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Auswärtige Politik
Warum Kulturschaffende Diplomatie erleichtern

Von Christiane Habermalz |
    "Was für mich das Überraschendste war, war das Interesse von Steinmeier. Dass er wirklich aufgeschlossen, dass er neugierig ist, dass er ein echtes Anliegen hat, hatte ich das Gefühl. Er interessiert sich wirklich für die Türkei, der hört zu. Und verwertet es dann für sich. Was er dann damit macht, ist eine andere Frage."
    Der Theaterregisseur Hans-Werner Kroesinger sitzt in der Kantine des Gorki-Theaters in Berlin. Eigentlich ist es der Vorabend seiner neuen Premiere – doch Kroesinger redet über Frank-Walter Steinmeier, den er letztes Jahr auf eine Auslandsreise in die Türkei begleitet hat.
    "Ich glaube, für ihn ist es auch angenehm, er muss sich dann nicht mit den Journalisten und dem Wirtschaftstross treffen, weil er im Prinzip in so einem Freiraum ist, wenn er sich mit den Künstlern unterhält."
    Steinmeier gilt als kulturaffin. Dennoch muss es für so manch gestandenen Diplomaten des Auswärtigen Amtes gewöhnungsbedürftig sein, dass zum Tross seit geraumer Zeit regelmäßig auch Schriftsteller, Musiker, Filmemacher gehören. Bereits in seiner ersten Amtszeit 2005 hatte der SPD-Politiker damit begonnen, kleinere Kulturdelegationen mit auf Reisen zu nehmen, jetzt ist es die Regel geworden. Sechs bis acht Kulturschaffende sitzen regelmäßig mit im Regierungsflieger. Neben Vertretern der Partnerinstitutionen des Auswärtigen Amtes, wie Goethe-Institut, DAAD oder Deutsches Archäologisches Institut, sind das oft Künstler, die biografisch oder beruflich mit dem jeweiligen Land verbunden sind.
    "In der Mongolei zum Beispiel war das Frau Byambasuren, die die Geschichte vom weinenden Kamel gedreht hat. Was ein deutscher Film ist mit einer deutschen Regisseurin, die aber ursprünglich aus der Mongolei stammt. Oder in Algerien, der berühmte deutsche Musiker, seit 30 Jahren in Kassel wohnhaft: Hamid Barudi, der mit Peter Gabriel Worldmusik macht. Und mit diesem Aspekt zeigen wir eben auch auf den Auslandsreisen, dass Deutschland ein Land ist, das ein Einwanderungsland geworden ist. Und dass daraus nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell enorme Bereicherung zieht."
    Erklärt Andreas Görgen, Abteilungsleiter für Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt. Er stellt die Kulturdelegationen für die Reisen zusammen, spricht Leute an, die ihm interessant erscheinen. Auch er, der studierte Germanist und Diplomatie-Quereinsteiger, gut vernetzt in der Kulturszene, steht für den Kulturwandel in der Behörde. Steinmeier hat in mehreren programmatischen Reden keinen Zweifel daran gelassen, dass für ihn - anders als für Joschka Fischer oder Guido Westerwelle - auswärtige Kulturpolitik mehr ist als nationale Repräsentationskultur durch Goethe im Ausland. Auch kein "Nice To Have", sondern zentraler Bestandteil der auswärtigen Politik - gerade in einer Zeit voller gewalttätiger Krisen und Konflikte:
    "Wir müssen die tektonischen Verschiebungen besser verstehen lernen. Das ist auch eine kulturelle Aufgabe. Nur wenn wir wissen und würdigen, welche Träume – und vor allem auch welche Traumata – das Denken und Fühlen des anderen bestimmt, welche historischen Narrative aktuelle Antworten mit beeinflussen, nur dann erlernen wir eben den fremden Blick – und werden uns den eigenen Blick nur dadurch sicheren."
    Auswärtige Kulturpolitik, zitierte Steinmeier Willy Brandt, sei nichts weniger als Arbeit an der Weltvernunft. Aber kann Kultur, können Künstler das leisten? Und gelingt es den Reisebegleitern, ihre Eindrücke, ihre Perspektive rückzuspiegeln in die Politik? Oder sind sie nur schmückendes Beiwerk, für die ein Damenprogramm organisiert wird, während der Außenminister seine offiziellen Termine absolviert? Natürlich gebe es getrennte Tagesprogramme, sagt Theaterregisseur Hans-Werner Kroesinger. Zu Gesprächen mit Steinmeier sei es oft erst spät nachts an der Hotelbar gekommen.
    "Wo ich einfach nur sagen kann, Respekt, wir sind da morgens hingeflogen, der hatte den ganzen Tag Meeting. Wir haben nur so zwei Treffen am Rand gehabt, die jetzt nicht besonders aufregend waren. Aber er traf uns dann gegen Mitternacht und war noch aufgeschlossen genug, sich mit uns dann anderthalb Stunden zu unterhalten über unsere Erfahrung mit der Türkei."
    Worin aber besteht der Mehrwert, den Kultur in der Politik leisten kann? Kunst habe gegenüber der Politik den Vorteil, sagt Kroesinger, dass sie subjektiv sein dürfe, sie muss keinen Rücksicht nehmen auf Protokoll und Etikette – und sie kann Widersprüche aufdecken und auch mal stehen lassen. Manchmal sind es nur kleine Beobachtungen am Rande, etwa zur fehlenden Berichterstattung der türkischen Medien zu den Protesten im Gezi-Park.
    "Wir waren genau zu dem Zeitpunkt da, als es diesen ersten Einsatz von den Wasserwerfern gab, die die Leute von der Straße spritzten. Und sie sehen im türkischen Fernsehen wirklich nur diese Tiersendungen. Diese Pinguine. Man denkt ja immer, das ist ein Witz, aber das ist kein Witz. Es gab einfach keinen Bericht darüber."
    Der Lyriker Albert Ostermaier, der Steinmeier in den Libanon begleitete, berichtet von einer Veranstaltung mit Studenten.
    "Da war zum Beispiel, dass eine Abgeordnete der Linken, die dann provoziert hat, warum sie in der und der Situation nichts konkret sagen würden. Ohne zu bedenken, was zum Beispiel so ein Student in so einer Situation - öffentlich, sind alle da - was das für ihn für Konsequenzen hat. Das ist manchmal sehr selbstgefällig und sehr leicht."
    Aber auch für die Kulturschaffenden eröffnen die diplomatischen Reisen neue Perspektiven. Kontakte zu Kulturinstitutionen werden geknüpft, Türen geöffnet. Ostermaier besuchte mit Steinmeier während seiner Reise Flüchtlingslager im Libanon – für ihn eine einschneidende Erfahrung, die konkret zu einem Kulturprojekt mit Flüchtlingen in Beirut und Deutschland führte. Und ihm Stoff für einen neuen Roman gab. Er prägte den Begriff der "sozialen Kraft der Kultur". Wären die nächtlichen Verhandlungen in Minsk zur Beilegung der Ukraine-Krise anders verlaufen, wenn eine Kulturdelegation dabei gewesen wäre? Schwerlich, sagt Ostermaier, nachdenklich. Obwohl:
    "Es könnte natürlich sehr, sehr spannend sein. Und in vielem auch fördernd. Man darf ja nicht vergessen, es ist ja oft so in solchen Verhandlungssituationen, und wenn die Positionen klar sind und vorher schon verfestigt, dass es immer ein großes befreiendes Moment sein kann, wenn man eine andere Perspektive einbringt. Oder einfach jenseits des politischen Kalküls argumentiert. Gerade was ich jetzt auch als Dramatiker kenne, das man sich ja auch in die anderen Köpfe hineinversetzt. Und da kann man vielleicht auch mal andere Impulse geben und einfach neue Spielregeln einbringen."