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Autonome Tram
Testfahrt mit einer Straßenbahn ohne Fahrer

In Potsdam wird derzeit eine autonome Straßenbahn getestet. Auf der Teststrecke von 12 Kilometern wird dem System beigebracht, so flexibel auf verschiedene Situationen zu reagieren, wie es menschliche Fahrer tun würden. Doch die Tram lernt nicht selbstständig.

Von Wolfgang Noelke |
Ein Straßenbahnfahrer blickt durch die Frontscheibe auf die Schienen
Noch dürfen keine Passagiere mit der autonomen Straßenbahn in Potsdam mitfahren (Deutschlandradio / Wolfgang Noelke)
Die zu ihrer Teststrecke über rostige Weichen rumpelnde Bahn unterscheidet sich von normalen Potsdamer Straßenbahnen durch eine Reihe kleiner Kameras am oberen Rand der Frontscheibe. Die erkennen Signale und Hindernisse. Hinter dunklen Plastikabdeckungen verborgene Radarsensoren senden Mikrowellen in die gleiche Richtung. Reflektierende Radarstrahlen erlauben nicht nur die Geschwindigkeit der Bahn zu berechnen, sie helfen zum Beispiel auch, Gegenstände und Menschen von Schatten oder Nebel zu unterscheiden. Zusätzlich strahlen seitlich der Frontscheibe vier sogenannte Lidar-Sensoren schwaches Laserlicht in die Umgebung. Dessen Reflexion ergänzt Kamera- und Radarbilder zu einem Gesamtbild, das auf dem Laptop von Daniel Höpffner aussieht, wie das Video eines Nachtfluges über flimmernden, bunt beleuchteten Städten und Dörfern. In der Bildmitte ruht ein langer dunkelblauer Balken:
"Der blaue Balken signalisiert den überwachten Bereich auf der Strecke, aktuell fahren wir mit 50 Stundenkilometern. Das heißt, die Voraussicht beträgt rund 90 Meter, was dem praktischen Bremsweg des Fahrzeugs entspricht. Das heißt, den maximalen Bremsweg überwachen wir jetzt optisch."
Daniel Höpffner leitet bei "Siemens Mobility" das Projekt "Autonomes Fahren von Straßenbahnen". Seine Straßenbahn wird kurz vor der ersten Haltestelle langsamer. Gleichzeitig schrumpft der blaue Balken und die Seiten des Bildschirms füllen sich mit immer mehr bunten flimmernden Punkten:
"Wir gucken jetzt rechts und links in diesem Kreuzungsbereich rein und erreichen dann die erste Haltestelle - die Turmstraße in diesem Fall - in der wir auch die Stationen deutlich nach rechts weiter aufgefächert haben, um dort mögliche Passanten zu erkennen, die möglicherweise dicht am Fahrweg stehen, um diese zu warnen oder die Tram rechtzeitig zum Stillstand zu bringen."
Bahn erlernt flexible Reaktion
Der blaue Balken wird jetzt immer kürzer. Links und rechts bewegen sich die farbigen Pixel synchron mit den an der Haltestelle wartenden Menschen und den Fahrzeugen links und rechts auf der Straße. Noch darf aber niemand einsteigen und mitfahren:
"Das System lernt nicht selbstständig. Alle möglichen Situationen, die in dieser Haltestelle auftreten können, müssen wir dem Fahrzeug beibringen, durch Nachstellen von Situationen."
Für die Höpffner extra Probanden engagiert hat, die wie Pantomimen der Bahn diese Situationen solange vorspielen, bis die Bahn gelernt hat, darauf ebenso flexibel zu reagieren, wie Fahrzeugführer und -führerinnen aus Fleisch und Blut. Für die ist jede Haltestelle anders. Ähnlich "lernt" auch die Straßenbahn Kilometer für Kilometer "ihre" Strecke, die mit 12 Kilometern inzwischen doppelt so lang ist, wie bei den ersten Testfahrten vor einem Jahr:
"Was wir unserem Fahrzeug beibringen müssen – und das ist der nächste Entwicklungsschritt - ist quasi die prädiktive Objektüberwachung. Wir lernen aus den Verhaltensmustern der Probanden, wie sich das Fahrzeug zu verhalten hat. Haben wir Blickkontakt mit dieser Person? Bewegt sich die Person weiterhin auf die Straßenbahn zu oder bewegt sie sich vom Gleisbett weg? Das sind so Verhaltensmuster, die die Tram lernen muss und die dann wieder in die Algorithmen eingearbeitet werden müssen, um dann die entsprechenden Fahr-Brems Befehle zu erteilen."
Weiter steht auf dem Lehrplan für die aktuell erste autonom fahrende Tram, im Potsdamer fließenden Verkehr mitzuschwimmen, Fahrzeuge und Zweiräder von Hindernissen zu unterscheiden und auf Feuerwehr, Rettungswagen und Polizeifahrzeuge zu reagieren. Dafür fehle noch ein Standard. Auch das Verhalten bei Regen und Schneefall konnte noch nicht getestet werden.
Krähen leben auch von dem Müll, der in der Stadt hinterlassen wird.
Neugierige Krähen beobachten die Geschehnisse von der Straße aus (Deutschlandradio/Maurice Wojach)
Stattdessen lernen kluge und verspielte Krähen im Lauf der Zeit, eine selbstfahrende Tram zu stoppen: Einfach mutig sitzenbleiben, auf den Schienen!