Boris Johnson reagierte umgehend. Am Tag, nachdem China das sogenannte Sicherheitsgesetz verabschiedet hatte, versprach der britische Premier im Unterhaus, den Hongkong-Chinesen die Tür ins Königreich zu öffnen: "Wir haben von Anfang an klargestellt: Wenn China diesen Weg verfolgt, dann öffnen wir für alle mit einem British National-Oversea-Pass eine neue Route zu uns. Und genau das machen wir jetzt."
Jeder vor 1997 geborene Hongkong-Chinese und seine engen Angehörigen haben Anspruch auf den britischen Übersee-Pass. 1997 war das Jahr, in dem Großbritannien die ehemalige Kronkolonie an China zurückgab. Unter der Prämisse "Ein Land, zwei Systeme" wurde den Menschen damals versprochen, dass sie ihre Freiheitsrechte und Autonomie auch unter chinesischer Führung noch lange behalten würden.
Peking unterwanderte die Verabredung, zuletzt griff es hart gegen die Demokratie-Bewegung in der Sonderverwaltungszone durch. Am 30. Juni letzten Jahres gipfelte das in dem neuen Sicherheitsgesetz, das de facto jede politische Verfolgung legitimiert. Daher Boris Johnsons Einladung vom 1. Juli, der schon jetzt 7000 Hongkong-Chinesen gefolgt sind. Einer von ihnen ist Gavin Mok, der vor drei Monaten mit seiner Frau Lydia ins britische Exeter ausgewandert ist. "Ich möchte meine Erfahrung mit denen teilen, die noch in Hongkong sind", sagt er. "Jetzt ist die Zeit, zu gehen. Zögert nicht! Verpasst nicht diese Gelegenheit. Die britische Regierung bietet uns die einmalige Chance, zu entkommen."
Leben ohne Freiheitsrechte für viele unvorstellbar
In Hongkong lebten Chinesen viele Jahre lang mit Freiheitsrechten nach demokratischen Standards. Die wenigsten können sich ein Leben ohne das vorstellen. Connie Chan und ihr Mann Winston leben mit ihrem neunjährigen Sohn erst seit kurzem in Ostengland. Die Entscheidung, Hongkong zu verlassen, trafen sie während der Demokratie-Proteste im Juli 2019. Genau an dem Abend, an dem ein maskierter Mob in einer Metro-Station wahllos Menschen krankenhausreif schlug – und die Polizei nicht einschritt.
"Wir haben buchstäblich über Nacht beschlossen, zu gehen. Wir haben gesehen, dass die Dinge in Hongkong sich zum Schlechteren wenden. Wir hatten Angst um unser Kind und seine Zukunft. Was, wenn er in Hongkong aufwächst, in dieser Umgebung? "
Connie, Winston und tausende weitere Hongkong-Chinesen wollten das lieber nicht erleben. Mit ihrem britischen Übersee-Pass sind sie nach Großbritannien eingereist. Ab heute können sie einen Aufenthalt für bis zu fünf Jahren beantragen, Arbeitsgenehmigung inklusive. Danach können sie sich um die britische Staatsangehörigkeit bewerben. Fast fünfeinhalb Millionen Hongkong-Chinesen besitzen den Pass in die Freiheit oder haben Anspruch darauf. London rechnet damit, dass binnen fünf Jahren weit mehr als 300.000 von ihnen nach Großbritannien kommen möchten. Aber wird Peking sie gehen lassen? Das sei die große Frage, sagt Julian Chan von der Interessenvertretung "Hongkongers in Britain".
Peking droht mit Gegenmaßnahmen
"Die chinesische Regierung hat erklärt, den britischen Übersee-Pass nicht mehr als Reise-Dokument anzuerkennen. Und das könnte erst der Anfang sein. Sie könnten Leute mit dem Pass von öffentlichen Funktionen ausschließen, ihr Wahlrecht einschränken, die Kapital-Abwanderung kontrollieren, ihre Bewegungsfreiheit beschneiden. Wir müssen abwarten, wie schwierig es wird, das Land zu verlassen."
Peking ist wütend auf London. Es wirft England Einmischung in die inneren Angelegenheiten vor und – Zitat – "Kolonialmentalität". Auf die britische Geschichte bezieht sich in seiner Replik auch Boris Johnson. Seine Politik der offenen Tür trage den historischen Verbindungen Rechnung – und der Freundschaft mit den Menschen in Hongkong.