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Autoindustrie
"Wo bleibt die Distanz zwischen Kanzleramt und Industrie?"

Diesel-Skandal und Kartell-Vorwürfe - die derzeitige Krise der Autoindustrie sei auf völlig löchrige Gesetze der Politik zurückzuführen, sagte der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer im Dlf. Möglicherweise sei das im klaren Bewusstsein gemacht worden, um Industrien zu schützen.

Ferdinand Dudenhöffer im Gespräch mit Ursula Mense |
    Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer bei einem Symposium in Bochum am 11.02.2016.
    Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer (imago stock&people)
    Ursula Mense: Es ist eine perfide Geschichte. Und hat das Zeug zum größten Skandal der Autogeschichte. Autobauer haben über Jahre geheime Absprachen getroffen, über technische Details, über Zulieferer und über Kosten. Und auch über die Abgasreinigung, womit sie quasi die Grundlage geschaffen haben für den Dieselskandal, mit weitreichenden Folgen für die Umwelt und für unsere Gesundheit. Ein Kartell mit geheimen Zusammenkünften von Daimler, VW, Audi, BMW und Porsche in irgendwelchen Hinterzimmern? Ich habe den Autoexperten der Universität Duisburg-Essen Professor Ferdinand Dudenhöffer gefragt, ob er sich so etwas jemals hat vorstellen können?
    Ferdinand Dudenhöffer: Nein, ich könnte es mir nicht vorstellen, aber mit Diesel ist man da in den letzten zwei Jahren nicht mehr schrecklich überrascht, wenn solche neue Hiobsbotschaften kommen. Seit zwei Jahren erleben wir fast wöchentlich Meldungen über Staatsanwaltschaften, die Razzien durchführen, über Anzeigen, über Software-Updates, über Probleme, die die EU-Kommission ausspricht. Also, Diesel ist scheinbar zum Dauerbrenner für negative Nachrichten geworden, das ist jetzt die letzte mit diesen Kartellen, ich bin sicher, es bleibt nicht die allerletzte.
    "Man hat die Kosten reduziert auf Kosten der Umwelt"
    Mense: Es ging jetzt dabei auch um verschiedene Absprachen, entscheidend für die Dieselabgase soll aber gewesen sein, dass man sich über die Größe der Tanks für AdBlue verständigt hat. Das ist ein Harnstoffgemisch, mit dem die gesundheits- und umweltschädlichen Stickoxide in Wasser und Stickstoff aufgespalten werden, also in eher harmlose Stoffe, bevor diese dann in die Umgebung freigesetzt werden. So habe ich das verstanden. Und weil diese großen Tanks zu teuer waren, hat man sich auf kleine verständigt, also ohne Rücksicht auf die Umwelt, kann man sagen.
    Dudenhöffer: Das ist der Vorwurf, der im "Spiegel" erhoben worden ist, dass man Absprachen – man nennt es auch Normierungskartell – gemacht hat, was, wenn man es genehmigen lässt und genehmigt wird, eine gute Sache sein kann. Es gibt zig Normen, die wir brauchen, aber wenn es den Wettbewerb oder in diesem Fall zu Umweltschäden führen kann, bewussten Umweltschäden führen kann, natürlich höchst sträflich ist.
    Mense: Das heißt aber umgekehrt, wenn sie das nicht gemacht hätten, hätten große Tanks eingebaut, dann hätten wir die Umweltproblematik der vergangenen Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte überhaupt nicht gehabt, was die Stickoxide in der Luft angeht?
    Dudenhöffer: Zum Teil ja, denn mit großen Tanks kann man bei Harnstoff auch bei kleineren Temperaturen die Abgase so regeln, dass diese Stickdioxide und Stickoxide nicht entstehen. Allerdings muss man dazusagen, dass bei niedrigeren Temperaturen man auch den Katalysator ändern muss.
    Mense: Aber dennoch kann man doch sagen, das technische Problem ist auf jeden Fall kleiner im Vergleich zum ökonomischen, was eben den Autobauern entstanden wäre.
    Dudenhöffer: Das technische Problem ist lösbar, man hat es aber nicht gelöst, obwohl man es lösen könnte, weil man Angst hatte vor den zusätzlichen Kosten, und wollte den Diesel in die Zukunft führen. Also wollte man mit einem Aggregat – VW war der Musterfall in den USA – durch Tricks sich eine saubere Weste erkaufen und billigere Angebote machen können, preisgünstigere Angebote machen können. Also man hat die Kosten reduziert auf Kosten der Umwelt, auch bei unseren Euro-6-Diesel, die heute durch die Gegend fahren. Ein Großteil sind Mogelpackungen, einfach weil man von der Politik vorschreibt, so einfach bestehen kann, dass man nur im Testverlauf seine Stickdioxidwerte einhalten muss und ansonsten kann man machen, was man will. Das ist das große Drama, und dieses Drama ist zurückzuführen auf völlig löchrige Gesetze, die unsere Politiker gemacht haben – möglicherweise im klaren Bewusstsein dessen, dass diese Gesetze löchrig sind, um Industrien zu schützen.
    "Wo bleibt denn da die Unabhängigkeit?"
    Mense: Das heißt, Ihre Hauptkritik geht an die Politiker, die im Grunde zu lange die Autoindustrie haben machen lassen und schützend ihre Hand darüber gehalten.
    Dudenhöffer: Aber schauen Sie doch die Politik an: Frau Merkel, die Bundeskanzlerin, hat den Cheflobbyisten der deutschen Automobilindustrie, Matthias Wissmann, der ihr guter Parteifreund ist, der frühere Bundesverkehrsminister war, empfohlen – und eine Empfehlung von der Bundeskanzlerin wird man schlecht ablehnen –, als Cheflobbyist der deutschen Automobilindustrie. Wo bleibt denn da die Unabhängigkeit, wo bleibt denn Distanz zwischen Kanzleramt und Industrie? Die ist doch völlig verkorkst in so einem Beispiel.
    Mense: Halten Sie es für denkbar, dass solche weitreichenden Entscheidungen eines Konzerns ja eben wohl auf der Vorstandsebene ohne Kenntnis der Aufsichtsräte gelaufen sein können? Und da wären wir ja natürlich auch wieder bei der Politik, in Bezug auf VW auf jeden Fall.
    Dudenhöffer: Also der Aufsichtsrat, der bestimmt ja die Strategie von einem Unternehmen, und das, was wir jetzt haben, sind ja eher Dinge, die im operativen Bereich sind, die im Verband sind bei den deutschen Autoherstellern. Der Verband, der organisiert ja auch Technikkreise, wo sich die Experten absprechen. Und in diesen Technikkreisen kann man ja kleinere Kreise daraus bilden, die sich dann weiter um bestimmte Dinge kümmern. Ich denke, Kartellbelange, ich kann mir nicht vorstellen, dass die in den Aufsichtsrat weitergereicht worden sind. Ich will es nicht ausschließen, aber ich würde es als relativ unwahrscheinlich einschätzen.
    Mense: Nun hat BMW gestern dementiert, der Porsche-Betriebsratschef beschuldigt Audi, also ist das nur noch ein verzweifeltes Hauen und Stechen oder halten Sie auch das für denkbar, dass BMW da gar nicht dabei ist?
    "Viel wichtiger ist das Vertrauen, was verloren geht"
    Dudenhöffer: BMW hat ja nur gesagt, ihnen liegt keine Anzeige vor, also sie wissen nichts von Strafermittlungen und sie halten sich immer an die Gesetze. Die Experten bei BMW tauschen sich mit dem VDA genauso aus wie andere auch, und ob Absprachen in Normierungen gemacht worden sind, das kann man erst feststellen, wenn man wirklich das Ergebnis des Kartellamtes hat, und von daher müsste das Kartellamt jetzt schon ein bisschen schneller arbeiten. Seit über einem Jahr hat man dort schon die angeblichen Selbstanzeigen, und bis heute hört man nichts vom Kartellamt.
    Mense: Es sind ja sehr viele Verbraucher betroffen, es sind Autozulieferer betroffen, also möglicherweise rollt da eine enorme Klagewelle auf die Autobauer zu. Was bedeutet das?
    Dudenhöffer: Also Klagewelle, und wenn es Strafen gibt, gibt's Kartellstrafen, die können sehr hoch sein, im Milliardenbereich liegen. Das sind Einmalzahlungen, die tun sehr weh, aber Einmalzahlungen sind immer verdaubar für Unternehmen. Klagewellen, da muss man aufpassen, was da jetzt behauptet wird, denn das Recht der Kunden in Deutschland, Schadensersatz einzuklagen, ist äußerst überschaubar im Vergleich etwa zu Amerika. Von daher würde ich da jetzt nicht die große Bedrohung drin sehen, genauso wenig bei Zulieferern. Also Kartellstrafen, die können recht heftig sein, die können weh tun, die werfen einen aber nicht völlig aus der Bahn. Viel wichtiger ist das Vertrauen, was verloren geht. Das ist, glaube ich, der Hauptgrund: das Vertrauen, das seit über zwei Jahren Stück für Stück verloren geht in die deutsche Automobilindustrie, in die deutschen Produkte. Ursächlich dafür ist der Diesel, dem niemand mehr über den Weg traut. Deshalb brauchen wir eine Strategie, um neues Vertrauen aufzubauen. Das klappt nicht mit dem Diesel, wir müssen raus aus dem Diesel, es gibt gute Möglichkeiten, das zu tun – nur dann schaffen wir es. Aber diese Situation zu stabilisieren, Kanzlergipfel, wo wir den Diesel jetzt wieder retten wollen, sind nach meiner Einschätzung fehl am Platz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.