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Autor Dietmar Wischmeyer
"Satire selbst ist ätzend - und sonst gar nichts"

Dietmar Wischmeyer regt sich auf: über Pflegeroboter, Postfaktisches und Populismus. Der Radiomann, Satiriker und Autor findet in der Verbalisierung seiner Wut in seinem neuen Buch eine große innere Reinigung. "Sonst würde ich mit der Kettensäge durch die Fußgängerzone laufen", sagte Wischmeyer im Dlf.

Dietmar Wischmeyer im Corsogespräch mit Anja Buchmann |
    Dietmar Wischmeyer, Autor, Kolumnist und Satiriker.
    Dietmar Wischmeyer, Autor, Kolumnist und Satiriker. (Gaby Gerster)
    Anja Buchmann: Günter, der Treckerfahrer. Willie Deutschmann. Frieda und Anneliese. Arschkrampen. Der kleine Tierfreund. All dies sind Comedy-Formate, die im "Frühstyxradio" liefen, einer Sendung auf Radio ffn, von 1988 bis 1996 – jeden Sonntag, drei Stunden lang. Einer der Macher und Hauptverantwortlichen: der Satiriker Dietmar Wischmeyer, den Menschen auch aus seinen Auftritten bei der "Heute Show" kennen oder als Autor von zahlreichen Büchern, seinen Bühnentourneen, diversen Radio-Kolumnen und, und, und. Jetzt hat er wieder ein Buch geschrieben, das heute erscheint: "Vorspeisen zum jüngsten Gericht – ein Nachruf auf unsere fetten Jahre." Ich habe vor der Sendung mit Dietmar Wischmeyer sprechen können. Schönen guten Tag!
    Dietmar Wischmeyer: Ja, guten Tag.
    Buchmann: Herr Wischmeyer, Sie sitzen in so einer Art Heimstudio in ihrem Heimatort Mittelbrink, irgendwo zwischen Osnabrück und Hannover. Wie sieht es dort aus?
    Wischmeyer: Also es ist einfach toll hier. Ich sitze mitten in einem Naturschutzgebiet im Schaumburger Wald, gucke in den Garten, auf den gerade gemähten Rasen und freue mich, dass es heute laut Regenradar nicht regnen soll. Hoffe ich zumindest, dann kann ich noch mal rausgehen.
    "Das ist toll, dass ich ganz weit weg von Berlin sitzen kann"
    Buchmann: Aber ihr Studio, oder kleines Studio mit Neumann-Mikro und Aufnahmesoftware, haben Sie nicht zu Hause, sondern im Garten, quasi.
    Wischmeyer: Ja. Ich habe es im Garten. Ich wohne in einem alten Forsthaus, da kann man nicht einfach irgendwas anbauen, das sagt der Denkmalschutz jedenfalls. Und man darf auch nicht einfach im Wald ein neues Haus bauen, mit Studio. Aber ich muss ja irgendwo aufnehmen, wo kein Hund bellt, kein Kurierfahrer klingelt und die Zeugen Jehovas wissen wollen, was ich von Jesus halte, weil das kann ich, wenn ich für das Radio arbeite, leider nicht gebrauchen.
    Buchmann: Nehmen Sie dort zum Beispiel auch Ihre Kolumne "Wischmeyers Schwarzbuch" für radioeins auf?
    Wischmeyer: Ja. Das ist toll, dass ich ganz weit weg von Berlin sitzen kann, hier mitten im Grünen, und etwas für eine Großstadt machen kann. Früher musste man dahinfahren. Oder ich erinnere mich auch noch an Zeiten, da habe ich das auf DAT-Kassette gesprochen und dann ist ein Kurierfahrer gekommen und hat das dahingebracht. Also es ist nicht alles schlecht, was es heute gibt.
    Buchmann: Ah, tatsächlich nicht? Obwohl Sie sich sehr darüber beklagen, auch in Ihrem neuen Buch.
    Wischmeyer: Nein, also ich bin frohgemut, ja.
    Die richtige Sprache finden für das, was einen aufregt
    Buchmann: Ob Radio oder Fernsehen, wie auch die "Heute Show" oder Bücher schreiben, wie ihr jüngstes auch, man kann zusammenfassen: Sie regen sich auf, über alles mögliche, über die Globalisierung, über die Digitalisierung, Technisierung, Robotisierung, über Leben auf dem Dorf, TV-Produktionen, über Wohnmaschinen, Carsharing, über die Sprache, über Schweigeminuten, die keine mehr sind und, und, und. Ist das eine Art Katharsis für Sie, sich aufzuregen?
    Wischmeyer: Ja, es ist natürlich Katharsis, sonst würde ich ja mit der Kettensäge durch Fußgängerzonen laufen und da irgendwas machen, ich weiß nicht. Also, es ist schon schön, dass man so ein Ventil hat, um das alles abzulassen, ein großer Aderlass des Wahnsinns. Andererseits ist natürlich: Eine gute Nachricht, ist keine Nachricht. Also dann kann ich vielleicht für die Landlust eine Kolumne schreiben.
    Buchmann: Wäre doch auch mal was.
    Wischmeyer: Ja, wär auch schön, ja, bloß, die Menschen interessiert nicht so sehr, dass sich jemand aufregt über etwas - weil das haben sie selber alle schon gemacht - sondern jemand, der eine Sprache findet, die sie so vielleicht noch nicht gesehen hatten für das, was sie selbst aber auch schon aufregt. Sie erkennen sich wieder in dem, was ich schreibe, aber finden es besser formuliert, als sie es machen würden. Ich glaube, das ist der Reiz, den sie dann haben, sonst kann ich mir nicht vorstellen, warum jemand meine Bücher liest, weil das kennt er ja alles schon.
    "Die Satire selbst ist ätzend - und sonst gar nichts"
    Buchmann: Also ist es nicht nur für Sie eine innerliche Reinigung, sondern Sie denken für die Zuhörenden denn dann eben auch.
    Wischmeyer: Natürlich. Ja, die denken vor allen Dingen: "Genau so ist es", denkt der Maurer, wenn ich etwas gegen Maurer sage. Das ist immer gerade der ähnlich andere, über den man sich am meisten aufregt. Wen hassen Katholiken am meisten? Protestanten. Wen hasst die Linke am meisten? Die SPD. Es ist immer das Ähnliche, das einen mehr aufregt, als das ganz Verschiedene. Außer man ist natürlich Pegida-Anhänger.
    Buchmann: Welche Rolle hat Satire für Sie? In ihrem neuen Buch schreiben Sie auch, seit den Mohammed-Karikaturen und den Anschlägen auf Charlie Hebdo, ist die Satire bei uns zu einem erhöhten, nein, zu einem überhöhten Gesamtgewissen geworden. Also sind Satire, Kabarett, Comedy oft zu moralisch?
    Wischmeyer: Ja, ich will das jetzt nicht als Kollegenbeschimpfung beschreiben, aber es gibt, finde ich, eine Tendenz dahin, dass Satire und Kabarett moralisiert. Das gab es früher auch schon immer, aber finde ich eigentlich blöd, weil Satire ist - wie jegliche Art von Humor und Witz - ist es immer eine Verächtlichmachung, es ist eine Bloßstellung. Sie ist ungerecht, sie ist auch voller Vorurteile und oberflächlich. Es ist nichts, was man… also der größtmögliche Gegensatz zu einer konkreten Analyse einer Situation. Und deswegen kann sie moralisch sein und soll sie auch nicht sein. Sie soll im besten Falle Leute dazu führen, dass sie einen Widerspruch zwischen Realität und dem, was Leute meinen, was sie wären und was Realität sein sollte, dass sie diesen Widerspruch aufdeckt und die Leute selber das an ihrer moralischen Vorstellung überprüfen. Aber die Satire selbst ist ätzend - und sonst gar nichts.
    Harald Schmidt: ein Tausendsassa
    Buchmann: Ist Harald Schmidt, der heute ja seinen 60. Geburtstag feiert, eigentlich ein guter Satiriker für Sie?
    Wischmeyer: Er ist ja alles Mögliche gewesen. Er hat angefangen als Kabarettist, klassischer Kabarettist. Dann war er ein anarchischer Fernsehmoderator. Dann hat er auch, glaube ich, hat er nicht so mal "Spaß muss sein" moderiert? Also er war ganz seriöser, konformistischer Fernsehmoderator. Und zuletzt in der "Harald Schmidt Show" hat er versucht - und er hat es ja auch über Jahre geschafft - das amerikanische Format Late-Night-Show nach Deutschland zu bringen. Also ein Tausendsassa, würde ich sagen. Und wenn er jetzt 60 geworden ist - ich bin dieses Jahr auch übrigens 60 geworden - aber er hat es hinter sich, ich muss noch arbeiten, so sieht es aus, ja, irgendwie habe ich das verpasst.
    Also ich finde Harald Schmidt ganz toll, was er gemacht hat. Und ich hoffe, dass er in seinem Ruhestand noch so viel Muße hat, auch noch weitere Sachen zu machen und nicht nur aufs "Traumschiff" oder was er sonst so treibt. Das ist zwar irgendwie schon eine Punkhaltung, aber es ist schade, wenn er nichts mehr machen würde.
    "Ich kann nicht sagen, dass ich Menschen mag"
    Buchmann: Sie wurden immer mal wieder gefragt, ob Sie eigentlich so was wie ein Menschenfeind seien. Sie haben das immer bestritten und haben in einem Interview, das ich neulich noch mal gehört habe, auch zitiert: "I like mankind. It‘s people, I cannot stand." Können Sie da noch ein paar mehr Worte zu sagen, was meint das?
    Wischmeyer: Ja, es ist ja so ein… ich weiß nicht, hat das nicht auch Churchill gesagt? Ihm wird ja fast alles zugeschrieben, was misanthropisch klingt. Die Menschheit ist schon eine tolle Sache, also verglichen mit anderen Populationen - ich sag mal, weiß ich nicht - irgendwelche Insektenstaaten oder Ratten oder sonst was, also was die geleistet hat. Was ich an der Menschheit mag, an dem Mensch als Projekt, ist, wie er sich seiner Natur widersetzt hat: Also er lebt viel länger, als man es ihm eigentlich zugedacht hat, er ernährt sich besser, er lässt sich nicht mehr von Wölfen unbedingt umbringen, bloß weil er in deren Fress-, Beuteschema reinpassen würde. Also er hat viel aus sich gemacht, hat sich die Welt untertan gemacht. Finde ich eine tolle Sache, besser als viele andere Tiere. Aber die Leute sind oft sehr nervig. Und ich kann nicht sagen, dass ich Menschen mag, weil: Es ist zu blöd. Manche mag ich, manche eben nicht.
    Buchmann: Aber Ihre Figuren, die Sie für die Bühne und für Ihre Bücher und die ganzen Comedyshows geschaffen haben, die mögen Sie.
    Wischmeyer: Nein, die mag ich auch nicht. Ich mag sie als Figuren, sie sind ja Kunstfiguren. Aber jemanden wie Willi Deutschmann, wenn das ein wirklicher Mensch wär, den würde ich natürlich überhaupt nicht mögen, ja, es ist ja ein ganz furchtbarer Typ. Solche gescheiterten Anarchos wie Kurt und Ferkel, die beiden Arschkrampen, die mag ich schon. Das ist wie Huckleberry Finn und Tom Sawyer, das sind so anarchische Alltagsbewältiger, die mag ich natürlich. Der kleine Tierfreund ist schrullig, das mag ich auch. In der Mehrheit mag ich sie doch schon, stimmt.
    Buchmann: Vielen Dank, Dieter Wischmeyer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Dietmar Wischmeyer: "Vorspeisen zum Jüngsten Gericht: Ein Nachruf auf unsere fetten Jahre"
    Rohwolt, Berlin 2017. 320 Seiten, 19,99 Euro.