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Automobil-Betrug in Europa
"Wir brauchen eine unabhängige Kontrolle"

Dass die Autoindustrie sich derzeit als Vordenker für E-Mobilität präsentiere sei lediglich ein "Ablenkungsmanöver von den milliardenschweren Betrugsmanövern", so der Grünen-Verkehrspolitiker Michael Cramer im Dlf. Innovation habe es lediglich bei der Betrugssoftware gegeben - "und da hat die Politik weggeschaut".

Michael Cramer im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Verkehrsminister Alexander Dobrindt (l-r, CSU),VDA-Präsident Matthias Wissmann und der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG, Dieter Zetsche, applaudieren der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 14.09.2017
    Applaus für die Kanzlerin: Verkehrsminister Dobrindt, VDA-Präsident Wissmann und Daimler-Vorstandschef Zetsche mit Angela Merkel am 14.09.2017 bei der Automobilausstellung in Frankfurt (dpa/Andreas Arnold)
    Mario Dobovisek: Da ist er wieder, der alte Glanz an neuen Autos auf der internationalen Automobilausstellung in Frankfurt am Main. Die Branche zeigt sich nach dem Diesel-Skandal demütig, zumindest ein Stück weit. So lässt der VW-Vorstand etwa noch mitteilen, dass sich seine Ingenieure lieber um die Zukunft kümmern sollen als um die Vergangenheit, sprich alternative Antriebe entwickeln, statt bestehende und bereits verkaufte zu verbessern. So glänzen dieses Jahr in Frankfurt besonders viele E-Mobile in den Messehallen, wenngleich noch viele als Studien, also Modelle, als Prototypen in der Schau stehen, noch nicht serienreif. Also Zukunftsmusik für die kommenden Jahre.
    Am Telefon begrüße ich Michael Cramer. Für die Grünen ist er Abgeordneter im EU-Parlament, dort Mitglied des Verkehrsausschusses. Guten Morgen, Herr Cramer!
    Michael Cramer: Schönen guten Morgen!
    Autobauer waren "immer gegen Innovation"
    Dobovisek: Also: Ein E-Mobil nach dem anderen, neben dem nächsten sozusagen, präsentieren die Autobauer da gerade in Frankfurt am Main. Nehmen Sie den Konzernen ihren demonstrativen Aufbruch in die Zukunft ab?
    Cramer: Das ist zunächst mal eine Demonstration und ein Ablenkungsmanöver von den milliardenschweren Betrugsmanövern, die sie gemacht haben, und die Automobilindustrie in den letzten Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, war immer gegen eine Innovation, die sie nicht selber vorgestellt haben. Sie waren zum Beispiel gegen den Katalysator, sie waren gegen den Rußfilter, sie waren gegen Hybridfahrzeuge und gegen Elektroautos. Nur jetzt ist der Druck von außen so stark. Sie präsentieren, sie kündigen an, aber was passiert, da bin ich skeptisch.
    Michael Cramer sitzt für die Grünen im Europaparlament und ist dort Mitglied im Verkehrsausschuss
    "Es darf nicht sein, dass das Kraftfahrbundesamt die Grenzwerte kontrollieren und nicht das Umweltbundesamt": Michael Cramer sitzt für die Grünen im Europaparlament und ist dort Mitglied im Verkehrsausschuss (Imago/ Ipon)
    Dobovisek: Bisher agierte die Automobilindustrie - Sie sagen es - bei klimafreundlichen Innovationen eher, na sagen wir: zurückhaltend. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sagt, millionenschwere Automanager hätten die Zukunft verpennt. Hat denn die Politik die Zukunft verpennt?
    Cramer: Beide. Sie gehörten zusammen. Wir wissen auf europäischer Ebene: Schon 2005 war die Kommission informiert, dass das alles nicht stimmt. Die neuen Diesel-Fahrzeuge, die sind ja dreckiger als die mit Eurostand 4. Und warum - sie haben eben ihre ganze Innovation darauf konzentriert, dass sie betrügen und nicht, dass sie die Werte einhalten, die die Politik vorgegeben hat, und die Politik, gerade die deutsche Politik, hat auch weggeschaut.
    Plädoyer für unabhängige europäische Kontrollen
    Dobovisek: Könnte es sein, dass der Diesel-Skandal und die Folgen der Vertrauenskrise die Autobauer inzwischen wachgerüttelt hat und auch die Politik?
    Cramer: Ja, natürlich. Verbal sind sie jetzt alle dabei, aber was dann wirklich passiert … Wir wollen zum Beispiel eine unabhängige Instanz europaweit, die die Autofahrzeuge überprüft. Da ist die deutsche Bundesregierung dagegen, CDU und SPD. Von denen habe ich nichts gehört, dass sie diese Kontrolle haben wollen, dass die Kunden im Zentrum stehen. Die dürfen nicht betrogen werden. Das brauchen wir. Deshalb bin ich skeptisch, aber wir machen Druck. Wir haben auf Druck der Grünen im Deutschen Bundestag und auch im Europaparlament den Untersuchungsausschuss durchgesetzt, wo viel rauskam, wo wir wissen, auch die Politik wusste Bescheid, seit Jahren, hat nichts gemacht, hat weggeschaut, sogar alles drangesetzt, dass möglicherweise die Zeiten ausgegrenzt wurden und so weiter und so fort.
    Dobovisek: Was lernen wir daraus?
    Cramer: Wir brauchen eine unabhängige Kontrolle, und da ist das Autoland USA für uns Vorbild. Wer da praktisch mehr als vier Prozent betrügt - hier in Europa ist der Durschnitt 42 Prozent, in dem die Grenzwerte überschritten werden -, der muss bezahlen. Da haben wir eine unabhängige Instanz, und in den USA ist der Diesel-Skandal aufgeflogen, nicht hier in Europa.
    "Enge Verzahnung" zwischen Politik und Industrie
    Dobovisek: Aber neue zentrale Behörden machen die Sache nicht unbedingt besser.
    Cramer: Nein, aber sie müssen unabhängig sein. Wenn wir einen Euro für jedes verkaufte Auto nehmen, könnten wir eine unabhängige Instanz finanzieren, aber dann wüssten die Automobilhersteller, mit Betrügereien geht es nicht mehr, wir müssen ehrlich sein, und das ist die Frage, und das ist das, was wir aus dem Diesel-Skandal lernen müssen für Kunden, aber auch für die Automobilindustrie.
    Dobovisek: Bleiben wir auch einen Moment bei der Politik: Ist denn die Nähe zwischen Politik und Autobranche zu groß?
    Cramer: Ja, natürlich ist die zu groß. In Deutschland ist es so, der Verkehrsminister ist der Lautsprecher der Automobilindustrie. Also das ist ganz eng verzahnt, denn die deutsche Umwelthilfe hat das doch schon alles dargestellt.
    Dobovisek: Auch der Grüne Joschka Fischer hat unter anderem für BMW Lobbyarbeit gemacht.
    Cramer: Ja. Lobbyarbeit - okay, aber die Frage ist, wie weit geht sie.
    Dobovisek: Wo ist denn da der Unterschied. Das ist nicht okay, sagen Transparency International.
    Cramer: Ja, man kann das jetzt alles kritisieren. Ich finde es nicht toll, dass Joschka Fischer für BMW Lobbyarbeit macht, aber unabhängig von der Lobbyarbeit müssen die Kontrollen unabhängig sein, und es darf auch nicht sein, dass das Kraftfahrbundesamt die Grenzwerte kontrollieren und nicht das Umweltbundesamt oder das Umweltministerium dafür verantwortlich ist.
    Kartellabsprachen: "alles widerrechtlich, alles kriminell"
    Dobovisek: Diesel ist eine Brückentechnologie, sagt die Kanzlerin, und wir kennen diese Formulierung schon aus der Kernenergie. Dort ist in Deutschland spätestens 2022 Schluss. Wie weit muss die Diesel-Brücke reichen?
    Cramer: Die darf gar nicht lange reichen. Das Erste müsste sein, die Subventionen abzubauen. Das ist doch eine Wettbewerbsverzerrung, und kartellrechtlich haben sie es auch gemacht. Für 300 Euro hätte man die VWs so herstellen können, dass sie praktisch die Grenzwerte einhalten. Da gab es die Kartellabsprachen - alles widerrechtlich, alles kriminell -, und deshalb: so schnell wie möglich da raus. Wir fordern, dass das 2030 passiert, aber unabhängig davon: Wir müssen die neuen Innovationen haben, und wir dürfen nicht nur schauen auf die Emissionen, wir werden auch die Zahl der Autos reduzieren müssen, und deshalb ist die Automobilindustrie gefragt, innovativ zu sein, dass sie nicht, wie die Stromkonzerne, die 20 Jahre lang die erneuerbaren Energien ignoriert haben und jetzt vor dem Bankrott stehen, sondern die Automobilindustrie muss sich ändern, und da zitiere ich gerne Edzard Reuter. Der hat vor 30 Jahren gesagt: Die Autounternehmen haben nur eine Perspektive, wenn sie sie zu Mobilitätsunternehmen umwandeln. Damals baute Daimler die Mercedes, die Busse, LKW, Regionalzüge, ICE-Züge, Fahrräder und Straßenbahnen. Dann hat Schrempp, sein Nachfolger, alles verkauft, und jetzt sind sie nur von Autos abhängig. Der weltweite Boom an Straßenbahnen und Eisenbahnen geht an der europäischen Automobilindustrie vorbei. Das muss sich ändern, um die Arbeitsplätze zu sichern.
    "Wir müssen die Hardware verändern"
    Dobovisek: Kommen wir noch einmal weg von der fernen Zukunft zurück zur unmittelbaren, zur näheren Zukunft, denn schon ab Januar drohen ja in mehreren deutschen Städten Fahrverbote, sollte sich die Luftverschmutzung dort nicht erheblich reduzieren. Werden die Softwareupdates, die jetzt geplant und schon allmählich durchgeführt werden bei den Diesel-Autos, dafür ausreichen?
    Cramer: Nein, überhaupt nicht. Die Software, das ist eine kosmetische Sache. Wir müssen die Hardware verändern, und Gott sei Dank haben wir die Gesetze und haben unabhängige Justiz, die das durchsetzt. Es wird Fahrverbote in bestimmten Städten geben, weil eben beim Diesel nur auf CO2 geguckt wird. Wir wissen heute, die Bilanz ist nicht besser, aber dass Stickoxide und Feinstaubpartikel ignoriert wurden, und allein in der EU - an den Diesel-NOx, also Diesel-Stickoxidwerten - sterben 7.000 Menschen jedes Jahr. Das muss das Zentrum sein und nicht das Business der Autoindustrie.
    Dobovisek: Was würde denn kurzfristig helfen?
    Cramer: Kurzfristig wird helfen, die Hardware zu verändern und die Blaue Plakette. Alexander Dobrindt wehrt sich dagegen.
    Dobovisek: Beides wird es im Moment nicht geben. Also was würde jetzt sofort helfen, und was ist realistisch?
    Cramer: Die Blaue Plakette muss sofort eingeführt werden. Das ist das Erste. Zweiter Punkt: Die Diesel-Subventionen müssen abgeschafft werden. Frankreich macht es schon, Deutschland ist das einzige Land, wo es die gibt. Das Interesse ist, auch ökonomisches Interesse, an besseren Fahrzeugen und nicht an schlechteren.
    Kurzfristige Änderungen vor allem durch Fahrverbote
    Dobovisek: Bei E-Mobilität - und das merken wir auch an dem Gespräch, das wir gerade führen -, da denken wir vor allen Dingen an die vier Räder, an die Autos, an die Kraftfahrzeuge. Woran müssen wir denn noch denken, wenn wir das Schlagwort E-Mobilität nennen?
    Cramer: Wir müssen sie gezielt einsetzen. Also vier Milliarden für alle Elektroautos als Startsubvention, das ist nicht gut. Wir müssten sie gezielt einsetzen, zum Beispiel für Elektrobusse, für Taxis, für Carsharing und natürlich für die Eisenbahn. Schon 1909 wurde beschlossen, das deutsche Schienennetz zu elektrifizieren. Nach mehr als 100 Jahren sind wir bei 60 Prozent. Die Schweiz hat es gemacht. Wir haben viele Güterzüge, die als Diesel-Züge unterm Fahrdraht fahren. Oder Berlin-Breslau, der Kulturzug, fährt 300 Kilometer unterm Fahrdraht, weil wir 100 Millionen für einen Lückenschluss zwischen Cottbus und der polnischen Grenze nicht haben.
    Dobovisek: Aber E-Loks in der Provinz helfen nicht, die Luftverschmutzung in deutschen Städten kurzfristig zu verringern.
    Cramer: Kurzfristig nein. Dann wird es Fahrverbote geben, wenn die Werte nicht eingehalten werden, und dann wird sich das ändern. Einige Städte machen es ja schon.
    Dobovisek: Der Grünen-Europapolitiker Michael Cramer, ich danke Ihnen für das Interview!
    Cramer: Ich danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.