Da liegen sie nun, die Papiermassen, die das Deutsche Literaturarchiv im letzten Herbst gekauft hat und die seinen Bestand um ein Viertel vergrößert haben: Manuskripte, Korrespondenzen mit Autoren, Druckfahnen, Abrechnungen, Werbematerial, Rezensionen – und Siegfried Unselds Suhrkamp-Verlagschronik, die sein Tun minutiös wie ein Tagebuch verzeichnet. So vollständig wurde noch nie ein Verlagsarchiv aufbewahrt.
Ist das nun, wie behauptet, eine Bewusstseins- und Ideengeschichte der Bundesrepublik, oder ist auch viel Überflüssiges dabei? Bereits mit der ersten Sichtung will das Literaturarchiv die Forschung ankurbeln – deshalb auch dieses Symposion, auf dem Spezialisten ihre Projekte und Interessen vorstellten.
Schon in der ersten Plenumsveranstaltung des Symposions wurde klar, dass der Verlag vor allem über die äußerst produktiven Netzwerke des Siegfried Unseld funktionierte: Ein Think-Tank wie eine Universität war das. Und als patriarchale Figur war Unseld dabei unersetzlich, meint der Marbacher Forschungsleiter Jan Bürger.
"Naja, die Literatur hat immer eine schwache Position. Aber in Verbindung mit Gestalten wie Unseld - der auf merkwürdige Weise es geschafft hat, ein Gesprächspartner für Intellektuelle zu sein und zum anderen ein knallharter Geschäftsmann – kann sie doch extrem große gesellschaftliche Wirkung entfalten."
Literatur, wissenschaftliche Theorie und Geschäft – Unseld brachte das unter einen Hut. Im bornierten Milieu der alten Bundesrepublik, schon in den 60er-Jahren, verlegte er die zurückgekehrten Exilanten Horkheimer und Adorno – und wurde damit diskussionsbestimmend. Mit dem enormen Verkauf der Hermann-Hesse-Bücher konnte er ein risikoreiches Programm finanzieren.
Und, grundlegender Unterschied zu anderen Verlagen, die auf den schnellen Erfolg schielten: Unseld wollte nicht einzelne Bücher machen, er wollte Autoren machen, sie fördern, begleiten, mit ihnen im Gespräch sein, Einfluss nehmen.
Bürger: "Unseld hat immer gesagt: Wir verlegen nicht Bücher, wir verlegen Autoren. Diesen Satz hat er von Peter Suhrkamp übernommen. Das heißt: Man finanziert sowieso die ganze Zeit quer. Wenn jemand mal ein erfolgreiches Buch hat, dann kann er durchaus auch drei Lyrikbände machen ... Man nimmt dieses Phänomen des Autors als den Aufbau eines Gesamtwerks. Man hat im Grunde, wenn man beginnt, einen Autor zu verlegen, schon die Werkausgabe im Kopf – obwohl es die noch gar nicht gibt."
Aber die Autoren waren für Unseld auch Ideengeber, Spürhunde, Berater. Der Philosoph Jacob Taubes stellte für Unseld von New York aus Listen wichtiger Soziologen zusammen, Enzensberger las spanische Literatur, Wolfgang Hildesheimer empfahl italienische Lyriker. Nach dem nationalsozialistischen Vakuum kam auf diese Weise langsam die Moderne in die BRD, auch die moderne Theorie. Denn mit Beginn der Studentenbewegung surfte der Suhrkamp-Verlag auf einer Welle: Er brachte einen großen Teil der Bücher heraus, die für die linke universitäre Debatte entscheidend werden sollten. Unselds größte Tugend war dabei seine Liberalität: Er konnte, sagt der Ulrich Raulff, der Direktor des Marbacher Literaturarchivs, verschiedene, auch einander widersprechende Theorietraditionen nebeneinander gelten lassen - von Adorno zu Peter Szondi und zu Roland Barthes, von der analytischen Philosophie zur Systemtheorie ... Für Unseld war das kein Problem.
Raulff: "Er bewahrte sich diese enorme Beweglichkeit – und damit natürlich auch die große Integrationsfähigkeit dieser Suhrkamp-Kultur, die die unterschiedlichsten Positionen in ihrem großen Magen verdauen kann. Also: Habermas und Luhmann – die ja zeitweise Protagonisten völlig konträrer Schulen und Ansätze in der deutschen Soziologie und Sozialphilosophie waren ..."
Einige Runden des Symposions ließen sich etwas zäh an – man sprach etwa über Unselds Kauf des Insel-Verlags als Klassiker-Schaufenster und über die Suhrkamp-Autoren Peter Handke und Rainald Goetz als angebliche Pop-Literaten. Aber die am Einführungsabend gezeigten Materialien verrieten doch etwas über die Arbeitsweisen des Verlags: die zum Teil markanten Spuren, die das Gespräch zwischen Lektor und Autor in den Manuskripten auch berühmter Schriftsteller (wie Max Frisch) hinterlassen haben, müssen nun ebenso präzise erforscht werden wie Geschäftsberichte und Absatzzahlen, die ja auch etwas über die Verkaufsstrategien verraten.
Das Marbacher Literaturarchiv will vor allem junge Forscher an diese Themen setzen, die – anders als die noch lebenden Unseld-Zeitgenossen - einen frischen Blick von außen auf das Ganze haben.
Einige von ihnen waren bereits mit Postern im Foyer vertreten, die etwa die inszenierten Fotos von Hermann Hesse oder die bibliophile Gestaltung der Rilke-Bände (bei Insel) als entscheidend für den Erfolg der Bücher werteten.
Dass sich der von Peter Suhrkamp ursprünglich eher literarisch konzipierte Verlag zum Hort linker Theorie entwickelte, hat zwar viel mit den Zeitläuften, aber auch mit Siegfried Unselds Geschäftsinstinkt und vor allem mit den großen Auflagen seiner Taschenbücher zu tun. Ohne die Anregungen aus dem Suhrkamp-Programm jedenfalls wäre auch die politische Geschichte dieser Republik ein wenig anders verlaufen.
Ist das nun, wie behauptet, eine Bewusstseins- und Ideengeschichte der Bundesrepublik, oder ist auch viel Überflüssiges dabei? Bereits mit der ersten Sichtung will das Literaturarchiv die Forschung ankurbeln – deshalb auch dieses Symposion, auf dem Spezialisten ihre Projekte und Interessen vorstellten.
Schon in der ersten Plenumsveranstaltung des Symposions wurde klar, dass der Verlag vor allem über die äußerst produktiven Netzwerke des Siegfried Unseld funktionierte: Ein Think-Tank wie eine Universität war das. Und als patriarchale Figur war Unseld dabei unersetzlich, meint der Marbacher Forschungsleiter Jan Bürger.
"Naja, die Literatur hat immer eine schwache Position. Aber in Verbindung mit Gestalten wie Unseld - der auf merkwürdige Weise es geschafft hat, ein Gesprächspartner für Intellektuelle zu sein und zum anderen ein knallharter Geschäftsmann – kann sie doch extrem große gesellschaftliche Wirkung entfalten."
Literatur, wissenschaftliche Theorie und Geschäft – Unseld brachte das unter einen Hut. Im bornierten Milieu der alten Bundesrepublik, schon in den 60er-Jahren, verlegte er die zurückgekehrten Exilanten Horkheimer und Adorno – und wurde damit diskussionsbestimmend. Mit dem enormen Verkauf der Hermann-Hesse-Bücher konnte er ein risikoreiches Programm finanzieren.
Und, grundlegender Unterschied zu anderen Verlagen, die auf den schnellen Erfolg schielten: Unseld wollte nicht einzelne Bücher machen, er wollte Autoren machen, sie fördern, begleiten, mit ihnen im Gespräch sein, Einfluss nehmen.
Bürger: "Unseld hat immer gesagt: Wir verlegen nicht Bücher, wir verlegen Autoren. Diesen Satz hat er von Peter Suhrkamp übernommen. Das heißt: Man finanziert sowieso die ganze Zeit quer. Wenn jemand mal ein erfolgreiches Buch hat, dann kann er durchaus auch drei Lyrikbände machen ... Man nimmt dieses Phänomen des Autors als den Aufbau eines Gesamtwerks. Man hat im Grunde, wenn man beginnt, einen Autor zu verlegen, schon die Werkausgabe im Kopf – obwohl es die noch gar nicht gibt."
Aber die Autoren waren für Unseld auch Ideengeber, Spürhunde, Berater. Der Philosoph Jacob Taubes stellte für Unseld von New York aus Listen wichtiger Soziologen zusammen, Enzensberger las spanische Literatur, Wolfgang Hildesheimer empfahl italienische Lyriker. Nach dem nationalsozialistischen Vakuum kam auf diese Weise langsam die Moderne in die BRD, auch die moderne Theorie. Denn mit Beginn der Studentenbewegung surfte der Suhrkamp-Verlag auf einer Welle: Er brachte einen großen Teil der Bücher heraus, die für die linke universitäre Debatte entscheidend werden sollten. Unselds größte Tugend war dabei seine Liberalität: Er konnte, sagt der Ulrich Raulff, der Direktor des Marbacher Literaturarchivs, verschiedene, auch einander widersprechende Theorietraditionen nebeneinander gelten lassen - von Adorno zu Peter Szondi und zu Roland Barthes, von der analytischen Philosophie zur Systemtheorie ... Für Unseld war das kein Problem.
Raulff: "Er bewahrte sich diese enorme Beweglichkeit – und damit natürlich auch die große Integrationsfähigkeit dieser Suhrkamp-Kultur, die die unterschiedlichsten Positionen in ihrem großen Magen verdauen kann. Also: Habermas und Luhmann – die ja zeitweise Protagonisten völlig konträrer Schulen und Ansätze in der deutschen Soziologie und Sozialphilosophie waren ..."
Einige Runden des Symposions ließen sich etwas zäh an – man sprach etwa über Unselds Kauf des Insel-Verlags als Klassiker-Schaufenster und über die Suhrkamp-Autoren Peter Handke und Rainald Goetz als angebliche Pop-Literaten. Aber die am Einführungsabend gezeigten Materialien verrieten doch etwas über die Arbeitsweisen des Verlags: die zum Teil markanten Spuren, die das Gespräch zwischen Lektor und Autor in den Manuskripten auch berühmter Schriftsteller (wie Max Frisch) hinterlassen haben, müssen nun ebenso präzise erforscht werden wie Geschäftsberichte und Absatzzahlen, die ja auch etwas über die Verkaufsstrategien verraten.
Das Marbacher Literaturarchiv will vor allem junge Forscher an diese Themen setzen, die – anders als die noch lebenden Unseld-Zeitgenossen - einen frischen Blick von außen auf das Ganze haben.
Einige von ihnen waren bereits mit Postern im Foyer vertreten, die etwa die inszenierten Fotos von Hermann Hesse oder die bibliophile Gestaltung der Rilke-Bände (bei Insel) als entscheidend für den Erfolg der Bücher werteten.
Dass sich der von Peter Suhrkamp ursprünglich eher literarisch konzipierte Verlag zum Hort linker Theorie entwickelte, hat zwar viel mit den Zeitläuften, aber auch mit Siegfried Unselds Geschäftsinstinkt und vor allem mit den großen Auflagen seiner Taschenbücher zu tun. Ohne die Anregungen aus dem Suhrkamp-Programm jedenfalls wäre auch die politische Geschichte dieser Republik ein wenig anders verlaufen.