Die jüngste Hiobsbotschaft aus der deutschen Autoindustrie kommt aus Köln: Ford will 2900 Stellen abbauen. Dabei hatte der Konzern gerade erst zwei Milliarden Euro investiert, um die Produktion von E-Autos hochzufahren. Doch der Absatz schwächelt.
Gleiches erlebt Volkswagen. Nach einem massiven Gewinneinbruch im dritten Quartal kann Europas größter Autobauer den Umstieg auf Elektroautos nicht mehr aus den Einnahmen finanzieren. Als Antwort darauf wollte der Konzern zunächst Werke schließen und Zehntausende Mitarbeiter entlassen. Mittlerweile hat VW aber die Bereitschaft signalisiert, über eine Zukunft aller Standorte ohne Massenentlassungen zu verhandeln.
Wie sind die Autokonzerne in die Krise geraten? Welche Rolle spielen staatliche Förderprogramme und Subventionen generell für die deutsche Autoindustrie?
Wie geht es der deutschen Autoindustrie?
Der Automobilbau gilt als Schlüsselindustrie in Deutschland. Rund 770.000 Menschen sind in der Branche beschäftigt. Gemessen am Umsatz ist es die mit Abstand größte Industriebranche im Land. Doch es kriselt nicht nur bei Volkswagen, sondern auch bei BMW, Mercedes und Co. Im Durchschnitt waren ihre Werke 2023 nur zu etwas mehr als zwei Dritteln ausgelastet, wie aus einer Auswertung des Datenspezialisten Marklines hervorgeht.
Die Konzerne beklagen schwache Verkaufszahlen, vor allem bei Elektroautos, und hohe Kosten für den Umstieg auf den E-Antrieb. Das lässt die Gewinne schrumpfen. Dazu kommt eine starke Konkurrenz. Neue Wettbewerber wie Tesla und diverse Hersteller aus China laufen den deutschen Autobauern den Rang ab.
Auf einem „Autogipfel“ Ende September diskutierte die Bundesegierung mit Vertretern der Branche, um mögliche Auswege aus der Krise zu finden. Greifbare Ergebnisse brachte das Treffen allerdings nicht. Mit dem Bruch der Ampel-Koalition und den anstehenden Neuwahlen ist aus der Bundespolitik bis auf weiteres mit keinem Impuls mehr zu rechnen.
Zusätzliche Sorgen haben die deutschen Autobauer wegen der EU-Strafzölle gegen China. Seit Anfang November erhebt die Europäische Union Aufschläge für den Import chinesischer Fahrzeuge. Durch hohe Subventionen der chinesischen Regierung könnten sie billiger am Markt angeboten werden, das verzerre den Wettbewerb, hieß es. Die Autonationen Frankreich und Italien stimmten für die Zölle, Deutschland war dagegen – die stark exportorientierten deutschen Hersteller fürchten die Nachteile eines Handelskriegs mit China, das seinerseits Zölle erheben könnte. Bisher allerdings reagierte die chinesische Regierung zurückhaltend und verhandelt weiter mit der EU über die Beilegung der Streitigkeiten.
Warum sind VW und Ford in Schieflage geraten?
Europas größter Autokonzern VW hat im dritten Quartal einen Gewinneinbruch von 63 Prozent gemeldet. Das heißt, nach neun Monaten stehen einem operativen Gewinn von 1,3 Milliarden Euro fast fünf Milliarden Euro an Entwicklungs- und Investitionskosten gegenüber.
Einer der Gründe: Auf dem wichtigen Absatzmarkt China läuft es nicht gut. Dort hat der größte chinesische Hersteller BYD die gesamte VW-Gruppe mit den Marken Audi und Porsche abgehängt und ist jetzt Marktführer, vor allem wegen der sehr nachgefragten teilelektrischen Fahrzeuge. Bei VW haben dagegen fast 90 Prozent der Neuzulassungen immer noch einen Verbrennungsmotor.
Ford hat am Standort in Köln zuletzt massiv in den Hochlauf der E-Mobilität investiert. Für zwei Milliarden Euro wurden die Produktionslinien auf die E-Modelle Explorer und Capri umgerüstet. Die Größe der Belegschaft schrumpfte deutlich, von knapp 20.000 Mitarbeitern 2018 bis auf 11.500 heute. Weil die Nachfrage aber zu gering ist, verdient der Konzern kein Geld und hat den nächsten Stellenabbau angekündigt.
Mit Blick auf VW spricht der grüne Wirtschaftspolitiker Michael Kellner spricht von „Managementfehlern“: VW habe keine vernünftigen bezahlbaren Elektroautos im Angebot und man habe zu lange „am Alten festgehalten“. Kellner erinnerte auch an den Dieselskandal. Die Abgasmanipulationen mithilfe einer „Schummel-Software“ hätten bei VW einen Schaden in Milliarden-Höhe verursacht. Die Antwort sei aber nicht, Werke zu schließen, so Kellner. Es gehe um die Frage, wie Management und Betriebsrat gemeinsam den Konzern wieder flott kriegen.
Vor welchen Herausforderungen steht die Autobranche?
Die deutsche Autoindustrie steht angesichts der Transformation hin zur klimaneutralen Mobilität unter Druck. Ab 2035 dürfen in der Europäischen Union nur noch Autos neuzugelassen werden, die kein CO2 ausstoßen. Verbrenner, die mit Benzin oder Diesel betankt werden, erhalten hingegen keine Neuzulassung mehr.
Allerdings ist der Absatz von Elektroautos in den vergangenen Monaten deutlich eingebrochen. Laut Kraftfahrt-Bundesamt wurden bis August dieses Jahres rund 22,4 Prozent weniger Neuwagen mit Elektroantrieb zugelassen als in den acht Monaten des Vorjahres. Ein Grund für die Absatzflaute: das abrupte Ende der staatlichen Kaufprämie für Elektroautos im Dezember 2023.
Branchenexperten wie Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management sehen die Autoindustrie selbst in der Verantwortung: Sie habe den Trend zur Elektromobilität verschlafen. Mit Blick auf die E-Auto-Krise bei VW sagt Bratzel, der Konzern sei zu spät und mit zu wenig Geschwindigkeit in die große Transformation in Richtung Elektromobilität gegangen. Auch Ifo-Wirtschaftsforscherin Anita Wölfl moniert, die deutsche Autoindustrie habe bei der Elektromobilität sehr spät reagiert.
Zu viele Luxusfahrzeuge, zu wenige Kleinwagen
Nach Meinung von Technikhistoriker Kurt Möser müssen auch die Käufer in den Blick genommen werden. Was die Konzerne produzierten, gehe an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Zu viele Luxusfahrzeuge, zu wenige Kleinwagen, kritisiert Möser. Es müssten wieder Pkw gebaut werden, die sich die Menschen auch leisten könnten: „Bezahlbare, vernünftige Autos mit hohem Nutzwert und hohem Langzeitnutzwert, das ist eigentlich die Aufgabe.“ Experte Stefan Bratzel stimmt dem zu, hält das in Deutschland aufgrund der hohen Arbeitskosten jedoch für extrem schwierig - solche Fahrzeuge müssten in Ost- oder Südeuropa gefertigt werden.
Was fordern Vertreter der Autobranche?
Bei der Verkündung des geplanten Stellenabbaus machte Ford-Deutschland Chef Marcus Wassenberg deutlich, dass er die Politik in der Verantwortung sieht: „Durch die Streichung des Umweltbonus, durch die mangelnde Ladeinfrastruktur gibt es einen Einbruch bei der Nachfrage. Das muss verändert werden. So wie wir unseren Job machen, muss das die Regierung auch machen."
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) beklagt ebenfalls Strukturprobleme in Deutschland und fordert „international wettbewerbsfähige Standortbedingungen“. In einer Anhörung im Bundestag Mitte November empfahl VDA-Präsidentin Hildegard Müller eine Stärkung der EU, konsequenten Bürokratieabbau, besonders der europäischen und nationalen „Doppelregulierung“, Investitionen in die Lade-Infrastruktur sowie steuerliche Fördermaßnahmen. Die zu erwartenden Neuwahlen in Deutschland sorgten für zusätzliche Verunsicherung der Verbraucher, betonte Müller.
Um Kunden vom Elektroauto zu überzeugen, fordert der VDA zudem deutliche Entlastungen. „Elektromobilität muss in der Gesamtbilanz einen klaren Kostenvorteil bieten“, heißt es in einem Positionspapier, aus dem die Deutsche Presseagentur zitiert. Unter anderem spricht sich der Lobbyverband für günstigeren Ladestrom aus, etwa durch mehr Wettbewerb oder weniger Steuern und Abgaben. Auch für andere erneuerbare Kraftstoffe müsse der Preis gedrückt werden.
Welche Rolle spielen staatliche Hilfen?
Ob der Staat mit seiner Subventionspolitik oder Intervention in Brüssel zur Misere bei VW beigetragen hat, darüber herrscht Uneinigkeit. Michael Kellner (Grüne), Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, räumte ein, dass die Politik Verbraucher mit ihrem Hin und Her bei der E-Mobilität und dem Stopp der staatlichen Kaufprämie verunsichert habe. Die Folge sei, dass die chinesische Konkurrenz Deutschland davonfahre. Zwar hätten vor allem ausländische Hersteller von der Prämie profitiert, doch habe es die Situation insgesamt nicht verbessert.
Aus Sicht von Moritz Schularick, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel, sind Subventionen häufig nicht zukunftsgerichtet und bewirkten genau das Gegenteil. In einem ARD-Interview sagte er, das liege daran, „dass der Staat nicht gut darin ist, die Gewinner von morgen zu finden, aber dass die Verlierer von gestern sehr gut darin sind, den Staat zu finden", so die Einschätzung des Wissenschaftlers. Statt staatlicher Hilfen plädiert er dafür, sich offen für ausländische Investoren zu zeigen. Auf diese Weise könnte der technologische Rückstand zu anderen Herstellern in der Welt aufgeholt werden.
Auch Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld ist der Meinung, der Staat solle sich heraushalten. Wie die gesamte hiesige Industrie stecke die Autobranche in einer „Anpassungskrise“ an neue globale Herausforderungen: „Deutschlands Wirtschaft ist wie keine andere vom Frieden, vom Freihandel, von niedrigen Energiepreisen und von dem riesigen Absatzmarkt in China gut behandelt worden. Das ist nun vorbei.“
Stattdessen solle sich der Staat auf die Schwächen des Industriestandorts Deutschland insgesamt konzentrieren: „Die Investitionen sind überall zu niedrig, nicht nur bei den Autoherstellern. Es gibt zu wenig Arbeitskräfte, darunter leidet die gesamte Volkswirtschaft, die Produktion ist zu teuer, nicht nur bei den Verbrennermotoren.“
Wie steht es um die Zukunft deutscher Autobauer?
Trotz der angespannten Lage blickt Ifo-Expertin Anita Wölfl zuversichtlich auf die Zukunft der Branche: In der Vergangenheit habe sich die Autoindustrie in Krisen sehr resilient und stark bei Innovationen gezeigt, zum Beispiel im Umgang mit den Lieferkettenschwierigkeiten der vergangenen Jahre oder bei der Entwicklung der Patente zum Elektro-Antriebsstrang.
Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sagt, die deutschen Autobauer hätten weiterhin „alle Möglichkeiten und Fähigkeiten, sich im globalen Wettbewerb zu behaupten“. Gleichwohl mahnt DIW-Präsident Marcel Fratzscher: „Dafür müssen sich die Automobilhersteller jedoch neu erfinden und ihre Innovationsstärke verlagern und nutzen, um den Umstieg auf E-Mobilität und autonomes Fahren schneller und besser umzusetzen.“
Die Behauptung, der Verbrennungsmotor sei zukunftsfähig, sei „ein gefährlicher Irrglaube“, sagt Fratzscher. Die Entscheidung für das E-Auto sei weltweit längst gefallen.
irs, jk