Die Sache ist so politisch, so empfindlich und so explosiv, dass das Auswärtige Amt nur noch schweigt. Interviews zum Thema lehnt die Pressestelle ab. Nur so viel ist klar: Die Arbeit des Referats 612 des Auswärtigen Amtes, "Religion und Außenpolitik", liegt auf Eis. Der Grund: Es gab öffentliche Kritik an der Berufung von Nurhan Soykan als Beraterin des Referats. Die Juristin ist Generalsekretärin und stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts, Christofer Burger, brachte zu diesem Thema am 29. Juli nur so viel über die Lippen:
"Wir möchten über dieses Projekt in einen Beratungsprozess eintreten mit denjenigen, die sich dafür interessieren, auch mit denjenigen, die Kritik daran geäußert haben, und wir möchten im Rahmen dieses Austauschs das Projekt so weiter ausgestalten, dass es breite Unterstützung erhält von denjenigen in Politik und Gesellschaft, die wir dafür brauchen."
Der Zentralrat der Muslime steht in der Kritik
Gegenwärtig ist die Unterstützung dem Auswärtigen Amt offenbar nicht breit genug. Die Berufung von Nurhan Soykan führte zu Protesten. Der Islam- und Antisemitismus-Experte Ahmad Mansour schrieb, weder das Außenamt noch Außenminister Heiko Maas könnten erklären, "warum ausgerechnet diese Person die Verantwortung für Frieden mit religiösen Gemeinschaften weltweit ansprechen soll". Und der Grünen-Politiker Volker Beck kommentierte, er verstehe nicht, warum das Auswärtige Amt "eine Vertreterin dieses problematischen Verbandes" berufen habe. Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen erklärte gar, Außenminister Maas mache sich im Kampf gegen Antisemitismus durch die Berufung Soykans unglaubwürdig.
Der Liberal-Islamische Bund kritisierte, einzelne Funktionäre des Zentralrats der Muslime gehörten der Muslimbruderschaft an, deren Ideologie intolerant und antisemitisch sei. Frau Soykan persönlich wirft der Bund vor, sie habe 2014 in einem Interview den antisemitischen Al-Quds-Marsch verteidigt, der alljährlich in Berlin stattfindet. Soykan sagte am 25. Juli 2014 im Deutschlandradio Kultur:
"Es muss auch möglich sein, die israelische Politik genauso wie die Politik anderer Länder kritisieren zu dürfen. Da muss man wirklich eine Trennschärfe einhalten. Und man muss auch eine Gelegenheit geben vor allem den Jugendlichen und den jungen Leuten in Deutschland, die sich auf diesem Weg der Demonstration Luft machen wollen und ihren Ärger auch mal zeigen wollen, denen muss man auch die Möglichkeit geben, das äußern zu können."
Die Äußerung bezieht sich allerdings nicht direkt auf den Al-Quds-Marsch, sondern auf öffentliche Proteste gegen die Bombardierung des Gaza-Streifens durch Israel im Sommer 2014.
Lange schwieg Nurhan Soykan zu den Vorwürfen, die ihr und ihrem Verband, dem Zentralrat der Muslime, kurz ZMD, gemacht werden. Erst am Montag brach sie das Schweigen. Gegenüber dem Onlinedienst "T-Online" distanzierte sie sich von islamistischen Anschauungen:
"Ein Islam, der auf extremistischen Ideologien gebaut ist, hat im ZMD keinen Platz. (…) Erschwerend kommt aber leider hinzu, dass es im Islam-Diskurs leider einen unausgesprochenen Extremismusvorbehalt gibt. Nicht selten werden dann gerne auch Muslimbruderschaft oder Salafismus zum Beispiel als Denunziationselemente eingesetzt, die unbewiesen im Raum stehen."
"Mit wem arbeitet man dann?"
Der Zentralrat der Muslime ist nicht lupenrein zu trennen von Strömungen, die dem Hauptstrom der deutschen Gesellschaft fremd sind. Gerade in dieser Grenzüberschreitung liegt für manchen aber der Sinn des Dialogs, den das Auswärtige Amt betreibt. Der Berliner Rabbiner Walter Homolka, als Vertreter des liberalen Judentums im interreligiösen Dialog aktiv, verteidigt die Berufung von Nurhan Soykan als Beraterin des Auswärtigen Amts.
"Da muss ich sagen, da ist es durchaus auch denkbar, dass da klassische Hardliner einer Religion zu Wort kommen wie eben auch progressive und liberale Elemente, denn das macht ja nun gerade das Konfliktpotenzial von Religionen aus, und insofern kann man sich das jetzt auch hier nicht wegkürzen."
Und Homolka erinnert daran, dass der Zentralrat der Muslime seit Jahren vom Bundesinnenministerium als Gesprächspartner geschätzt wird – etwa im Dialogforum der "Deutschen Islamkonferenz".
"Ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass er auch von der Bundesregierung über lange Strecken hinweg als Partner geschätzt wurde. Dass sich der Wind hier etwas dreht, das bemerke ich auch. Aber die Frage bleibt: Mit wem arbeitet man dann?"
Der Dialog muss weitergehen
Soykan sollte zunächst die einzige muslimische Beraterin des Auswärtigen Amtes sein, zusammen mit Max Feldhake, einem Absolventen des Rabbinerstudiums am liberalen Abraham-Geiger-Kolleg und dem evangelisch-freikirchlichen Pastor Peter Jörgensen. Bereits im vergangenen Jahr hatte Pater Nikodemus Schnabel als katholischer Theologe das Referat "Religion und Außenpolitik" beraten. Das Auswärtige Amt will das weltweite Friedenspotenzial der Religionen nutzen – erst recht in religiös aufgeladenen Konflikten. Es baut dazu seit drei Jahren ein globales Netzwerks von Religionsvertretern auf und hat sie zu drei großen Dialogtagungen eingeladen. Walter Homolka:
"Die Meinung wird sich nur verändern durch die Erfahrung der Begegnung. Darauf setze ich. Und insofern habe ich auch persönlich nichts dagegen, wenn in einem Beraterkreis der Zentralrat der Muslime mitwirkt. Allerdings wäre ja auch denkbar, diesen Beraterkreis weiter zu vergrößern."
Damit könnte das Auswärtige Amt die Gemüter beruhigen: Sobald der Zentralrat der Muslime im Beraterkreis nicht mehr exklusiv den Islam vertreten würde, könnte die Kritik verhallen, meint Rabbiner Walter Homolka.
"Insofern finde ich es auch gut, dass man da jetzt eine kleine Bedenkpause einlegt, um das Ganze sich noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Aber das ändert ja nichts an der Tatsache, dass das Thema richtig ist, dass das Auswärtige Amt sich damit beschäftigt und dass man da eine vielstimmige Beratung zulässt, die das diplomatische Element mit dem theologischen verbindet."
Zunächst aber ist diese Verbindung unterbrochen – und das Auswärtige Amt schweigt.