Silke Hahne: Die Branche steht vor riesigen Herausforderungen und unter massivem politischen Druck: Der Diesel ist zum Wahlkampfthema geworden. Ist da eine Glitzer-Auto-Show wie die IAA-Pkw überhaupt noch zeitgemäß?
Matthias Wissmann: Ja, natürlich mehr denn je, denn weltweit werden im Jahre 2017 etwa 84 Millionen Fahrzeuge verkauft. Die deutsche Industrie ist in wenigen Bereichen so stark wie im Automobilsektor, Hersteller und Zulieferer, und hat einen so hohen Weltmarktanteil.
Und die IAA ist natürlich die weltweite Leistungsschau internationaler Hersteller und Zulieferer über künftige Entwicklungen, und natürlich ist das, was man dort erlebt, hoch spannend, weil wir haben eine grundlegende Veränderung vor uns. Der Benziner und der Diesel bleiben, aber die Elektromobilität wird immer stärker. Alternative Antriebe kommen auf breiter Front.
Die Digitalisierung dieser Industrie geht mit großen Schritten voran und über diese Digitalisierung kriegt man natürlich unheimlich viele auch Probleme des Verkehrs gelöst, und all das sieht man auf der IAA. Man wird dort das erste Mal auch auf der zentralen Freifläche der IAA selbstfahrende Autos sehen können. Das bleibt schon hoch spannend und für Deutschland kann man nur froh sein, dass wir der Gastgeber dieser größten Mobilitäts-Show der Welt sind.
"Versöhnung von Digitalem und Automobilem"
Hahne: Also ist das Motto ein bisschen klotzen statt kleckern, sehr aktiv in die Zukunft schauen und vergessen, was hinter einem liegt?
Wissmann: Nicht vergessen! Wenn Fehler gemacht worden sind, aus Fehlern zu lernen, aber gleichzeitig zu begreifen, es wird in den nächsten 20, 30, 40 Jahren entscheidend auf die Automobilindustrie ankommen, intelligente Verkehrslösungen zu finden, die eine Versöhnung von Ökologie und Ökonomie bedeuten. Und diese neuen Wege, die sieht man bei der IAA stärker als zuvor.
Es freut mich ja zum Beispiel auch, dass wir eine ganz starke Präsenz von Digitalunternehmen haben, dass Facebook dort einen großen Aufschlag macht, dass Google kommt, Samsung. Das heißt, es wird nicht nur die klassische Automobilentwicklung gezeigt, sondern diese Versöhnung von Digitalem und Automobilem.
Hahne: Der "Zeit" haben Sie gesagt, Sie gehen nicht von der Fahne, wenn es schwierig wird. Das war bezogen auf die Gerüchte um Ihren Rücktritt. Sie waren ja mal Politiker, Verkehrsminister sogar. Wäre es nicht eigentlich einfacher, jetzt wieder die Seiten zu wechseln in diesen Zeiten?
Wissmann: Nein. Mir macht die Aufgabe Spaß und in Stürmen zu bleiben, wenn es schwierig ist, das fordert mich auch heraus.
"Nicht jede Regulierung der Vergangenheit war richtig"
Hahne: Auf Angela Merkel können Sie ja auch zählen. Wie finden Sie das denn? Sie schwankt ja so zwischen "stocksauer" und "wir brauchen den Diesel". Fühlen Sie sich unterstützt von Angela Merkel?
Wissmann: Ich finde, dass man verstehen muss, dass es in der Politik einen Ärger gibt, auch eine deutliche Kritik an Fehlern, Fehlern, die - ich betone - nicht in allen Unternehmen, aber in einzelnen Unternehmen gemacht worden sind, die inzwischen diese Fehler natürlich mit aller Anstrengung aufarbeiten.
Auf der anderen Seite kann man auch lernen, dass nicht jede Regulierung der Vergangenheit richtig war und dass man Gott sei Dank jetzt ab 1. September 2017 bessere Regulierungen für Stickoxide in Europa hat, indem wir einen neuen Normzyklus bekommen, indem wir jetzt auch harte Straßenmessungen bekommen.
Früher gab es ja praktisch nur die Tests im Labor. Das sind Fortschritte und insofern lernen wir aus Fehlern. Aber ich weiß, dass auch die Politik selbstkritisch mit bestimmten Themen umgeht.
"Weltgesundheitsorganisation kommt zu anderen Ergebnissen"
Hahne: Rechnen Sie damit, in Zukunft stärker an die Kandare genommen zu werden?
Wissmann: Wir haben jetzt einfach klarere Rahmenbedingungen und das finde ich richtig so. Denn was macht es für einen Sinn, wie in der Vergangenheit an bestimmten Straßenpunkten 40 Mikrogramm Stickoxide pro Kubikmeter zu verlangen, 40, und in der benachbarten Fabrik 950 Mikrogramm?
Hahne: Aber Menschen arbeiten acht Stunden am Tag, während vielleicht kranke alte Leute den ganzen Tag zuhause sind an der viel befahrenen Straße.
Wissmann: Das finde ich eine sehr oberflächliche Beschreibung. Wenn man Mitarbeitern in einem Unternehmen acht Stunden am Tag mindestens 950 Mikrogramm zumutet und jemandem, der wenige Sekunden vorbeifährt an einer Messstelle, 40 Mikrogramm, dann stimmt irgendwas in der Regulierung auch nicht.
Wir sollten nicht so tun, als sei jetzt jede Regulierung ideal, wenn die Weltgesundheitsorganisation zu ganz anderen Ergebnissen kommt, was medizinisch zumutbar ist und was nicht.
Hahne: Das heißt, das ist Ihr neues Lobby-Ziel nach der IAA, die Grenzwerte?
Wissmann: Das ist kein Lobby-Thema. Es ist eine Beschreibung dessen, was man aus einer Regulierung lernen kann, die ohne ein Impact Assessment vorgenommen wurde.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.