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Auswirkung des Coronavirus
"Wir werden eine Delle in der Wachstumsrate sehen"

Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus auf China werden keine Rezession zur Folge haben, sagte der China-Experte Markus Taube im Dlf. Spätestens in der zweiten Jahreshälfte werde eine Erholung einsetzen. Allerdings drohten vor allem den kleinen Haushalten der Verlust ihrer Existenz.

Markus Taube im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
Ein Mann trägt eine Maske, während er auf einem Mobike an dem geschlossenen Huanan-Großmarkt für Meeresfrüchte vorbeifährt, der mit Fällen von Coronavirus in Verbindung gebracht wurde
Die Region Wuhan ist von der Außenwelt quasi abgeriegelt. Das habe dramatische wirtschaftliche Konsequenzen für die Provinz, sagte der China-Experte Markus Taube im Dlf. (Getty Images AsiaPac)
Ann-Kathrin Büüsker: China meldet einen neuen Höchststand an Erkrankungen. Das Coronavirus breitet sich weiter aus. In Hongkong gibt es einen ersten Todesfall und Selbstkritik in Peking.
Neben den zahlreichen menschlichen Konsequenzen wollen wir jetzt auch über die politischen und wirtschaftlichen sprechen. Weltweit schotten sich ja Länder in Richtung China ab, kappen Verbindungen. Asienstämmige Menschen weltweit erleben Rassismus, weil sie als potenzielle Ansteckungsgefahr gesehen werden.
Konzeptionelle Darstellung einer Virusinfektion der Lunge mit einem Mers Coronavirus 
Wie gefährlich ist das neuartige Coronavirus?
Die Zahl der mit dem Coronavirus Infizierten in China ist weiter angestiegen. In Deutschland wurden inzwischen mehrere Fälle bestätigt. Die Weltgesundheitsorganisation rief den "internationalen Gesundheitsnotstand" aus.
Gestern am ersten Handelstag nach den Neujahrsferien in China brachen sowohl die Börsen in Shanghai als auch in Shenzhen ein. Die Folgen werden wirtschaftlich spürbar.
Wie sehr, wie nachhaltig und welche Folgen das in einer globalisierten Welt hat, darüber möchte ich jetzt mit Markus Taube sprechen, Professor für Ostasien-Wirtschaft, Schwerpunkt China, an der Uni Duisburg-Essen. Einen schönen guten Morgen!
Markus Taube: Guten Morgen!
Büüsker: Herr Taube, es gibt ja Stimmen, die schon von einer drohenden Rezession in China sprechen. Ist das aus Ihrer Sicht berechtigt?
Taube: Rezession ist ja nun definiert, dass wir über mehrere Quartale hinweg eine Schrumpfung des Bruttoinlandsproduktes haben. Das sehe ich momentan noch gar nicht. Die Provinz Wuhan hat einen Anteil von vier Prozent am chinesischen BIP. Das ist doch relativ marginal und ich glaube, dass auf der gesamtvolkswirtschaftlichen Ebene der Effekt doch abgepuffert werden wird. Rezession sehe ich definitiv nicht. Wir werden eine Delle sehen in der Wachstumsrate. Die wird auch markant sein. Aber wir rutschen nicht in Negativwachstum hinein.
"Die Konjunkturmaßnahmen werden kommen"
Büüsker: Sehen Sie die Staatsführung da derzeit tatsächlich in der Lage, auch die kurzfristigen Effekte gut abzumildern? Wir haben ja eben im Beitrag gehört, da wird jetzt viel Geld reingepumpt.
Taube: Ja, genau. Es klingt etwas paradox, aber tatsächlich dürfte sie wahrscheinlich relativ gut vorbereitet sein, weil die chinesische Staatsführung im Rahmen des Handelskonflikts mit den USA faktisch bereits ein Maßnahmenpaket in der Schublade hat, und zwar auf der Zentral- und auf der kommunalen Ebene, um Konjunkturmaßnahmen hochzufahren.
Das war damals vorgesehen oder ist eigentlich vorgesehen für eine Eskalation des Handelskonflikts mit den USA, aber das sind natürlich Stimulierungspakete, die jetzt sofort gezündet werden können und hier eingesetzt werden. Das wird auch kommen, das wird mit Sicherheit kommen in den nächsten Wochen.
Büüsker: Was sind denn das konkret für Konjunkturmaßnahmen?
Taube: Meistens sind es fiskalpolitische Maßnahmen. Das heißt, es ist klar definiert, welche Regierungseinheit welche Unternehmen bei welchen Projekten unterstützt. Das heißt, der Staat nimmt Geld in die Hand, um bestimmte Infrastruktur- oder andere Projekte zu finanzieren und damit die wirtschaftliche Aktivität anzuregen.
Büüsker: Und dadurch kann China sich dann unter Umständen auch schnell wieder erholen?
Taube: Fakt ist. Als allererstes, was wir getan haben: Wir haben uns angeschaut, was bei Sars passiert ist, was in ähnlichen Fällen passiert ist, und wir sehen grundsätzlich, dass wir einen Peak erleben. Die Wachstumsrate, die ökonomische Aktivität fällt ein, bricht ein. Dann erholt sie sich aber enorm schnell wieder.
Wir gehen davon aus, dass wir in der Hoffnung, dass die Krise innerhalb der nächsten zwei, drei Monate durch ist, in der zweiten Jahreshälfte beschleunigtes Wachstum sehen werden, wo ein Großteil dessen, was wir jetzt verloren haben, wieder aufgeholt wird.
"Der gesamte Tourismus ist natürlich eingebrochen"
Büüsker: Ist das denn tatsächlich vergleichbar? Sars war ja 2002, da war China international noch gar nicht so stark wirtschaftlich vernetzt.
Taube: Das würde ich so gar nicht sehen. China war zu dem Zeitpunkt ebenfalls bereits ein ganz, ganz wichtiger Player in der Weltwirtschaft. Zwischendurch, zwischen 2003 und jetzt, war China die Weltbank der Welt und hat jetzt inzwischen diese Funktion eigentlich abgegeben an die siamesische Halbinsel, an Vietnam, an Kambodscha etc. etc. Der Peak ist in der Zwischenphase gewesen und das würde ich jetzt gar nicht so sehen als den zentralen Punkt. Das ist auch etwas, was über den Handelskonflikt in den letzten zwei Jahren ja nun massiv reduziert worden ist.
Der Hauptunterschied ist wahrscheinlich eher der, dass die chinesische Volkswirtschaft jetzt inzwischen viel stärker serviceorientiert ist, viel stärker die Dienstleistungen im Mittelpunkt der Aktivität stehen, und die werden natürlich momentan ganz besonders stark betroffen.
Büüsker: Dienstleistung stark betroffen. Wenn wir ansonsten auf die Wirtschaft gucken, welche Sektoren sehen Sie da außerdem unter Druck?
Taube: Den Einzelhandel selbstverständlich. Dann der gesamte Tourismus ist natürlich eingebrochen. Das Hotel- und Gaststättengewerbe ist eingebrochen. Dann natürlich alles, was mit Logistik zu tun hat, Logistik Warehousing und so weiter und so fort. Das sind die klassischen Bereiche, die momentan zusammenbrechen.
Manufacturing? – Wuhan ist jetzt nicht das Zentrum der chinesischen Wertschöpfungsketten. Das ist ein Logistik-Hub. Es ist eine Stadt mit einer starken Stahlindustrie. Aber es ist jetzt kein zentrales Zentrum für Bedienung von "made in China"-Exporten in die Welt hinaus.
"Auf der prekären Ebene werden wir sehr unschöne Entwicklungen sehen"
Büüsker: Sie kennen Wuhan ja auch sehr gut, weil Sie in der Stadt studiert haben. Was bedeutet das denn tatsächlich für die Dienstleistungsbetriebe in der Stadt, wenn diese komplett abgeriegelt wird und gar kein Verkehr auch nach draußen stattfindet?
Taube: Da sehe ich das allergrößte Problem. Da sehe ich die größten Gefahren im Endeffekt. Und zwar sind das insbesondere diese prekären Dienstleistungen, diese kleinen Haushalte, die im Endeffekt mit dem, was sie verdienen, gerade mal sich selbst ernähren und über die Runden kommen.
Wenn denen jetzt über Wochen und Monate hinweg das Einkommen wegbricht, der Umsatz wegbricht, dann gehen wahrscheinlich Existenzen verloren. Ich denke, gerade auf dieser prekären Ebene werden wir sehr, sehr unschöne Entwicklungen sehen, und das ist auch der Bereich, der von der Staatsführung bislang am schlechtesten abgefedert wird oder unterstützt wird.
Dazu kommt, dass das Finanzwesen in China immer noch nicht unseren Standards entspricht. Viele dieser Leute sind über P2P, über Crowdsourcing finanziert, haben eine sehr, sehr dünne Kapitaldecke. Da könnte es durchaus passieren, dass durch eine Art Domino-Effekt einiges an Finanzierung einfach verloren geht, wegbricht.
"Die Familie wird erneut die Hauptlast tragen müssen"
Büüsker: Es gibt ja in China auch kein soziales Netz, was die Existenz der Individuen sichert, oder?
Taube: Es hat sich sehr viel getan. Das soziale Netz ist in den letzten Jahren deutlich besser aufgebaut worden. Aber gerade die Personengruppe, die ich eben angesprochen habe, ist wahrscheinlich diejenige, die am wenigsten davon partizipieren wird. Der Hauptrückhalt ist in China immer noch die Familie. Es gibt ja sogar Gesetze, dass Familienmitglieder verpflichtet sind, hier sich um ihre Eltern zu kümmern etc. etc. Die Familie wird erneut die Hauptlast tragen müssen für die Menschen, die hier betroffen sind.
Wobei ich meine: Wenn alles jetzt so regional konzentriert ist auf Wuhan, auf die Großregion Wuhan, dort sind dann natürlich auch die Familien konzentriert. Da ist keiner von außen, der von außen her groß Ressourcen hineinsteuern kann.
Büüsker: Herr Taube, lassen Sie uns zum Ende unseres Gesprächs vielleicht noch mal auf die internationale Komponente gucken. Sie haben jetzt gesagt, die chinesische Wirtschaft wird schon eine kleine Delle erleben. Was heißt das denn insbesondere auch für deutsche Betriebe, die ja in engem Kontakt zu China stehen?
Taube: Wir haben in Wuhan eine relativ kleine Gruppe von deutschen Unternehmen, die dort präsent sind. Die wichtigsten sind Bosch, Metro, SAP, Schäffler, Siemens, Tesa, Webasto. Das sind einige der deutschen Unternehmen, die in Wuhan aktiv sind. Die werden in diesen Geschäften natürlich durchaus erhebliche Einbußen erleben. Ansonsten haben wir natürlich in Gesamtchina einen großen, großen Stand an deutschen Unternehmen, die dort aktiv sind.
Die Meldungen, die ich bekomme, sind eigentlich, dass man davon ausgeht, dass alles sich relativ zügig wieder erholen wird. Das sind Unternehmen, die bedienen den Binnenmarkt. Wie gesagt, da gibt es momentan einfach Umsatzausfälle, weil die Volkswirtschaft mehr oder minder stillsteht. Aber man rechnet damit, dass dieser Nachholeffekt relativ bald eintreten wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.