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Automobil-Lobby
"Es gab immer einen direkten Weg ins Kanzleramt"

Die deutsche Automobilindustrie habe seit langem einen erheblichen Einfluss auf die Politik, sagte Grünen-Politiker Winfried Hermann, Verkehrsminister in Baden-Württemberg, im DLF. Schon als junger Abgeordneter habe er erlebt, dass die Chefs von Konzernen direkt mit dem Kanzleramt gesprochen hätten. Damit habe man sich auf Dauer aber eher selbst geschadet.

Winfried Hermann im Gespräch mit Georg Ehring |
    Winfried Hermann, baden-württembergischer Verkehrsminister, sitzt während eines Interviews in seinem Büro im Ministerium.
    Winfried Hermann, baden-württembergischer Verkehrsminister (imago/Lichtgut)
    Georg Ehring: Hut ab vor den Amerikanern. Die US-Umweltbehörde EPA hat herausgefunden, dass VW in seine Dieselfahrzeuge eine Schadsoftware installiert hat, die die Aufsichtsbehörden gezielt hinters Licht führen sollte, damit Autos mit gesundheitsschädlichen Auspuffgasen auf den Straßen rollen dürfen. Dabei war der Verdacht so neu nicht; auch in Europa hat sich längst herumgesprochen, dass zwischen Testergebnissen auf dem Prüfstand und den Werten im realen Fahrbetrieb Welten klaffen können. Drückt die Aufsicht in Deutschland beide Augen zu, oder was ist da los? - Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Winfried Hermann. Er ist Verkehrsminister des Landes Baden-Württemberg. Guten Tag, Herr Hermann.
    Winfried Hermann: Guten Tag!
    Ehring: Herr Hermann, wie gut funktioniert in Deutschland und in Europa die Vorabprüfung neuer Autotypen?
    Hermann: Wir können schon davon ausgehen, dass die Prüfung gut funktioniert. Es gibt da standardisierte Tests. Das eigentliche Problem in Europa ist nicht die Täuschung, wie sie jetzt in den USA aufgedeckt worden ist, sondern das Problem ist, dass wir in Europa messen nach dem sogenannten neuen europäischen Fahrzyklus. Das ist ein künstlicher Test auf dem Prüfstand, der genau genormt ist. Da wird übrigens sehr statisch gemessen. Autos werden in einer bestimmten Geschwindigkeit gemessen, dann in einer anderen Geschwindigkeit, kein stop and go Verkehr, keine Beschleunigung, und es werden nur bestimmte Geschwindigkeiten gemessen und das wird dann anschließend als "das sind die Werte eines Autos", gemessen nach dem Neuen europäischen Fahrzyklus, und wir wissen seit vielen Jahren, dass diese Messart nichts mit dem realen Verkehrsverhalten zu tun hat, und wir wissen auch, dass real am Auspuff was ganz anderes rauskommt, als auf dem Prüfstand gemessen wird. Alle wissen das, dass das eine künstliche Messform ist, die weit vom realen Geschehen weg ist, und deswegen haben wir im realen Geschehen deutlich höhere Verbräuche von Diesel und Benzin, aber auch deutlich höhere Ausstöße von NOx (Stickoxide) und Feinstaub.
    Ehring: Das heißt, in den USA wurden die Behörden betrogen und hier betrügen sich die Behörden selbst?
    Hermann: Zumindest kann man sagen, dass die Behörden oder die Europäische Union bisher einen Testzyklus zulässt, der nicht realitätstauglich ist, und man muss dazu sagen, darüber ärgert sich natürlich auch die Europäische Union schon lange, weil wir haben unlängst bei dem Vertragsverletzungsverfahren, was die Europäische Union gegen Deutschland führt, am Beispiel von Stuttgart - insofern sind wir hier in Baden-Württemberg betroffen - argumentiert, es ist schwer, in den jetzigen Regelungen die Grenzwerte bei Feinstaub in Städten und bei NOx einzuhalten. Die Europäische Kommission hat gesagt, ihr könnt uns das nicht vorwerfen, denn Deutschland ist immer vorneweg dran, wenn es um die Korrektur dieser Messverfahren geht. Dann sind immer die Deutschen im Verbund mit der deutschen Automobilindustrie nicht bereit, diesen Fahrzyklus endlich realistischer zu gestalten.
    Ein erheblicher Einfluss auf die Politik
    Ehring: Das heißt, es gibt eine Kumpanei zwischen Aufsicht und Herstellern? Wie viel Einfluss hat die Industrie denn jetzt auf die Prüfverfahren?
    Hermann: Die deutsche Automobilindustrie hat seit langem einen erheblichen Einfluss auf die Politik, und zwar auf alle Bereiche der Politik, und das war schon zu meinen Zeiten, als ich noch als frischer Abgeordneter im Bundestag war, so, dass klar war, wenn es um Fragen der etwa zum Beispiel Abgas-Reinigungstechniken oder Filter für Dieselfahrzeuge ging, dann gab es da immer einen direkten Draht ins Kanzleramt. Das hat nicht der Umweltminister entschieden, sondern das hat sozusagen der Chef oder die Chefs von Konzernen direkt mit dem Kanzleramt besprochen. Das ist auch, wie man ja inzwischen mehrfach öffentlich wahrnehmen konnte, bei der Kanzlerin Merkel so geschehen. Und ich glaube, dass sich da die Automobilindustrie auf die Dauer eher geschadet hat, denn sie hat quasi im Grunde genommen sich selbst unterfordert. Sie kann nämlich mehr und das wissen wir. Wir in Baden-Württemberg haben wirklich ja sehr viele Zulieferbetriebe, die technologisch spezialisiert sind auf die Abgasreinigung und saubere Motoren und so weiter. Da wissen wir, es geht mehr, als am Ende die Automobilkonzerne zulassen wollen.
    Ehring: Wird sich das denn demnächst ändern?
    Hermann: Ich hoffe ja sehr, dass diese Debatte jetzt nicht so verläuft, VW sind die Betrüger und alles ist ein USA-Problem, sondern dass wir diese Debatte wirklich dazu nutzen und sagen, jetzt brauchen wir endlich diesen neuen Test, der an der Realität des Fahrverhaltens orientiert ist. Da gibt es ja auch schon einen Fachbegriff; der heißt "Real Drive Emissions", also realistische Fahremissionen sollen gemessen werden. Auch in der Automobilindustrie ist man im Prinzip der Meinung, wir brauchen das. Es ist längst nicht mehr so wie früher, dass die sagen, wir wollen beim Alten bleiben. Aber das muss jetzt endlich durchgesetzt werden und das muss dann auch eine Bemessungsart sein, die uns dann auch ziemlich realistisch sagt, was sind die wirklichen Verbräuche und was kommt am Ende aus dem Auspuff eines Autos raus. Denn wir müssen in den Umweltzonen feststellen, dass wir mehr Feinstaub haben und mehr NOX als eigentlich rechnerisch, wenn man nur die standardisierten Messzyklen nimmt, herauskommen könnte.
    Ehring: Herzlichen Dank! - Das war Winfried Hermann, der Verkehrsminister des Landes Baden-Württemberg. Herr Hermann, wir müssen zum Ende kommen, weil wir noch andere Themen in dieser Sendung unterbringen müssen. Danke sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.