Tanya Lieske: Als Reiseland kennt man Nordkorea eher nicht, aber mein heutiger Studiogast war dort - Christian Eisert, Sie sind Fernsehautor, Satiriker und Comedy-Coach, 1976 in Berlin geboren, was gab für Sie den Ausschlag, letztes Jahr diese Reise zu unternehmen?
Christian Eisert: Eine Wasserrutsche. Ich war als Kind an einer Schule mit dem etwas umständlichen Namen "Schule der Freundschaft zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik". Da kriegten wir immer Besuch von Delegationen aus Nordkorea und da wurde uns ein Propagandafilm gezeigt, in dem eine riesige regenbogenfarbene Wasserrutsche vorkam. Die fand ich als Kind sehr beeindruckend und irgendwann bekam ich fast 25 Jahre später mit, dass man nach Nordkorea reisen kann. Das war der Impuls zu sagen, wie wäre es denn, wenn wir nach dieser Rutsche schauen!
"Die sind ein bisschen drüber"
Lieske: Dieser Besuch, Sie waren damals 12 Jahre alt, war das so die letzte prägende Erinnerung an die verschwundene DDR?
Eisert: Nein, es gibt natürlich noch mehr prägende Erinnerungen. Aber was uns als Schüler schon beeindruckt hat war, dass trotz der vielen staatspolitischen Indoktrinationen durch Generalsekretär und Staatssekretär und was uns da um die Ohren gehauen wurde - in Nordkorea war das noch viel größer und pompöser. In diesem Propagandafilm gab es dann auch einen Sprecher, der mit vielen bombastischen Formulierungen um sich warf, was uns als Kinder fast schon belustigt hat. Insofern war das eine ganz merkwürdige Mischung aus beeindruckt sein und einer leicht distanzierten Haltung. Ich kann mich erinnern, wir saßen im Kino Sojus in Marzahn, und als dann der große Führer Kim Il-sung betitelt wurde, gab es ein leicht verschlucktes Raunen. Es ist uns als Kind schon aufgefallen, dass die ein bisschen drüber sind.
Lieske: Ihr Buch dazu zeigt sich in knalligen Propagandafarben, Gelb, Rot, Blau. Es heißt Kim & Struppi, wobei Struppi bei Ihnen eine Chiffre für den Geheimdienst ist, was hat es damit auf sich?
Eisert: Tatsächlich waren wir ja in Begleitung zweier Reiseleiter, die von morgens bis abends darauf aufpassten, dass wir nicht alleine unterwegs waren. Wäre das gelungen, dann gab es noch einen zweiten Kreis von Aufpassern, was wir erst nach und nach mitbekamen. Als ich ein Kind war, bin ich oft mit meiner Mutter sonntags Unter den Linden spazieren gegangen, und da standen auch so erdfarbene Herren. Ich fragte dann relativ laut, Mama, wer sind denn die Männer da, und dann sagte meine Mutter schon fast vor dem Brandenburger Tor: Die passen auf uns auf. Und dann sagte ich: Ach, so wie Struppi? Und das war der Hund im Nachbargarten unserer Großeltern, der immer gebellt hat, wenn jemand in die Nähe des Gartentores kam. Das war dann unsere Chiffre für die Aufpasser in Nordkorea.
"Ich mache hier, was ich für richtig halte"
Lieske: Sie sind in Begleitung einer Freundin gereist, die in Vietnam geboren ist, in der Bundesrepublik aufgewachsen. Haben Sie beide ähnlich reagiert auf diese ständige Beschattung?
Eisert: Das war interessant. Ich hatte trotz meiner Jugend in der DDR schon viel mitbekommen davon, wie man sich in einer Diktatur verhält. Man achtet darauf, was man sagt, geht nicht immer so auf die Nasenspitze zu. Meine Freundin Thanh ist ein westberliner Gewächs. Sie sagt, meine Freiheit ist meine Freiheit, und das ist natürlich in Nordkorea ein bisschen schwierig. So hatten wir unsere Schwierigkeiten miteinander, ich dachte auch ständig an unsere Reiseleiter, die wir nicht gefährden wollten, und sie war eher der Haltung, ich mache hier, was ich für richtig halte, jetzt hab' dich nicht so.
Lieske: Thanh ist in Vietnam geboren, sie hat einen zweiten Namen, Sandra, und sie haben sich während dieser Reise darauf verständigt, dass sie wirklich nur Sandra genannt wird, warum diese Vorsichtsmaßnahme?
Eisert: Weil sie unter ihrem anderen Namen im Internet zu finden ist als Journalistin und Fotoreporterin, und Journalisten werden nicht nach Nordkorea gelassen. Auch ich als Fernsehautor habe mir einen anderen Beruf ausgedacht. Das war dann an einer Stelle nicht ganz geschickt, nämlich gleich bei der Begrüßung am Flughafen, weil sie sich da beinahe verraten hat.
Lieske: Das heißt, Sie sind beide mit falschen Identitäten gereist?
Eisert: Im Grunde genommen ja. Ich habe meine Internetseite so verändert, dass das Fernsehen ganz in den Hintergrund rückte. Letztendlich hatten wir ganz großes Glück, denn wären wir enttarnt worden, hätte durchaus die Möglichkeit bestanden, dass man uns der Spionage verdächtigt, und uns dann Lagerhaft oder Verurteilung oder was auch immer gedroht hätte. Das war das, was als Damoklesschwert über uns schwebte. Wo man dachte, Mensch, aufpassen.
Prekäre Situation bereits am Flughafen
Lieske: Nordkorea ist ein Land fast ohne Internet, Sie mussten Ihre Mobiltelefone abgeben, wurden immer von zwei Reiseleitern begleitet - wie hat das denn die ganze Strecke über auf Sie gewirkt?
Eisert: Ich hatte mich schon vorher ausführlich damit beschäftigt, was uns droht, habe auch immer damit gerechnet, dass wir abgehört werden. Während meine liebe Begleitung das locker gesehen hat. Ich habe zum Beispiel auch mein Telefon zuhause gelassen, habe ihr gesagt, das nehmen die dir ab! Es ist dann gleich am Flughafen zu einer prekären Situation gekommen, als ihr Handy für Aufruhr sorgte.
Lieske: Was haben Sie im Land alles gesehen, wie weit war die Strecke, die Sie zurückgelegt haben?
Eisert: Insgesamt sind wir 1.500 Kilometer etwa durch das Land gereist. Ganz Korea muss man sich so als Seepferdchen ohne Schwanz vorstellen, und Nordkorea beginnt dann unter dem Hals bis zur Nasenspitze. Pjöngjang ist im mittleren Halsbereich. Von da aus bewegten wir uns sternförmig in alle Richtungen. Am weitesten kamen wir nach Norden, dort ist ein Gebirge, wo dann auch diese Straflager sind, wo man uns auch nicht unbedingt hinließ. Wir sind dann ins Myohjang Gebirge, wo ein sehr beeindruckendes Museum war mit Staatsgeschenken an Kim Il-sung und Kim Jong-il. Wir haben die Westküste gesehen und sind in den Süden gereist, also direkt an die südkoreanische Staatsgrenze."
Lieske: Sie beschreiben das Kulissenhafte dieser Reise, zum Beispiel kamen Sie in ein Wiener Kaffeehaus für Touristen, das menschenleer war. Es gibt sehr wenige Nachrichten aus Nordkorea, aber man hört doch immer wieder über gewaltige Menschenrechtsverletzungen, Konzentrationslager, öffentliche Hinrichtungen. Wie konnte Sie das für sich miteinander verbinden?
Eisert: Schon bei der Fahrt vom Flughafen nach Pjöngjang hinein fiel uns auf, dass die großen Magistralen, die wir entlang fuhren, das sind vierspurige Straßen, also viel zu groß für die wenigen Autos, die es da gibt, dass die immer parallel auch von Häuserfronten zugebaut waren. Wenn sich mal eine Lücke auftat, dann konnte man sehen, dass dahinter Häuser standen, die sehr viel weniger gut in Schuss waren. Ich habe auf Postkarten immer nach Hause geschrieben: "Pjöngjang ist beeindruckend, hier gibt es wunderschöne Fassaden." Das fand der Kontrolleur sicher beeindruckend, ich habe aber gehofft, dass es zuhause verstanden wurde. Tatsächlich, als wir dann über Land fuhren, merkten wir natürlich, dass Landmaschinen fehlten, dass Menschen zu Tausenden zu Fuß gehen, angeblich legt ein Koreaner pro Tag 30 Kilometer zurück. Wir sahen viele Menschen, die mit Hacke und Spaten, bzw. mit bloßen Händen in den Feldern arbeiten. Im Hinterkopf hatten wir immer den Gedanken, dass Menschen von jetzt auf gleich verschwinden können, und da musste man vorsichtig sein, weil uns gegenüber die Überzeugung geäußert wurde: Die Führung ist der große Vater, beschützt uns, und wer diesen Schutz missbraucht, der muss auch bestraft werden. Deswegen ist es schwer, mit Nordkoreanern, selbst wenn man es will, zu diskutieren. Als Tourist kommt man ja auch an normale Nordkoreaner gar nicht ran.
"Die Führung ist der große Vater"
Lieske: Ihr Hauptberuf ist Satiriker, und Sie schreiben einen Satz, der Ihr Verständnis von Humor illustriert, Sie schreiben: Humor bedeutet Distanz zu den Dingen. Konnten Sie diese Distanz in Nordkorea auch wahren und war das wirklich komisch?
Eisert: Es gab natürlich ein paar Momente wo es schwierig war, nicht zu lachen - also wenn ein LKW mit Holzvergaserantrieb vor uns fährt und ich unseren Führer frage, was ist denn mit diesem LKW los, brennt der? Und daraufhin antwortet der: Schauen Sie mal da hinten, die schönen Apartmenthäuser! Da musste man sich schon zusammenreißen, um nicht loszulachen. Was meine Einstellung als Satiriker betraf, war das sehr hilfreich, ich hatte mit dem Schlimmsten gerechnet, auch damit, dass wir nicht zurückkommen, hatte auch meinen Nachlass geregelt, und war insofern von nichts emotional berührt, was ich für mich als angenehm empfand. Im Gegensatz zu Thanh, die sehr schnell Mitleid empfand und sich emotional auch angegriffen fühlte von den Umständen da. Was uns für Lügengebäude aufgetischt wurden, dass die Menschen dort im Paradies leben, wo es doch für unsere westlichen Augen ganz offensichtlich war, dass das nicht so ist. Ich wollte die Distanz wahren, das hat mir gut getan, mich gut durch das Land geführt, bei Thanh war es dann ein bisschen schwieriger.
Lieske: Sie standen im Lauf der Reise an der bestbewachten Grenze der Welt, nämlich an der sogenannten demilitarisierten Zone zwischen Nord und Südkorea, wie ging es Ihnen da?
Eisert: Ich glaube, bedrückend trifft es am besten. Wenn man an diese Grenze fährt, dann hat man links und rechts so merkwürdige Brückenpfeiler, aber es war kein Querstück oben drüber. Späte fanden wir dann heraus, dass das Straßensperren sind, die man umwerfen kann, wenn der Südkoreaner anrückt. Die entmilitarisierte Zone selbst ist ein vier Kilometer breiter Streifen, da wird man in eine Art Hof gefahren mit dem Bus, kann sich da einen Moment aufhalten. Es gibt einen großen Souvenirshop, und dann muss man im Gänsemarsch durch eine Gasse gehen, links und rechts Betonmauern und große Walzen auf den Mauern, die nur mit dünnen Drähten gehalten und gekappt werden können da runterkrachen, wenn ein Südkoreaner anrückt. Direkt an der Grenze hat man dann die Möglichkeit in eine dieser blauen Verhandlungsbaracken, die direkt auf der Grenze stehen, hinein zu gehen. In der Mitte steht ein Tisch, der eben exakt auf der Grenze steht, sodass die Verhandlungsführer - wenn es mal wieder zu Verhandlungen kommt - miteinander reden können, und aber jeder in seinem Lande sitzt. Und so waren wir auch auf unserer Reise in Südkorea - aber nur wir, nicht unsere Begleiter.
Es gab Momente wo es schwierig war, nicht zu lachen
Lieske: Wir steuern ja auf den 25. Jahrestag des Mauerfalls zu. Die Wiedervereinigung war das größte Glück unseres Landes. Halten Sie so etwas für Nord- und Südkorea auch für denk- und machbar?
Eisert: Also grundsätzlich herrscht auf beiden Seiten offiziell der Wille zur Wiedervereinigung. Unsere Reiseführer sagten, dass angestrebt sei eine Wiedervereinigung unter Beibehaltung beider Systeme. Es gibt in Korea eine tiefe Überzeugung, dass Korea nur stark wäre, wenn es vereint wäre. Wobei man für Südkorea sagen muss, da sind vor allem den jungen Leuten die Nordkoreaner auch wieder relativ egal, weil jeder weiß, wenn es zu einer Wiedervereinigung kommt, kostet das wahnsinnig viel. Bei uns war es so, dass das Verhältnis etwa 1:4 war zwischen Ost- und Westdeutschen. In Nordkorea wäre es 1:2. Es gibt etwa 45 Millionen Südkoreaner und 24 Millionen Nordkoreaner. Man müsste sehr viel mehr Menschen pro Mann tragen wirtschaftlich. Das würde im Grunde genommen Südkorea in den Abgrund stürzen. Auf meinen Lesungen mache ich die Erfahrung, dass die deutsche Teilung auch 25 Jahre später noch nachwirkt, und diese Teilung war ja viel, viel weniger streng als die zwischen Nord- und Südkorea. Dort würde es auch viel länger dauern, bis das rausgewachsen ist, diese völlig verschiedene Ausrichtung der beiden Systeme.
Lieske: Die Teilung wirkt nach, aber 25 Jahre sind vergangen. Herr Eisert, was meinen Sie sollten nachfolgende Generationen auf keinen Fall vergessen?
Eisert: Ich glaube, dass man sich immer bewusst sein sollte, wie wackelig so ein Staatsgebilde sein kann. Dass es mit einem Mal passieren kann, ob nun durch äußere Mächte, dass plötzlich beschlossen wird, das Land zu teilen, ohne dass man als Durchschnittsbürger das beeinflussen kann. Und dass wir uns immer wieder freuen sollten, dass wir das damals relativ friedlich geschafft haben. Und zum anderen diese Unterschiede, die es immer noch gibt, als Stärken wahrnehmen sollten. Wir haben da was erlebt, was uns geprägt hat - lasst uns zusammen das Beste draus machen.
Lieske: Es geht um Dankbarkeit.
Im Grunde genommen ja. Gerade auch mit meinem Eindruck aus Nordkorea. Wenn man dann wieder hierher zurück kommt muss man sagen: Mensch, toll, dass wir dieses Glück hatten."
Christian Eisert: Kim & Struppi - Ferien in Nordkorea. Ullstein extra, 15,50 Euro.