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Automobilexperte: Die nächsten drei Jahre sind für Opel entscheidend

Der Automobilexperte Stefan Bratzel hält die Schließung des Bochumer Werkes für unausweichlich, auch der geplanten Fortführung des Getriebewerks gibt er keine Chance. Opel sei schon seit zwölf Jahren in großen Problemen, immer mehr zu einem "Massenhersteller, aber ohne Masse" geworden.

Stefan Bratzel im Gespräch mit Peter Kapern | 11.12.2012
    Tobias Armbrüster: Einer der besten Kenner der deutschen Automobilwirtschaft ist Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft Hannover und Bergisch-Gladbach.

    Mein Kollege Peter Kapern hat gestern Abend mit ihm gesprochen und er wollte von ihm wissen, ob die Schließung des Bochumer Opel-Werks unausweichlich ist.

    Stefan Bratzel: Aus meiner Sicht ist es unausweichlich und der Schritt kommt aus meiner Sicht relativ spät, weil es war schon eigentlich seit Jahren klar, dass Opel mit den Überkapazitäten, die sie haben, sicherlich nicht durch die nächste Krise kommen werden, und man hat genau den Fehler gemacht, dass man eigentlich viel zu lange gewartet hat, immer sozusagen schrittweise ein bisschen saniert, aber nie so viel, wie es eigentlich notwendig war, um Opel wieder in die schwarzen Zahlen, und zwar nachhaltig in die schwarzen Zahlen zu bringen. Das ist einer der Gründe für die ganze Misere von Opel.

    Peter Kapern: Bevor wir uns noch mal dieser Misere dieses Traditionsherstellers widmen, noch mal ein Blick auf diesen Standort im Ruhrgebiet. Da heißt es nun von der Unternehmensführung, dort könnten zukünftig wenigstens noch Teile produziert werden. Ist das mehr als weiße Salbe für die Opelaner in Bochum?

    Bratzel: Ja, ich glaube nicht, dass es viel mehr als weiße Salbe ist. Wir erleben ja schon seit vielen Jahren so ein Sterben auf Raten des Standortes in Bochum, der ja in seinen Glanzzeiten mal über 20.000 Arbeitsplätze hatte. Mittlerweile sind es noch 3000 Arbeitsplätze. Ich glaube, das ist tatsächlich wieder ein weiterer Sargnagel. Und wenn ich eine Prognose wagen darf, dann die, dass in ein paar Jahren wahrscheinlich auch hier die Arbeitsplätze rund um ein mögliches Getriebewerk dann weggefallen sind.

    Kapern: Sie sagten eben, die Werksschließung in Bochum komme zu spät. Wann wäre sie rechtzeitig gewesen?

    Bratzel: Nun, es ist so, dass Opel ja schon seit zwölf Jahren in großen Problemen ist. Und man hat tatsächlich immer versucht, so ein bisschen an Symptomen herumzukurieren. Und das hat dann dazu geführt, dass Opel seit vielen Jahren nicht nur immer in den roten Zahlen ist, sondern eben auch immer negativ in der Presse. Spätestens hätte dieser Schritt passieren müssen, als auch GM eine große Zahl, eine zweistellige Zahl von Werken schloss in den USA. Auch da hätte dann in der Krise 2008/2009 man diesen unangenehmen, gerade auch für die Familien harten Schritt eigentlich nehmen müssen und dann eben Bochum schließen. Das wäre aus meiner Sicht rechtzeitiger gewesen und dann hätte man eher zwei, drei Jahre gewonnen als jetzt der Schritt 2016.

    Kapern: Nun verweist man ja bei den Belegschaften in den Opel-Werken immer darauf, dass General Motors eigentlich die Verantwortung für den Niedergang von Opel trage, weil nicht investiert worden sei, weil Opel seine Autos in Asien nicht verkaufen darf. Wenn also das Problem tatsächlich die Überkapazitäten hier waren, haben die Betriebsräte hier die Sanierung erschwert und nicht die General-Motors-Führung in den USA?

    Bratzel: Nun, es ist natürlich auch richtig, was die Betriebsräte sagen. Nur es hilft nicht weiter. Es ist tatsächlich so, dass über viele Jahre GM wirklich ein sehr, sehr schlechtes Management in Europa gemacht hat, insbesondere mit Opel gemacht hat, und viele strategische Fehler tatsächlich begangen hat. Insofern hilft es ja nur, nach vorne zu gucken. Und wenn man die Situation jetzt betrachtet, haben wir eine enorm starke Wettbewerbsintensität in der Branche. Opel wird zerdrückt, von oben kommen die Premium-Hersteller, die in das Geschäft von Opel ja auch im Kleinwagen- und Mittelklassebereich gehen. Und von unten drücken die Low-Cost-Billiganbieter aus Korea, Kia, Hyundai beispielsweise. Und man ist als Opel mittlerweile immer mehr ein Massenhersteller, aber ohne Masse, geworden. Und das in einem Hochlohnland Deutschland ist fatal. Das halten nur wenige durch.

    Kapern: Gleichwohl bleibt ja festzuhalten, dass Opel auf Weisung von General Motors seine Autos auf den boomenden asiatischen Märkten nicht verkaufen darf. Können Sie mir den tieferen Sinn dieses Verkaufsverbots erklären?

    Bratzel: Nein, kann ich auch nicht. Es spricht aus meiner Sicht nichts dagegen, dass Opel auch Fahrzeuge im chinesischen Markt verkauft. Das macht auch Volkswagen sehr gut, verkauft dort Volkswagen, Audi und Skoda mit sehr großem Erfolg. Und das ginge auch sicherlich innerhalb des GM-Konzerns mit Opel. Nur, es ist eben so, dass sich GM erst mal entschieden hat, mit der Marke Chevrolet in diesen Markt China sehr stark hineinzugehen. Und aus der Sicht von GM wollen sie nicht eine Marke, die auch in Europa nicht erfolgreich ist, auch noch in den chinesischen Markt bringen. Also es wurden viele Fehler gemacht, die meisten von GM, auch einige sicherlich hier in Deutschland.

    Kapern: Herr Bratzel, eben sagten Sie, man müsse jetzt nach vorne schauen. Versuchen wir das mal. Wenn Bochum geschlossen ist, ist Opel dann über den Berg?

    Bratzel: Nein, Opel ist sicherlich dann nicht durch den Berg Es ist eine wichtige, notwendige Maßnahme, tatsächlich die Kosten reduzieren, die Kapazitäten zu reduzieren, aber diese Maßnahme ist sicherlich nicht hinreichend. Was es sicherlich braucht ist eine Verbreiterung des Produkt-Portfolios. Man muss sozusagen so gut werden wie Wettbewerber wie Volkswagen beispielsweise. Dazu ist eine Verbreiterung der Produktpalette notwendig, es sind neue Motoren und Getriebe notwendig und, was ganz wichtig ist: Man muss aus diesen negativen Schlagzeilen hinaus, um das Image der Marke nicht weiter zu belasten.

    Kapern: Wenn Opel vor ein paar Jahren an Magna verkauft worden wäre, ginge es dem Konzern heute besser?

    Bratzel: Aus meiner Sicht wäre das keine Option gewesen. Wir sehen im Moment, dass Unternehmen, die nicht eine strategische Größe haben, in große Probleme kommen. Schauen Sie sich beispielsweise Peugeot-Citroen an, ein Hersteller aus Frankreich, der rund 60 Prozent seiner Verkäufe nur in den europäischen Markt bringt. Der hat riesige Probleme allein, auch weil er nicht auf die Stückzahlen kommt und weil es ihm nicht gelingt, in diese großen Wachstumsmärkte wie China reinzugehen. Und das hätte mit Magna sicherlich auch nicht geklappt, weil Magna als Automobilzulieferer eben auch diesen Zugang nicht gehabt hat. Insofern ist das aus meiner Sicht überhaupt keine Option, Opel gar alleine auf die Reise zu schicken in einem hoch wettbewerbsintensiven, globalen Markt.

    Kapern: Wie viele Jahre hat Opel noch Zeit, um sich zu retten?

    Bratzel: Aus meiner Sicht ist das jetzt die letzte Chance. Die nächsten drei Jahre sind sicherlich entscheidend. Diese Sanierung muss gelingen, sonst sieht es tatsächlich sehr schlecht aus für die Marke Opel.

    Armbrüster: Soweit der Autoexperte Stefan Bratzel im Gespräch mit meinem Kollegen Peter Kapern.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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