uns arbeiten zu können oder im Ausland bekannt zu sein, muss man erst mal Ermöglicher sein. Das heißt, wir sind Ermöglicher, um künftige Partner in einer Weise sichtbar zu machen, die uns dann wirklich in dieser Welt dauerhaft Partner sein können. Sonst verschwinden sie wie Kometen, die aufglühen und wieder verschwunden sind. Also Strukturen zu schaffen ist die Voraussetzung für eine künftige Partnerschaft.
    Fischer: Stichwort: Aufarbeitung des Kolonialismus – da haben Sie die Goethe-Institute ja auch schon früh ins Spiel gebracht, um eine bedeutendere Rolle darin zu spielen. Hat man Ihnen jetzt aufgebürdet, was das Humboldt-Forum nicht alleine stemmen kann?
    Lehmann: Nein, aber ich habe immer davon gesprochen, dass die Goethe-Institute eigentlich das natürliche Außennetz des Humboldt-Forums sind, und ich glaube auch daran, weil wir einfach die Experten, die Wissenschaftler, die Kuratoren kennen, und wir haben derzeit ein Projekt laufen, das einfach mal die afrikanischen Stimmen hörbar macht. Das heißt, wir haben, ich glaube, fünf oder sechs Kuratoren jetzt in den ehemaligen Kolonialgebieten unterwegs, die sich darum kümmern zu zeigen, was ist denn überhaupt an Präsenzformen kultureller und künstlerischer Art mit der deutschen Kolonialgeschichte verbunden, wie haben die afrikanischen Staaten selbst darauf reagiert. Wir wollen also die afrikanische Stimme in den Dialog bringen. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt.
    Glaubwürdigkeit durch Unabhängigkeit
    Fischer: Wir müssen auf was anderes zu sprechen kommen, Klaus-Dieter Lehmann. Im Wettbewerb der Narrative müsse Deutschland mit anderen Ländern wie Russland oder China gleichziehen, so steht es im Papier. Verbirgt sich hinter einer solchen Anforderung nicht die klare Inanspruchnahme der Kulturarbeit für ideologische Zwecke? Missbraucht man nicht den Kulturmittler Goethe, wenn man ihm, also Ihrem Netz von Instituten, abverlangt, im Kampf gegen hybride Informationsverfälschungen, womit vermutlich dann Russland gemeint ist, auch mitzumischen?
    Lehmann: Also in dieser Form, in der Vergleichbarkeit mit Russland oder China, sehen wir uns nicht. Wir haben eine große Möglichkeit, und die werden wir uns immer bewahren: Das ist die Unabhängigkeit, die bei der Gründung des Goethe-Instituts aufgrund der Situation in der Nazizeit geschaffen worden ist, dass eben Kultur nicht zum Propagandainstrument werden kann. Die Glaubwürdigkeit der Goethe-Institute liegt tatsächlich in ihrer Unabhängigkeit, und die verteidigen wir. Wir sind also immun gegen Instrumentalisierung, und wir sind keine Missionare. Also Kultur als Wettbewerb, das würden wir absolut ablehnen. Aber wir haben Interessen insoweit, als wir die freie Gesellschaft, die offene Gesellschaft, die rechtsstaatliche Gesellschaft als ein Beispiel zeigen, wie Gesellschaften leben können und mit welcher Qualität sie leben können. Das wollen wir schon machen. Wir wollen nicht Vorbild sein, aber wir wollen gute Beispiele geben.
    Fischer: Aber, Herr Lehmann, das mit der Unabhängigkeit müssen Sie im Zweifel ja den anderen erklären, nicht mir oder uns. Das Goethe-Institut, indem es emanzipative Kunstformen oder Projekte in Ländern unterstützt, in denen es demokratische Ansätze schwer haben, könnte sich ja schon auf ein Minenfeld begeben. Wir hören ja ständig, wie unter absurden Vorwürfen NGOs in nicht-demokratischen Ländern verfolgt oder auch Büros von Stiftungen geschlossen werden.
    Lehmann: Wir haben im Grunde die Situation ja in der Türkei oder in Russland oder in anderen Staaten. Was derzeit in diesen Ländern versucht wird, ist uns die Partner abspenstig zu machen, weil alle wissen, wir arbeiten partizipatorisch und nicht missionarisch. Das ist ein schwieriges Kapitel, und wir sind aber letztlich diejenigen - ich würde es mal so pathetisch ausdrücken -, die die letzten Hoffnungsträger sind für diese zivilgesellschaftlichen Entwicklungen. Wenn wir die Fahnen in diesem Fall für freiheitliches Arbeiten und Freiheit von Kunst und Wissenschaft nicht hochhalten würden, dann würde, glaube ich, eine Erosion einsetzen, die tatsächlich einer sehr ideologischen und radikalen Politik Vorschub leisten würde. Also in der Art haben wir – und das ist wirklich noch mal das, was ich wiederholen will – ein Interesse, die offene und freiheitliche Gesellschaft deutlich zu zeigen.
    Goethes neue Innen-Kulturpolitik
    Fischer: Herr Lehmann, ein Punkt innerhalb der GroKo-Vereinbarungen ist auch die Verschränkung der Außen- mit der Innenkulturpolitik. Was bedeutet das in Ihrem Fall?
    Lehmann: Das sind zwei Hauptfelder: Das eine ist die Integrationspolitik, da konnten wir bislang Integrationskurse in Deutschland nicht finanziell bekommen, das heißt, wir haben sie im Wesentlichen über Spenden gemacht. Wir kennen aber die Herkunftsländer, aus denen diese Flüchtlinge kommen, und insofern können wir hier sehr viel hilfreicher sein. Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist, wir würden gerne die Koproduktionsfonds ausbauen, das heißt also, deutsche Museen, deutsche Theater mit entsprechenden Partnern im Ausland verknüpfen, wobei die Partner aus dem Ausland die Anträge für diese Koproduktionsprojekte stellen. Das finde ich auch eine gute Möglichkeit, die wir im kleinen Maßstab gemacht haben, aber die wir durchaus jetzt größer ansetzen können mit diesen Perspektiven, die uns der Kooperationsvertrag bietet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.