Ausgeweitete Polizeigesetze
Von Datenanalyse, Präventivhaft und Versammlungsverbot

Die Befugnisse der Polizei werden immer wieder ausgeweitet. Dabei geht es um Datenanalyse, Präventivhaft oder Versammlungsfreiheit. Das führt nicht nur zu Protesten, auch das Bundesverfassungsgericht setzt enge Grenzen.

    Einsatzkräfte der Polizei und Spurensicherung sind am Abend an einem Bahnübergang am Bahnhof Brokstedt im Einsatz.
    Polizisten und Spurensicherung dokumentieren und archivieren Daten im großen Umfang. Automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten ist nun aber nicht mehr zulässig. (picture alliance / dpa / Jonas Walzberg)
    Am 16. Februar 2023 erklärte das Bundesverfassungsgericht Regelungen zur automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten in Hessen und Hamburg für verfassungswidrig. Die Polizeigesetze der beiden Bundesländer verstießen in ihrer jetzigen Form gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Persönlichkeitsrecht, urteilte der Erste Senat. Als nun erfolgreiche Kläger waren Journalisten, Anwältinnen und Aktivisten aufgetreten.
    Das Urteil betrifft die Datenanalyse zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. Mit der Analyse-Software für riesige Datenmengen will die Polizei potenziellen Straftätern schneller auf die Spur kommen. Das Programm durchforstet Datenbanken, um Querverbindungen zu entdecken, die den Ermittlern ansonsten vielleicht nicht auffallen würden. Kritiker befürchten, dass die Software schnell zur „Datenkrake“ werden könnte, die vor unbescholtenen Menschen nicht Halt macht.
    Die Karlsruher Richterinnen und Richter lehnten diese Praxis nicht grundsätzlich ab. Sie forderten jedoch höhere Hürden und Abstufungen bei deren Anwendung.
    Ein Mann sitzt vor einem Laptop, auf dessen Bildschirm die Aufschrift "hessenDATA Daten-Analyseplattform" zu lesen ist.
    "Hessendata" ist ein Hilfsmittel zur Datenanalyse für die polizeiliche Ermittlungsarbeit. Das Bundesverfassungsgericht schränkt die Benutzung der Software jedoch ein. (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
    In Hessen, wo die Polizei seit 2017 unter dem Namen "Hessendata" die Analyse-Software "Gotham" der US-Firma Palantir einsetzt, bekommt der Gesetzgeber bis zum 30. September Zeit, die problematische Vorschrift neu zu regeln. Bis dahin bleibt sie mit deutlichen Einschränkungen in Kraft.
    In Hamburg wird die Technik noch nicht genutzt, hier erklärte das Gericht aber den Passus im Polizeigesetz für nichtig. Indirekt hat das Urteil auch Auswirkungen auf andere Bundesländer: Nordrhein-Westfalen setzt die Software ebenfalls bereits ein, Bayern arbeitet derzeit an der Einführung.

    Gegen ausgeweitete Überwachung in Mecklenburg-Vorpommern

    In dieselbe Richtung zielte am 1. Februar 2023 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge ausgeweitete Überwachungsbefugnisse der Polizei in Mecklenburg-Vorpommern zum Teil verfassungswidrig, also mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Zwar bleibt ein Großteil der Vorschriften vorerst weiterhin in Kraft, bis Ende des Jahres muss der Gesetzgeber jedoch ausgewählte Punkte des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes in Mecklenburg-Vorpommern nachbessern. Die Verfassungsrichter sehen in einigen Teilen des Gesetzes allgemeine Persönlichkeitsrechte verletzt, unter anderem beanstanden sie den Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern zur Abwehr von Gefahren.
    Doch die jüngsten Entscheidungen aus Karlsruhe zu Hessen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern sind nur ein Puzzlestück in der langen Diskussion um Polizeigesetze und -befugnisse auf Bundesebene und in den Bundesländern.

    Freiheit vs. Sicherheit – Das ewige Dilemma

    Die Verfassungsbeschwerde, welche nun zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über Mecklenburg-Vorpommern geführt hat, wurde von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) koordiniert. Der gemeinnützige Verein macht es sich laut eigener Aussage unter anderem zum Ziel, Überwachung und digitale Durchleuchtung zu begrenzen.
    Auf ihrem Internetauftritt schreibt die GFF über sich selbst:

    Wir greifen unverhältnismäßige Gesetze an, die staatliche Stellen wie Polizei und Geheimdienste mit überbordenden Befugnissen ausstatten und einer umfassenden Überwachung der Bevölkerung den Weg bereiten. Der Schutz der Privatsphäre und der Selbstbestimmung über die eigenen Daten ist dabei elementar. Wir stellen uns zunehmender Überwachung durch umfassende Datenspeicherungen entgegen.

    Gesellschaft für Freiheitsrechte
    In der seit Jahrzehnten immer wieder aufkeimenden Diskussion darüber, wie weit Polizei und andere Ermittlungsbehörden bei ihrer Arbeit gehen dürfen, kann die GFF als exemplarisch für die Position Pro Freiheit betrachtet werden
    Der Gegenpol des möglichen Dilemmas lautet indes: Pro Sicherheit.
    Generell gilt: Ob mehr Freiheit zwangsläufig und in jedem Fall zu weniger Sicherheit führt und andersherum – auch darüber wird immer wieder heftig diskutiert.
    Ob der Einsatz von Bodycams, die Gesichtserkennung mithilfe von Software, Vorratsdatenspeicherung oder vorbeugende Haft: Der Ruf nach mehr Sicherheit und einer Verschärfung der Polizeigesetze wird nicht selten dann laut, wenn Angriffe auf die öffentliche Sicherheit die Meldungen und Schlagzeilen bestimmen. Beispiele sind die Anschläge vom 11. September 2001, die terroristische Anschlagswelle von Paris 2015 oder der Anschlag am Berliner Breitscheidplatz im darauffolgenden Jahr.
    In solchen Zeiten häufen sich Forderungen danach, dass die Polizei nicht erst bei konkreter Gefahr handeln solle, sondern bereits dann, wenn sich diese nur abzeichnet. „Vor die Lage kommen“, nennen das Sicherheitspolitiker gerne.
    Wer – mit Blick auf die politischen Lager – mehr Sicherheit fordert und wer mehr Freiheit, kann nicht verallgemeinert werden. Tendenziell sprechen sich jedoch eher konservative Kräfte für mehr Sicherheit aus, während Mitte-links-Parteien den Schutz von Privatsphäre und Selbstbestimmung für wichtig erachten. Auch wirtschaftsliberale Politiker und Parteien vertreten nicht selten die Position „Pro Freiheit“.
    Immer wieder gibt es bereits durchgesetzte Verschärfungen an Polizeigesetzen oder zumindest entsprechende Absichten, die zu heftigen Diskussionen zwischen den Lagern Pro Sicherheit und Pro Freiheit führen. Eine Auswahl:

    Gefängnis zur Vorbeugung – die Präventivhaft

    Nach dem bayerischen Polizeiaufgabengesetz können Bürger auf richterlichen Beschluss hin bis zu 30 Tage lang festgehalten werden, um die Begehung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder eine Straftat zu verhindern.
    Zuletzt für Aufsehen sorgte die Regelung im Herbst 2022, als in München zwölf Mitglieder der Klimaprotest-Gruppierung „Letzte Generation“ für einen Monat ohne Strafprozess eingesperrt wurden (bei einigen wurde die Strafe bereits nach 23 Tagen aufgehoben).
    Tatsächlich ist das Instrument des Präventivgewahrsams in zahlreichen deutschen Landespolizeigesetzen seit langem existent – bis vor wenigen Jahren oft begrenzt auf 24 oder 48 Stunden. Erst die Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes brachte in Bayern im Jahr 2017 die enorme zeitliche Ausweitung auf 30 Tage.

    Kritik an Präventivhaft als „großes rechtsstaatliches Problem“

    Im Interview mit Deutschlandfunk Kultur bezeichnete der Jura-Professor Markus Krajewski das Einsperren der im Volksmund auch „Klimakleber“ genannten Aktivistinnen und Aktivsten als „unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheit der Person“ und ein „großes rechtsstaatliches Problem“.
    In Bayern werde mit dem Instrument des Präventivgewahrsams etwas gemacht, wofür es ursprünglich nicht vorgesehen war, so Krajewski: Präventivgewahrsam wird dort benutzt, um abzuschrecken. „Und abschrecken dürfen wir mit dem Präventivgewahrsam gerade nicht – dafür haben wir Freiheitsstrafen“.
    Der Wissenschaftler betonte zudem, dass der Präventivgewahrsam einst vom Gesetzgeber eingeführt und gerechtfertigt worden sei, um schnell auf drohende terroristische Gefahren reagieren zu können. Die Anwendung auf Klima-Aktivisten gehe an diesem Zweck vorbei.

    Interessenvertretungen der Polizei uneins

    Zwei bekannte Interessensvertretungen für Mitarbeitende im Polizeidienst haben in der Frage der angemessenen Bestrafung für „Klimakleber“ unterschiedliche Ansichten. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält nichts von härteren Maßnahmen wie jenen in Bayern. Der aktuelle Strafrahmen sei ausreichend, um mit diesem Phänomen umzugehen, so der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende, Sven Hüber, gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa). Notwendig wäre es dagegen, vor dem Hintergrund der Aktionen von Gruppen wie die „Letzte Generation“ die unterschiedlichen Polizeigesetze der Länder zu harmonisieren.
    Für härtere Strafen – beispielsweise für Aktivisten, die sich auf Hauptverkehrsstraßen ankleben – spricht sich hingegen die Leitung der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) aus. In einer Stellungnahme schreibt sie, die „hohe Inanspruchnahme der Polizei und anderer Einsatzkräfte“ sei unverantwortlich und schade der Inneren Sicherheit.

    Automatisierte Auswertung von Daten

    In Hessen (und darüber hinaus) sorgte 2022 ein Computerprogramm für Aufmerksamkeit, welches auch nach dem Bundesland benannt ist: Die Software „Hessendata“ der US-Firma Palantir kann unterschiedlichste Daten analysieren und so zum Beispiel Zusammenhänge zwischen Menschen oder Organisationen herstellen.
    Gemeinsam mit weiteren Datenschutz-Organisationen hatte die Gesellschaft für Freiheitsrechte bereits 2019 Verfassungsbeschwerde gegen Hessens Polizeigesetz eingereicht, das den Einsatz der Software ermöglicht. Die Organisationen befürchten, dass komplexe Persönlichkeitsprofile erstellt werden oder Unbeteiligte ins Visier der Polizei geraten könnten, nur weil sie etwa in der Nähe eines Tatorts waren.
    Auch Hamburgs Polizeigesetz macht den Einsatz des umstrittenen Computerprogramms möglich. Die betroffenen Länder argumentieren, dass die Software dabei helfe, Anschläge wie den vom Berliner Breitscheidplatz zu verhindern.
    Auch vor der Razzia gegen ein mutmaßliches Reichsbürger-Netzwerk am 7. Dezember 2022 habe die Polizei das Beziehungsgeflecht rund um einen Hauptverdächtigen Dank der Software schnell und gründlich darstellen können, betont Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU). Das Hamburger Landeskriminalamt verweist zudem darauf, dass der Zeitfaktor bei Ermittlungen eine große Rolle spiele.
    Die Regelungen sehen derzeit vor, dass die Software ausschließlich zur Verhinderung schwerer Straftaten und zur Abwehr großer Gefahren genutzt werden darf. Die Verfassungsbeschwerden richten sich nur gegen den vorbeugenden Einsatz.
    Im Dezember 2022 begann das Bundesverfassungsgericht mit einer mündlichen Verhandlung über die automatisierte Auswertung von Daten mithilfe der Software. Ob die Gesetze, die den Einsatz des Tools rechtfertigen, verfassungsgemäß sind, wollen die Richter in Karlsruhe am 16. Februar abschließend verkünden.
    Auch in Nordrhein-Westfalen wird die Software seit Kurzem eingesetzt, dagegen liegt eine weitere Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe vor.

    Der Streit um die Vorratsdatenspeicherung

    Sollten Telekommunikationsanbieter digitale Spuren, die ihre Kunden hinterlassen, ohne Grund über einen längeren Zeitraum speichern dürfen – beispielsweise aufgerufene Webseiten, Verbindungsdauer oder individuelle Verkehrs- und Standortdaten? Diese Frage wird in Deutschland auf Bundesebene seit vielen Jahren immer wieder hitzig diskutiert. Während Strafverfolgungsbehörden eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung begrüßen und fordern, lehnen Datenschützer sie vehement ab.
    Im September 2022 hatte der Europäische Gerichtshof die bisherige deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung gekippt. Das Gesetz, das wegen des anhängigen Gerichtsverfahrens seit längerem nicht mehr angewandt wurde, sei nicht mit dem EU-Recht vereinbar, so das Urteil. Die anlasslose Speicherung nur von IP-Adressen für Ermittlungen wäre dem Urteil zufolge jedoch weiterhin möglich.

    Pro Vorratsdatenspeicherung

    Befürworter der Vorratsdatenspeicherung finden sich vor allem auf Seiten von Ermittlungsbehörden, wie Polizei, Geheimdienst und Staatsanwaltschaft. Sie erhoffen sich eine effektivere Strafverfolgung, weil sie so auf mehr Daten aus der Vergangenheit zurückgreifen können – u.a. bei der Bekämpfung und Prävention von Kinderpornografie. Auch Nancy Faeser (SPD) spricht sich für eine legale anlassbezogene Vorratsdatenspeicherung aus. Als Bundesinnenministerin ist sie quasi oberste Chefin der Bundespolizei, des Bundeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes.

    Contra Vorratsdatenspeicherung

    Zahlreiche Datenschutzorganisationen sehen in der Vorratsdatenspeicherung einen unangemessenen Eingriff in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger.  Sie befürchten, dass mithilfe der Daten rückwirkend die persönlichen sozialen Netzwerke der Nutzer analysiert und das Kommunikationsverhalten rekonstruiert werden kann. Über längere Zeit gespeichert werden könnte beispielsweise, wer mit wem wie lange über welche Mail-Adressen oder Messenger-Dienste hin und her schreibt.
    Auch die Telekommunikationsunternehmen sind überwiegend gegen die Vorratsdatenspeicherung – wenn auch aus anderen Beweggründen. Die Firmen Telekom und SpaceNet waren gegen die Bundesnetzagentur vor Gericht gezogen mit dem Ziel, der Vorratsdatenspeicherung endgültig den Garaus zu machen. Ihr Hauptargument: der personelle und finanzielle Aufwand für eine Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung sei für die Unternehmen einfach zu hoch.
    Bundesinnenminister Marco Buschmann (FDP) bevorzugt das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren als möglichen Nachfolger der Vorratsdatenspeicherung. Dabei würden Telekommunikationsanbieter verpflichtet, bei Verdacht Daten zu einzelnen Nutzern für einen bestimmten Zeitraum zu speichern, sozusagen einzufrieren. Bundesinnenministerin Faeser hält das jedoch für nicht ausreichend.

    Das Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen

    Schon vor seiner Verabschiedung durch die damalige Landesregierung im Dezember 2021 war das Versammlungsgesetz Nordrhein-Westfalens stark umstritten. Auch hierzu haben die GFF und sieben weitere zivilgesellschaftliche Organisationen Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht.
    Sie wenden sich laut Mitteilung gegen neue Straftatbestände, erweiterte Überwachungsbefugnisse „und das präzedenzlose Totalverbot von Versammlungen auf Autobahnen“. In dieser Kombination schreckten die Neuregelungen Menschen davon ab, ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auszuüben, so die Kritik des Bündnisses. Besonders betroffen sei die Klimabewegung. Daneben weite Nordrhein-Westfalen die Befugnis zur staatlichen Videoüberwachung von Versammlungen enorm aus.
    Quellen: dpa, Deutschlandradio, scr, Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), AFP, Jan-Martin Altgeld