Wenn Grzegorz sich morgens einen Kaffee macht, dann hat er die Wahl: verschiedene Tassen, verschiedene Arbeitsplätze, verschiedene Erinnerungen.
"Hier haben wir Florida", sagt der muskulöse Mittvierziger, in Jogginghose und T-Shirt, "und hier haben wir Miami. New Orleans ist gerade im Geschirrspüler, genauso wie Texas.
"Die Tassen habe ich gekauft, als ich auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet habe. In jedem Hafen eine. Doch dann war irgendwann unser Küchenregal voll. Und dann haben meine Frau und ich entschieden, dass es reicht."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Polen: Geschichten vom Kommen, Gehen und Bleiben" in der Sendung "Gesichter Europas.
Es reichte mit den Tassen. Und der Arbeit auf dem Kreuzfahrtschiff. Zwei Jahre fuhr der Elektriker zur See. Angestellt von einer schwedischen Firma, zur Wartung von Klimaanlagen auf US-Luxuslinern.
"Genau genommen, habe ich nicht in den USA gearbeitet. Das war rechtlich nicht möglich, dafür braucht man ein Arbeitsvisum. Ich flog in die USA als Tourist und ging dann an Bord des Kreuzfahrtschiffes. Das legte ab. Und auf hoher See fing ich an zu arbeiten. Außerhalb des US-Territoriums."
Vier Wochen in Norwegen, zwei Wochen in Polen
Der 45-Jährige nimmt die Miami-Tasse. Geht ins Wohnzimmer. Im Flur hängen zwei Kabel aus der Wand. Der Elektriker schüttelt den Kopf. Darum wird er sich heute noch kümmern. Wenn er denn schon mal in Polen ist. Seit zwölf Jahren lebt seine Familie in dem hübschen Einfamilienhaus, unweit von Danzig. Nur Grzegorz ist die meiste Zeit im Ausland.
"Ich bin gerade aus Norwegen wiedergekommen, vor zwei Tagen. Ich arbeite in der Firma seit mehr als einem Jahr. Und in zwei Wochen fahre ich wieder zurück. Das System ist so: Ich arbeite dort vier Wochen, dann bin ich wieder zwei Wochen in Polen. In vier Wochen schaffe ich alle meine Arbeitsstunden für den sechs Wochen-Zeitraum. Das ist alles legal…"
200 Stunden arbeitet er in vier Wochen. Dann hat er zwei Wochen frei. Fliegt von Bergen nach Danzig. Zu seiner Familie. Und dann wieder zurück. "In meiner norwegischen Firma", erzählt er, "gibt es zehn Norweger und 60 Polen".
Woanders wird mehr gezahlt
"Es dreht sich alles ums Geld, niemand zahlt hier so viel, wie im westlichen Ausland. Egal, ob wir über eine Kassiererin, eine Putzkraft oder einen Ingenieur oder einen Elektriker reden. Ich weiß, was meine Arbeit wert ist. Aber das wird niemand hier bezahlen. Wir verdienen in Polen einfach zu wenig, unsere Arbeit wird nicht richtig gewürdigt. Wenn wir hier mehr verdienen könnten, dann würden 50-70 Prozent der Leute sofort zurückkommen. Es geht nur ums Geld."
Der polnische Mindestlohn liegt bei knapp 3,50 Euro. Grzegorz verdient in Norwegen mindestens 14 Euro netto die Stunde. Plus Zulagen. Sein Arbeitgeber zahlt Sozialabgaben und Steuern. Alles ganz einfach, sagt Grzegorz. Sogar die Flugtickets bekommt er spendiert. Er greift zum Mobiltelefon, scrollt durch seine Fotodatei. Schnappschüsse aus der Arbeitswelt im Norden.
Erst ein Fjord, dann noch ein Fjord, Berge, dann ein Selfie. Grzegorz dick eingemummelt. Vor einem Windrad. "60 Stück haben wir davon errichtet", sagt er, "einen ganzen Windpark direkt an der Küste". Von da ging es gleich weiter zum nächsten Einsatz:
"Wir bauen gerade zwei Schiffe, aber wir renovieren auch noch einen Tunnel. Und in Oslo haben sie jetzt einen Vertrag bekommen, da geht es um einen Museums-Neubau. Das sind also ganz unterschiedliche Bereiche."
Ob Schiffs-, Museums-, oder Tunnelbau - Elektriker werden immer gebraucht. In Norwegen. Und wenn nicht dort, dann anderswo. Nur mit dem Einsatz zuhause ist es schwierig.
Die Familie bleibt zurück
"Am Anfang war es hart, auch für die Familie. Ich habe meine Frau und meinen Sohn zurückgelassen. Am Anfang muss man lernen, wie man damit zurechtkommt, beiden Seite müssen es lernen, die Familie die zurückbleibt, und der Mann, der geht. Aber da kann man sich daran gewöhnen. Es ist nicht immer einfach, und fast nie perfekt. Aber es gibt immer Vor- und Nachteile. Und manchmal muss man etwas opfern, um etwas zurückzubekommen."
Er ging das erste Mal ins Ausland, als sein Sohn 16 Jahre alt war. "Da war unsere Familie aus dem Gröbsten raus", sagt er. Das Haus gekauft, die Ehe stabil. Seine Schwester ging mit gutem Beispiel voran: nach Irland. Dort arbeitet sie mittlerweile seit zwölf Jahren. Ans Zurückkommen denkt sie nicht.
Weniger Zukunftssorgen
"Man merkt, das Leben ist entspannter dort. Ich sehe es an meiner Schwester: Sie ist viel ruhiger geworden, sie hat nicht mehr diese versteckte Angst, diese Unsicherheit. Sie ist entspannt und ruhig, sie muss sich keine Sorgen ums Morgen oder die nächste Woche machen. In Polen haben wir immer im Hinterkopf: 'Was wird morgen sein, was passiert nächste Woche, nächsten Monat?' Wir sind einfach unruhig."
Lohndumping, geringer Kündigungsschutz, schlechte Zahlungsmoral – das hat Grzegorz in Polen erlebt. Im Ausland arbeiten und zu Hause entspannen– das ist sein Gegenentwurf. Unterm Strich stehen acht Monate Arbeit im Ausland. Gut bezahlt. Und vier Monate Urlaub zuhause. Davon können Arbeiter in Polen nur träumen, sagt Grzegorz. Er weiß aber auch, dass diese Träume nicht immer gut ausgehen, dass Entfernung und Alkohol immer wieder Beziehungen zerstören. Davor hat er gerade erst seinen Sohn gewarnt. Der hat vor drei Monaten geheiratet.