Mit lautem Hupen zieht eine Autokolonne am Alexanderplatz vorbei. An den Scheiben der Fahrzeuge kleben Schwarz-Weiß-Plakate mit dem Foto von Deniz Yücel und dem Spruch #FreeDeniz. Viele halten die Schilder auch aus den Autofenstern heraus. Mit dieser außergewöhnlichen Art der Demonstration fordern die Teilnehmer die Freilassung des türkisch-deutschen Korrespondenten Deniz Yücel aus der türkischen Haft.
Der Journalist war persönlich angetan von Autokorsos während der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland und hat darüber geschrieben. Seine Freunde organisierten deswegen einen ersten Korso für ihn, nachdem er vor zwei Wochen in Istanbul von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde. Heute fahren seine Freunde und Unterstützer hupend zeitgleich in 13 Städten durch die Straßen. In Berlin hat den Autokorso Tilman Claus mit organisiert.
Auswärtiges Amt bestellt den türkischen Botschafter in Berlin ein
"Wir wollen zusätzlich zu der großen medialen Aufmerksamkeit, die es eh schon gibt, noch mal darauf hinwirken, dass wirklich alles getan wird, damit Deniz sofort freigelassen wird. Das kann natürlich nur mittelbar passieren. Wir wollen, dass die Bundesregierung mehr tut als bisher. Der Druck muss massiv erhöht werden, damit Deniz umgehend rauskommt und nicht wie andere Journalistinnen und Journalisten monatelang oder gar jahrelang in einem türkischen Gefängnis verschwindet."
Was die Insassen der rund 100 Autos vielleicht nicht wissen, ist, dass die Bundesregierung tatsächlich den Druck auf die Türkei erhöht und das Auswärtige Amt sogar den türkischen Botschafter in Berlin zu einem Gespräch gebeten hat. Am Straßenrand winken Passanten dem Autokorso zu, viele halten die Daumen hoch. Vereinzelt gibt es auch Kopfschütteln. Unter den Fahrern gibt es viele Journalisten, die sich mit Deniz Yücel solidarisieren wollen. Andere lesen gerne seine Texte oder wollen generell gegen die Einschränkung der Pressefreiheit demonstrieren.
Olaf Schäfer ist Lehrer. Er hat die Türkei mehrmals bereist, spricht Türkisch und verfolgt aus politischem Interesse die Ereignisse am Bosporus seit seiner Studienzeit. Wenn er in sozialen Netzwerken Erdogan kritisiert, sagt der große schlanke Mann, der mit seiner Tochter am Korso teilnimmt, bekommt er üble Beschimpfungen von nationalistischen Türken. Schäfer erinnert sich an den Militärputsch in der Türkei im September 1980.
"Da hatten wir eine gigantische Auswandererwelle. Viele intellektuelle Linke, Gewerkschafter usw. in der Türkei sind damals hier eingewandert. Heute gut integrierte Leute, die in den Gewerkschaften bei uns sind. Insofern gilt meine Solidarität den demokratischen Kräften in der Türkei, und das möchte ich hier zeigen."
Grünen-Chef Özdemir spricht auf der Kundgebung
Nach einer kurzen Pause an einer Kreuzung zieht die Autokolonne weiter. Die meisten Teilnehmer tragen weiße T-Shirts, die wie die Plakate auch mit einem Foto des inhaftierten Korrespondenten Deniz Yücel bedruckt sind. Es ist mittlerweile 17:30 Uhr.
Während der Autokorso seine Fahrt am Potsdamer Platz weitersetzt, haben sich vor der türkischen Botschaft rund 300 Menschen versammelt - mit den gleichen Plakaten und T-Shirts und mit denselben Forderungen. Zu der Kundgebung hat die Bundestagsfraktion der Grünen aufgerufen. Auch einige Abgeordnete der Linken sind dabei. Grünen-Chef Cem Özdemir greift den türkischen Präsidenten Erdogan mit ironischen und sarkastischen Worten an. Pressefreiheit unter seiner autoritären Regierung bedeute, ihm zu huldigen, sagt Özdemir. Erdogan könne gerne nach Deutschland kommen, aber nur unter fairen Bedingungen.
"Es entbehrt ja nicht einer gewissen Ironie, dass Herr Erdogan die Mittel der Demokratie nutzt, um hier dafür zu werben, die Demokratie zu Hause abzuschaffen. Ich finde, da ist es wichtig, dass man ihm deutlich macht: das kann er gerne machen, aber unter der Voraussetzung, dass Selahattin Demirtas, der Vorsitzende der HDP freigelassen wird; unter der Bedingung, dass faire Bedingungen auch für die Opposition und für kritische Berichterstattung gelten und zum Beispiel ich und andere auf dem Taksim-Platz in Istanbul auch eine Kundgebung machen dürfen."
Auch Reporter ohne Grenzen unterstützt die Proteste
Die Kundgebung vor der türkischen Botschaft unterstützt auch die Organisation Reporter ohne Grenzen. Eine Gruppe hält deren Schilder hoch. Darauf steht: "Keine Freiheit ohne Pressefreiheit". Der Geschäftsführer der Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, hält die Veranstaltung mit 300 Teilnehmern nicht nur für eine symbolische Aktion. Sie sei eine zeitgemäße Demonstrationsform, so Mihr.
"Wir leben in einer Mediengesellschaft. Es geht auch um Bilder, es geht um Öffentlichkeit. Wir produzieren hier Öffentlichkeit. Es ist schon ein Statement, wenn hier so viele Leute – und nicht nur Leute wie du und ich -, sondern auch Menschen, die sonst in der Öffentlichkeit stehen, auf die Straße gehen. Wir wissen schon, dass Öffentlichkeit Eindruck machen kann, und wir als Reporter ohne Grenzen schaffen Öffentlichkeit, leisten aber auch konkrete Hilfe. Ich finde, es muss immer beides einhergehen; das muss auch in der Politik so laufen. Es muss wichtig sein, dass man laut die Trommeln schlägt. Aber es ist auch wichtig, hinter den Kulissen zu reden."
Polizei stoppt die Demonstration vor der türkischen Botschaft
Mittlerweile wird aber nicht nur hinter den Kulissen, sondern öffentlich auf der großen politischen Bühne über den Fall Deniz Yücel gesprochen. Das haben die Teilnehmer der Kundgebung vor der türkischen Botschaft vielleicht nicht mitbekommen. Genauso wenig, wie sie auch nicht mitbekommen haben, dass die vom Weiten klingenden Hupen das Ende des Autokorsos ankündigen. Ein paar Hundert Meter weiter am Haus der Kulturen der Welt. Die Polizei erlaubt nicht die Fahrt bis zur türkischen Botschaft. Am Ziel erwartet die Insassen der 100 Autos aber eine Überraschung. Ein Solidaritätsgruß aus Istanbul.
"Hallo, Berlin, hier ist Istanbul, Taksim-Platz. Wir hören das Tröten bis hierher. Deniz hört es auch. Hier stehen Mustafa von #FreeDeniz Istanbul, Daniel-Dylan Böhmer von der "Welt" und ich Doris Akrap von der taz. / Das ist großartig, was ihr macht. Und Deniz hat uns gesagt, wieviel ihm das bedeutet. / (alle rufen) FreeDeniiiiizzzz"