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Autoindustrie
Daimler zwischen Dieselskandal und künftiger Mobilität

Die Autoindustrie ist im Umbruch - so auch der Stuttgarter Autohersteller Daimler. Das Unternehmen baut an seiner Zukunft als "Anbieter von Mobilität" und kämpft um seine Glaubwürdigkeit in der Dieselaffäre. Wohin geht die Reise für Daimlers Mitarbeiter und die seiner Zulieferbetriebe?

Von Uschi Götz |
    Das Logo der Automarke Mercedes-Benz der Daimler AG ist am 24.07.2017 in Stuttgart (Baden-Württemberg) auf einem Gebäude des Werks Untertürkheim, in dem sich auch die Konzernzentrale befindet, zu sehen.
    Bei der Belegschaft von Daimler ist die Stimmung angespannt (picture alliance/dpa - Marijan Murat)
    Das Auto werde gerade neu erfunden - wird der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretsvhmann nicht müde zu betonen. Die Transformation - der Wandel also zu neuen Antriebsformen, weg vom Verbrennungsmotor hin etwa zur E-Mobilität – ist keine einfache Herausforderung. Doch was passiert, wenn der in Stuttgart ansässigen Daimler AG dieser Wandel nicht glückt? Jeder fünfte Arbeitsplatz in Baden-Württemberg – das sind über 200.000 Jobs - hängt direkt mit dem Autobau zusammen.
    "Ich persönlich gehe von einer Krise aus. Eine Krise ist eine Zeit, in der sich was entscheidet. Die Zukunft des klassischen Automobils entscheidet sich in den nächsten Jahren."
    "Was uns am meisten beunruhigt, diese Diskussion rund um das Thema Batteriekompetenz und Zellkompetenz. Daran wird sich die Leistungsfähigkeit entscheiden."
    "Es gibt auch ein Szenario, wo alle Verlierer werden können. Ja, das Vorzeigeland Baden-Württemberg kann in große Turbulenzen kommen."
    Autoindustrie im "Kampf der Welten"
    Die Automobilindustrie - Deutschlands Schlüsselindustrie - steht vor ihrer größten Herausforderung seit der Erfindung des Autos. Die Transformation - der Wandel zu neuen Antriebsformen - fordert die Branche wie nie zuvor heraus. Zeitgleich sind die Autobauer bis auf wenige Ausnahmen in den Diesel-Skandal verstrickt.
    "Die Automobilindustrie und damit auch wir haben eine Vielzahl von Herausforderungen zu meistern", sagte der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG, Dieter Zetsche, im Juli bei der Vorstellung der Quartalszahlen seines Konzerns. Jahrelang glänzte der Stuttgarter Autobauer mit Rekordmeldungen in Absatz und Gewinn. Im zweiten Quartal 2018 allerdings brach der Gewinn ein - gegenüber dem Vorjahr um fast 30 Prozent. Das aber ist längst nicht das einzige Problem von Daimler, sagt Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft und Leiter des Forschungsinstituts Center of Automotive in Bergisch Gladbach:
    "Man muss ganz klar sagen, die Automobilindustrie - und Stuttgart ist da das beste Beispiel mit Daimler - steht mitten in einem Kampf der Welten, wie ich es bezeichnen würde: zwischen der herkömmlichen Automobilwelt mit den etablierten Playern, wie Daimler und Porsche auf der einen Seite."
    "Enorme Arbeitsplatz-Auswirkungen"
    Und den sogenannte Big Data-Players auf der anderen Seite:
    "Die Googles, Apples oder etwa die Ubers und andere, die Mobilität künftig auch anbieten wollen. Und die Frage ist, wer diesen Kampf gewinnt. Und dieser Kampf findet vor dem Hintergrund enormer technologischer Veränderungen statt, die enorme Arbeitsplatzauswirkungen haben."
    Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, spricht bei der Hauptversammlung des Unternehmens. 
    "Wir haben bei Daimler nie betrügerische Software eingesetzt und werden dies auch nicht tun" - viele Dieselfahrer vertrauten diesen Worten von Daimler-Konzernchef Dieter Zetsche. (dpa/picture alliance/ Britta Pedersen)
    Längst nimmt in Baden-Württemberg die Sorge zu, dass die Automobilbranche und damit die wichtigsten Arbeitgeber der Region ins Straucheln geraten könnten. In Stuttgart haben Daimler und Porsche ihre Zentralen. In Neckarsulm produziert Audi in einem großen Werk. Und auch große Zulieferer der Automobilindustrie wie Bosch oder Mahle sind im Südwesten ansässig. Jeder 5. Arbeitsplatz in Baden-Württemberg – das sind über 200.000 Jobs - hängt direkt mit dem Autobau zusammen.
    Die Neuerfindung des Autos nach Winfried Kretschmann
    Die Herausforderungen für die Branche sind vielfältig. Das Auto werde gerade neu erfunden, betont Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Für sein Bundesland steht viel auf dem Spiel. Deshalb rief Winfried Kretschmann im vergangenen Jahr den Strategiedialog Automobilwirtschaft Baden-Württemberg ins Leben:
    "Unser Ziel ist, dass das Auto, dass die Mobilität der Zukunft weiterhin Made in Germany, Made in Baden-Württemberg sein soll. Das Land soll auch zukünftig führender Automobil- und Mobilitätsstandort sein, der Vorreiter für klimaschonende Mobilität. Und es soll auch den Menschen in Zukunft gute Arbeitsplätze bieten."
    Kretschmann hat längst begriffen: Wenn die schwäbischen Autobauer, allen voran Daimler, aus der Spur kommen, sind auch die goldenen Zeiten in Europas wirtschaftsstärkster Region vorbei.
    "Erst einmal gibt es ein paar harte Jahre, das wird so sein"
    Die Transformation - der Wandel also zu neuen Antriebsformen, weg vom Verbrennungsmotor hin zur E-Mobilität – ist keine einfache Herausforderung. Doch was passiert, wenn Daimler dieser Wandel nicht glückt?
    Mittlerweile wird offen darüber diskutiert, ob der Region Stuttgart möglicherweise ein ähnliches Schicksal wie dem Ruhrgebiet drohen könnte, auch die US-amerikanische Autostadt Detroit wird genannt. Walter Rogg, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart:
    "Seriöserweise würde ich gar keine Entwicklung ausschließen. Ich glaube aber an eine andere Entwicklung als in Detroit oder im Ruhrgebiet. Ich glaube, dass die Region Stuttgart mit ihrer großen Erfahrung im Bereich Fertigung und Industrie, mit ihrer Diversifizierung tatsächlich auch die Chance hat, neue Geschäftsmodelle, neue Produkte, mit gleicher Qualität und internationaler Wettbewerbsfähigkeit auf den Markt zu bringen. Aber: Erst einmal gibt es ein paar harte Jahre, das wird so sein."
    Daimler im Fokus von Kritik und Klagen
    Als wäre dieser Wandel nicht schon anspruchsvoll genug, wird der Stuttgarter Autobauer immer tiefer in den Strudel der Dieselaffäre gezogen. In den USA haben die angesprochenen harten Jahre für Daimler nämlich längst begonnen. Dort sind Sammelklagen von Autokäufern anhängig, die dem Unternehmen gesetzeswidrige Software-Manipulation bei Dieselmotoren vorwerfen. Auch in Deutschland ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart deshalb gegen den Autobauer, der seinen Stammsitz im Stadtteil Untertürkheim hat.
    Im Mai 2017 suchten Ermittler bei einer bundesweiten Razzia an verschiedenen Daimler-Standorten nach Beweisen für mögliche Manipulationen. Genau ein Jahr später folgte der nächste Paukenschlag, dieses Mal aus Berlin:
    "Die Bundesregierung fordert vom Autobauer Daimler Aufklärung über die jüngsten Abgasvorwürfe binnen zwei Wochen. Verkehrsminister Scheuer sagte heute nach einem Treffen mit Konzernchef Zetsche, Ziel sei es, die genaue Anzahl der betroffenen Modelle zu ermitteln. Das Kraftfahrtbundesamt hatte bei einem Modell des Kleintransporters Vito, eine unzulässige Abgastechnik festgestellt. Daimler weist das zurück."
    Auch Daimler soll betrogen haben. Zweimal wurde Konzernchef Zetsche deshalb ins Bundesverkehrsministerium zitiert. Minister Andreas Scheuer ordnete den Rückruf der betroffenen Fahrzeuge an: Europaweit mussten rund 800.000 in die Werkstätten, ein Viertel davon in Deutschland.
    Dieselfahrer Kretschmann ist sauer
    Das Land treffen diese Meldungen ins Mark. Mitarbeiter, Politiker, ein ganzes Land haben bis dahin den Worten des Konzernchefs vertraut:
    "Wir haben bei Daimler nie betrügerische Software eingesetzt und werden dies auch nicht tun."
    Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann spricht in Münster auf dem Bundesparteitag der Grünen.
    "So was geht gar nicht", sagt Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zum Versuch, Kunden bei Abgaswerten hinters Licht zu führen (dpa-Bildfunk / Bernd Thissen)
    Der Schock währt bis heute. Die Stimmung innerhalb der Belegschaft sei schlecht, wird aus verschiedenen Werken berichtet. Und auch der bekennende Dieselfahrer Kretschmann wetterte:
    "So mit der Öffentlichkeit zu verfahren, mit den Kunden, die sind der Meinung, sie kaufen ein sauberes Auto, und dann stellt sich heraus in der Fahrpraxis, es ist eine Dreckschleuder. So was geht gar nicht!"
    "Dieser Rucksack ist schwer und macht träge"
    "Dieser Rucksack ist schwer, und der macht träge und verhindert, dass man sich mit voller Kraft auf diese Zukunftsthemen, wie etwa das Thema Elektromobilität, stürzen kann. Das ist eine gewissen Tragik, weil intern bei den Unternehmen sich eine große Anzahl von Beschäftigten, auch Managern, mit der Aufarbeitung der Vergangenheit beschäftigen müssen", findet der Autoexperte Stefan Bratzel.
    Nur wenn Daimler und die anderen Autobauer offen Fehler einräumen, könne der Weg in ein neues Mobilitätszeitalter eingeläutet werden, glaubt er. Im Moment komme alles zusammen: Dieselskandal, drohende Fahrverbote in vielen Städten, die Umstellung auf neue Antriebsformen, also der Transformationsprozess. Und dann drohte auch immer wieder der US-Präsident, deutsche Autos mit Strafsteuern bzw. -zöllen zu belegen:
    "Es gibt auch ein Szenario, wo alle Verlierer werden können. Wenn man sich als Daimler-Konzern beispielweise sehr stark nur noch mit der Vergangenheit beschäftigen muss, wenn kein Vertrauen da ist, auch von Seiten der Politik, dass man auf die Worte und Taten vertrauen kann, dann werden am Ende alle verlieren. Und ja, das Vorzeigeland Baden-Württemberg kann in große Turbulenzen geraten."
    Vom Fahrzeughersteller zum Mobilitätsanbieter
    Und als wäre das Krisenmanagement des Autobauers nicht bereits in vollem Gang, leitet Daimler derzeit auch noch den Umbau des Unternehmens ein. Ende Juli stimmten Vorstand und Aufsichtsrat einer seit 2017 diskutierten Dreiteilung der Daimler AG zu. Unter deren Dach soll es künftig drei selbständige Einheiten geben:
    In der Sparte Mercedes-Benz AG werden Autos und Vans gebündelt. Die Daimler Truck AG managt künftig Lastwagen und Busse. Und die bereits selbständige Daimler Financial Services AG wird in Daimler Mobility AG umbenannt und soll die Geschäftsfelder Finanz- und Mobilitätsdienstleistungen abdecken. Ziel der Dreiteilung ist es, flexibler in den einzelnen Bereichen zu sein, um schneller auf Veränderungen reagieren zu können. Doch was aus der künftigen Daimler Mobility AG zu hören ist, lässt bereits aufhorchen:
    Als Head of Mobility Services leitet Jörg Lamparter seit dem vergangenen Jahr alle digitalen Mobilitätsdienste bei Daimler. "Wir helfen dem Kunden dabei, kein eigenes Auto mehr besitzen zu müssen", sagte der Manager wörtlich in einem Zeitungsinterview. Und weiter:
    "Wir wandeln uns von einem reinen Fahrzeughersteller zu einem Anbieter von Mobilität, der neben Fahrzeugen eben auch weitere Formen der Mobilität anbietet."
    Car2go: vor zehn Jahren der erste Carsharing-Dienst der Welt
    Ein Autobauer, der künftig also weniger Autos baut? Spätestens jetzt müssten bei den Daimler-Mitarbeitern die Alarmglocken läuten. Weltweit verkaufte der Konzern von April bis Juni 833.000 Pkw und Nutzfahrzeuge.
    Vor genau zehn Jahren fiel der Startschuss für car2go, ein Tochterunternehmen der Daimler AG. Damals der erste Car-Sharing-Dienst der Welt - ohne feste Mietstationen, die Smart-Fahrzeuge über eine App buchbar. Dem nicht genug: Über die moovel-App können car2go- und mytaxi-Fahrzeuge, Bahn-Fahrten sowie Online-Tickets für den öffentlichen Personennahverkehr gebucht und bezahlt werden. Gleichzeitig werden in der App die besten Verbindungen von A nach B aufgezeigt. Ein in dieser Form bislang einmaliges System mit beeindruckenden Erfolg: Die drei Mobilitätsdienstleitungen zählen weltweit rund 23,5 Millionen Kunden.
    "In der Regel kann man sagen, wir verdoppeln die Kundenzahlen pro Jahr. Über organisches Wachstum, über anderes Wachstum, wo wir weiter sukzessive in weitere Städte ausrollen."
    Mobilitätsbündnis von Daimler und BMW
    Dass es sich für Autobauer um einen wichtigen Zukunftsmarkt handelt, zeigt auch folgendes Ereignis: Im März haben Daimler und BMW eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet: Die Stuttgarter und die Münchner wollen ihre Carsharing-Sparten Car2Go und DriveNow zusammenlegen. Allein dieses Bündnis zeigt, wozu deutsche Autobauer mittlerweile bereit sind, um den Markt nicht an andere Mitspieler wie etwa Google und Apple zu verlieren, die bereits angekündigt haben, in das Geschäft mit Mobilität groß einsteigen zu wollen.
    Fahrzeuge der Car Sharing Unternehmen Car2Go und DriveNow stehen in Köln auf einem gebührenpflichtigen Parkplatz.
    Fahrzeuge der Car Sharing Unternehmen Car2Go und DriveNow wollen fusionieren. (dpa / picture alliance / Horst Galuschka)
    Doch was heißt das für die Autoproduktion in Deutschland? Zeichnet sich hier etwa bereits das Ende eines Geschäftsfeldes ab? In keinem Fall, sagt Wilfried Porth, Personalvorstand der Daimler AG. Das Thema individuelle Mobilität, also das eigene Auto, werde es weiterhin geben:
    "Vor 15 Jahren hat man die Automobilindustrie tot geredet, sterbende Industrie, da passiert nichts, es wird alles ganz langweilig. Ich glaube, die Industrie ist im Moment spannender denn je. Es gibt mehr Autos denn je auf der Welt, die verkauft werden. Und ich denke, man muss das viel differenzierter sehen. Natürlich wird es in Städten oder Ballungsgebieten eine andere Mobilität geben als in der Fläche. Es wird in unterschiedlichen Ländern anders ausgestaltet werden."
    Absatz in China, USA, Europa - in dieser Reihenfolge
    Personalvorstand Porth ist sicher, dass die künftigen unterschiedlichsten Formen der Mobilitätsangebote nicht zu einer Reduzierung der weltweiten Anzahl von Fahrzeugen führen werden.
    "Die Vergangenheit hat gezeigt, dass im Rahmen der Ausweitung der Mobilität eigentlich am Ende mehr Fahrzeuge auf den Markt kommen."
    Wobei Europa längst nicht mehr der wichtigste Markt für Daimler ist. Europa liegt in Punkto Absatz an dritter Stelle, China an der Spitze, gefolgt von den USA.
    Was aber ist, wenn sich die Märkte weiter verschieben? Anfang August wurde bekannt, Daimler will den Elektro-Smart auch in China produzieren.
    "Wir kommen an der Elektrifizierung nicht vorbei"
    Und in Deutschland? Hier läuft der Verkauf von Elektrofahrzeugen nur sehr schleppend an. Trotzdem hat Daimler seinen Beschäftigten an den deutschen Standorten eine Jobgarantie bis Ende 2029 gegeben. Was danach, also in elf Jahren kommt? Keiner mag das heute abschätzen. Und die Zukunftsangst der fast 180.000 Daimler-Mitarbeiter in Deutschland wächst. Tatsache ist, dass bis zum Jahr 2030 jeder zweite Arbeitsplatz in der Automobilindustrie gefährdet ist, sollte sich die Elektromobilität tatsächlich durchsetzen.
    Entsprechende Ergebnisse liefert die Studie mit Titel "Wirkungen der Fahrzeugelektrifizierung auf die Beschäftigung am Standort Deutschland", kurz ELAB genannt. Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart hat diese Studie im Auftrag der IG Metall durchgeführt. Deren Zahlen bringen die Arbeitnehmervertreter in ein Dilemma, das bestätigt Frank Iwer. Er ist Leiter Strategische und Politische Planung bei der Gewerkschaft:
    "Wir haben die Studie deshalb in Auftrag gegeben, um ein Stück weit Folgenabschätzung zu machen. Und Folgenabschätzung schließt ja ein, die Einschätzung, wir kommen an der Elektrifizierung nicht vorbei. Die wird es geben mit uns oder ohne uns."
    Gewerkschaft fürchtet Arbeitsplatzabbau
    Die Studie geht von einer Elektrifizierungsquote von rund einem Viertel aller Fahrzeuge bis zum Jahr 2030 aus. Der Bau eines Elektromotors erfordert allerdings im Vergleich zur Herstellung eines Verbrennungsmotors viel weniger Arbeitsschritte – und damit auch viel weniger Arbeitskräfte hierzulande:
    "Das heißt, dass per Saldo ungefähr 75.000 Arbeitsplätze im Antriebsstrang entfallen - von den 200.000 Kolleginnen und Kollegen, die da heute arbeiten. Und wenn es gut läuft 25.000 neue Arbeitsplätze entstehen rund um Batterien, Batteriemanagement, Leistungselektronik und ähnliches."
    Während die IG Metall angesichts solcher Zahlen schluckt, schrecken sie den Daimler-Personalvorstand nicht. Natürlich werde ein Elektromotor weniger Arbeitsschritte brauchen, sagt Wilfried Porth:
    "Das schließt nicht aus, dass man durch Erhöhung seiner Marktanteile, durch Wachstum, Erfolg im Unternehmen dieses ein Stück weit abfedern kann. In dem man mehr von dem macht, was in Zukunft kommt, als man dem gemacht hat, was in der Vergangenheit oder heute da ist."
    Daimler-Personalvorstand will nach vorne schauen
    Der Daimler-Manager ist es offenbar leid, sich ständig der Diskussion um die Zukunft der Arbeitsplätze in der Autobranche stellen zu müssen. An die Adresse der Politik gerichtet, stellt er dann auch klar:
    "Es gibt die Verantwortung in dieser Region eben nicht nur ausschließlich vom Automobil abhängig zu sein. Es gibt die Verantwortung, neue Technologien, neue Wirtschaftszweige attraktiv nach Baden-Württemberg zu holen."
    BAU // 23.05.2017, Deutschland, Stuttgart, Fußball 2. Bundesliga VfB Stuttgart: Wilfried Porth (Personalvorstand und Arbeitsdirektor der Daimler AG sowie Aufsichtsratsmitglied des VfB Stuttgart) | Verwendung weltweit
    Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth will nicht nur auf drohenden Arbeitsplatzverlust durch E-Mobilität schauen, sondern auch auf neue Geschäftsfelder (picture alliance / Pressefoto Baumann / Alexander Keppler)
    Als Beispiel nennt Porth die Digitalisierung. Die Daimler AG allein für die Zukunftsfähigkeit und den Wohlstand der Region Stuttgart verantwortlich zu machen, will der Personalvorstand jedenfalls nicht akzeptieren:
    "Der alleinige Fokus auf die Automobilindustrie - um Gottes Willen, wir müssen ja die Arbeitsplätze erhalten - das wird die Region nicht die nächsten hundert Jahre wohlhabend sein lassen. Sondern wir müssen dort auch uns dem anderen Thema nähern: Was kann noch kommen, was kann auch anderes kommen? Um zu helfen diesen langfristigen, noch einmal, sehr langfristigen Effekt mit abzufedern."
    Zukunftsthema Batteriekompetenz
    In Baden-Württemberg hat man zwischenzeitlich reagiert: Eine Art Task-Force wurde im Januar gebildet, ein Krisenstab mit dem sperrigen Namen "Transformationsbündnis Automobilwirtschaft Region Stuttgart". IG Metall, Agentur für Arbeit, Handwerks- sowie Industrie- und Handelskammer, Arbeitgeberverband Südwestmetall und DGB sind darin vertreten. Frank Iwer von der IG Metall muss die Analyse des Krisenstabs nicht abwarten. Für ihn steht schon heute ein Thema im Fokus:
    "Uns beunruhigt am meisten diese Diskussion rund um das Thema Batterie- und Zellkompentenz, weil daran wird sich die Leistungsfähigkeit entschieden. Und heute werden die Batterien schon zugeteilt, das ist kein normaler Markt. Das ist ein industriepolitisch überformter Markt. Daimler hätte ja im letzten Jahr schon etliche E-Smarts mehr verkaufen können, hat aber von LG Chem schlichtweg die Zellen nicht bekommen, trotz Angebot mehr dafür zu bezahlen. Also da ändern sich gerade Markt- und Machtstrukturen."
    Die Autoindustrie sei eben auch eine Machtstruktur, fügt Frank Iwer hinzu. Und hier gelte es, die Kompetenz für die Wertschöpfungskette zu erhalten.
    "Und das ist, was Deutschland heute auszeichnet, die deutsche Autoindustrie auszeichnet. Im Unterschied auch zu den Detroitern, die Technikkompetenz ausgelagert hatten und nicht mehr selber beherrscht haben."
    Im Dreischichtbetrieb in eine ungewisse Zukunft
    Es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Die Transformation beim Autobauer Daimler hin zu neuen Antriebsformen wird sich schneller vollziehen als zunächst angenommen. Jüngst kündigte das Unternehmen an, statt einer zwei Batteriefabriken am Standort Stuttgart-Untertürkheim bauen zu wollen. Und auch am Standort Sindelfingen werden schon bald Batterien produziert. Im sächsischen Kamenz werden diese für die künftigen E-Modelle der Daimler Tochter Accumotive schon längst gebaut. Allerdings werden die Zellen für die Batterien aus Asien zugekauft.
    Viele sehen den heutigen Wohlstand der Region Stuttgart als Sitz der Daimler AG bereits schwinden. Die Marke mit dem Stern jedoch sieht Personalvorstand Wilfried Porth weder heute noch in Zukunft gefährdet. Im Moment laufe die Produktion im Dreischichtbetrieb, um die hohe Nachfrage nach Mercedes-Benz-Fahrzeugen zu erfüllen:
    "Dieser Shift in die Elektromobilität, der wird nicht von heute auf morgen, von Null auf Hundert gehen. Das wird graduell passieren, über die nächsten Jahre. Und gleichzeitig wollen wir weiter wachen, und Mobilität ist ja nicht jedem auf dieser Welt zugänglich, in der Form, wie wir das hier in Deutschland kennen."