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Automatische Gesichtserkennung
Corona-Schutzmasken senken Trefferquote erheblich

Algorithmen, die Gesichter erkennen, funktionieren inzwischen so zuverlässig, dass Mobiltelefone damit entsperrt und Grenzkontrollen beschleunigt werden können. Die Corona-Pandemie zeigt nun aber die Grenzen der Technik: Wer eine Schutzmaske trägt, wird oft nicht erkannt.

Von Thomas Reintjes |
Symbolfoto: Ein Mann spiegelt sich in einem Apple Smartphone auf dem der Schriftzug Face ID zu sehen ist.
Gesichtserkennung zum Entsperren von Smartphones: Bei Trägern von Corona-Schutzmasken tun sich die Algorithmen oft schwer (www.imago-images.de)
Apple hat anscheinend aufgegeben. Mitte Mai veröffentlichte das Unternehmen ein Update für die Gesichtserkennung seiner Smartphones. Aber statt Gesichter mit Masken besser zu erkennen, fordern die Geräte nun bei durch Masken verdeckten Gesichtern lediglich schneller zur Eingabe des Passcodes auf. Also entweder Maske runter oder Handy manuell entsperren. In ähnlicher Weise trifft dieses Problem alle Gesichtserkennungssysteme. Besonders schwierig wird es, wenn die Bildqualität ohnehin schon nicht optimal ist, etwa weil Gesichter von der Seite erkannt werden sollen, erklärt der Experte Hassan Ugail:
"Wenn man Teil-Gesichter hat, liegt die Erkennungsrate bei 70, 80 Prozent. Wenn da jetzt noch eine Maske hinzukommt, werden daraus 50, 60 Prozent. Manche Gesichtserkennungssysteme werden dadurch nutzlos. Das ist ein Problem, das wir uns anschauen müssen."
Auf einem Notebook-Monitor ist eine Demonstration des biometrischen "FACES"- (Face Analysis Comparison and Examination) Systems zu sehen. Pinellas County Sheriff Office, Largo, Florida, USA
Biometrie und Demokratie
Wenn ein Blick in die Kamera den Reisepass überflüssig macht, dann kann sich das sehr bequem und modern anfühlen. Wenn allgegenwärtige Videosysteme jede Anonymität im öffentlichen Raum aushebeln, dann eher sehr beängstigend und dystopisch.
Sinkende Erkennungsrate macht manche Systeme nutzlos
Hassan Ugail von der britischen Universität Bradford beschäftigt sich mit diesem Problem schon seit Jahren. Wie können Gesichtserkennungssysteme besser damit zurechtkommen, wenn Teile des Gesichts verdeckt sind? Im vergangenen Jahr hat er mit einem Kollegen Experimente durchgeführt und Algorithmen Gesichter gezeigt, die nur teilweise zu sehen waren. Sie waren allerdings nicht mit einer Maske verdeckt, sondern einfach geschwärzt. Die Forscher haben so getestet, wie zuverlässig verschiedene Algorithmen Menschen an Teilen des Gesichts erkennen können.
"Wir haben uns zum Beispiel rechte Wange, Mund, Stirn angesehen. Das funktioniert ziemlich schlecht: zehn bis 20 Prozent Erkennungsrate. Aber wenn wir uns die Augen ansehen, nur die Augen, dann sind es 65, 70 Prozent. Das ist ziemlich gut. Mit der oberen Gesichtshälfte, also inklusive der Stirn, bekommen wir 95 bis 99 Prozent. Also fast 100 Prozent."
Verdeckte Gesichtspartien sind bei guten Bildern kein Problem
Also sind Masken kein Problem? Hassan Ugail und Ali Elmahmudi haben die hohen Werte mit Testfotos in guter Qualität erreicht. Sie zeigen keine störenden Gegenstände im Bild, die den Algorithmus verwirren könnten, und Menschen, die direkt in die Kamera schauen. In einem zweiten Experiment mit Bildern aus realen Situationen lag die Erkennungsrate bei der oberen Gesichtshälfte nur noch bei rund 80 Prozent. Waren nur die Augen zu sehen, sank sie unter 40 Prozent. Doch die Forscher konnten diese Rate mit einem naheliegenden Trick verbessern: Sie trainierten die Algorithmen mit Gesichtsteilen, erklärt Hassan Ugail: "Wir haben den Erkennungsalgorithmus einzeln mit den Teilen gefüttert und gesagt, schau' mal, das sind die Augen, das ist die Nase dieses Menschen. Das ist der Mund. Und dadurch wurde er intelligenter und versteht jetzt, was die Teile eines Gesichts sind."
Gezieltes Training hilft den Algorithmen auf die Sprünge
Zumindest einer der beiden Algorithmen, die die Forscher untersucht haben, wurde dadurch deutlich besser. Sieht er nur die obere Gesichtshälfte, gelingt die Erkennung immerhin in 90 Prozent der Fälle. Für viele praktische Anwendungen ist das allerdings nicht ausreichend. Forschende und Entwicklungsteams in der Industrie versuchen nun, die Erkennungsraten für maskierte Gesichter weiter nach oben zu schrauben. Eine Möglichkeit: Wenn ein neues Gesicht in ein System eingepflegt wird, etwa das einer neuen Mitarbeiterin in einem Unternehmen mit biometrischer Zugangskontrolle, dann könnte das Gesicht mit und ohne Maske in die Datenbank aufgenommen werden. Prinzipiell sind bessere Erkennungsmodelle erforderlich. Zur Zeit entstehen deshalb Foto-Datenbanken von Gesichtern mit Maske, die helfen sollen, die Algorithmen auf die neue Realität vorzubereiten. Die amerikanische Standardisierungsbehörde NIST, die zuständig dafür ist, die Qualität kommerzieller Gesichtserkennungssysteme zu testen, hat angekündigt, künftig auch die Erkennung mit Maske zu überprüfen.