Bettina Klein: Der Landesverband der Grünen in Niedersachsen, Amnesty International und die Gesellschaft für bedrohte Völker wollen protestieren am Sonntag und am Montag, und zwar in Hannover zur Eröffnung der Industriemesse dort, zu der Wladimir Putin als eine Art Ehrengast erwartet wird, um dort sein Land zu vertreten. All die genannten Organisationen prangern die Menschenrechtsverletzungen in Russland an, evident geworden jüngst wieder einmal nach Einführung des NGO-Gesetzes, auf dessen Grundlage nicht nur deutsche Stiftungen, sondern vor allem russische Nicht-Regierungsorganisationen durchsucht und teils in ihrer Arbeit behindert werden. Daran hat sich auch in den vergangenen Tagen nichts verändert.
Und darum soll es nach diesem Bericht von Christina Nagel aus Moskau jetzt gehen, im Interview mit Andreas Schockenhoff (CDU), Russland-Koordinator der Bundesregierung. Guten Morgen, Herr Schockenhoff!
Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Frau Klein.
Klein: Wir haben gerade den Originalton von Werner Schulz gehört. Er spricht von einem astreinen Despoten mit Blick auf Putin und findet es nicht verwunderlich, dass der ehemalige KGB-Offizier jetzt ähnliche Methoden anwendet. Muss die Kanzlerin am Wochenende in Hannover ähnlich Klartext reden, oder ist das nur einem Politiker einer deutschen Oppositionspartei vorbehalten?
Schockenhoff: Nein, überhaupt nicht. Wer die Bundeskanzlerin Ende letzten Jahres bei den Regierungskonsultationen in Moskau erlebt hat, der weiß, wie souverän und offen sie solche Dinge anspricht. Und natürlich gehört das zum deutsch-russischen Verhältnis und das Vorgehen gegen deutsche Stiftungen hat den deutsch-russischen Beziehungen geschadet, das ist gar keine Frage. Das Entscheidende aber – und das kam ja in dem Bericht auch gerade deutlich zum Vorschein – ist, dass Putin damit dem eigenen Anspruch schadet, ein modernes wettbewerbsfähiges Land zu sein. Wirtschaftlich kann sich ein Land wie Russland nicht durch Einschüchterung und vertikale Kontrolle steuern lassen. Im Gegenteil: Modernität erfordert Wettbewerb der Ideen, die Freude, Gutes zu verbessern, Kreativität der Menschen, und deshalb ist eine solche Konfrontation zwischen Staat und den Bürgern ein Anschlag zu allererst auf Russlands eigene Zukunftsfähigkeit.
Klein: Herr Schockenhoff, wir gehen gleich noch einige Punkte durch, die Sie genannt haben. Aber noch mal meine Frage: Einen astreinen Despoten wird die Kanzlerin Putin nicht nennen, da muss sie diplomatischer vorgehen?
Schockenhoff: Das ist der Sprachgebrauch, den in anderer Form ihr Vorgänger benutzt hat. Die Kanzlerin hat eine sehr selbstbewusste Art, deutsche Interessen anzusprechen. Es geht dabei nicht um eine zur Schau gestellte Kritik an Russland, sondern es geht darum, dass wir als Partner offen auch Sorgen um die innere Entwicklung Russlands ansprechen. Die Sorge um die Stabilität Russlands ist das Hauptanliegen deutscher Interessen, deutscher und europäischer Russland-Politik, vor allem aber auch deutscher Wirtschaftsinteressen, denn die deutsche Wirtschaft kann ein politisch instabiles und wirtschaftlich kriselndes Russland nicht als Partner wünschen.
Klein: Teilen Sie denn die Analyse, dass es sich bei Putin um einen Despoten handelt, und muss man noch stärker in den Blick nehmen, dass es sich eben um einen ehemaligen KGB-Offizier handelt?
Schockenhoff: Es ist bestimmt dieses Denken, von oben nach unten alles absolut zu kontrollieren, und dieses Denken widerspricht fundamental einer offenen modernen pluralen Gesellschaft. Es ist ein autoritäres Vorgehen, mit dem sich Wettbewerbsfähigkeit und Modernität heute nicht vereinbaren lassen.
Klein: Er besucht jetzt die Hannover-Messe, Russland ist Gastland dabei, Sie haben es angesprochen. Bietet das der deutschen Regierung auch die Möglichkeit, auf diese Weise Druck auszuüben, oder muss man sagen, ganz im Gegenteil: Aus Rücksicht auf wirtschaftliche Interessen wird man sich eben doch etwas vorsichtiger verhalten?
Schockenhoff: Ich glaube, es gibt keinen Gegensatz zwischen wirtschaftlichen Interessen und politischen Interessen, denn wir haben Russland, übrigens die EU auch, eine Modernisierungspartnerschaft angeboten. Dann müssen wir auch offen über den Begriff der Modernisierung reden, denn Russland scheint immer weiter von einem gemeinsamen Modernisierungsverständnis abzurücken. Putin selbst spricht nur noch von Re-Industrialisierung und meint damit Erneuerung der alten Industriestrukturen, die vor allem auf Energieexporte, Rohstoffexporte ausgerichtet sind. Russland hat in der Diversifizierung den Anschluss zu führenden Technologienationen verloren, und deswegen müssen wir darüber sprechen, ob sich Modernisierung gegen die eigene Bevölkerung oder nur mit einer kreativen, mit einer lebendigen eigenen Bevölkerung, die eigene Ideen entwickelt, realisieren lässt. Und deswegen ist ein Gastland auf der Hannover-Messe nicht nur ein Land, das sich selbst präsentiert, sondern das sich selbst immer auch im Wettbewerb zu den Entwicklungen anderer Länder, zu den Produkten, die aus anderen Teilen der Welt kommen, präsentiert, und dort muss dann Russland auch sehen, wo es selbst steht. Russland, das sich in den nächsten Jahren mit einer Reihe politischer und sportlicher Großereignisse präsentieren will, als weltoffener, moderner Staat, vor allem bei den Olympischen Spielen in Sotschi, braucht für die Entwicklung des Landes das aktive Mitwirken seiner Bürger. Deswegen kann die Modernisierung Russlands nur mit und nicht gegen die eigene Gesellschaft gelingen. Darüber zu diskutieren, ist Aufgabe der Bundeskanzlerin. Es ist aber auch Aufgabe der deutschen Wirtschaft, es ist auch Aufgabe der Partner der russischen Wirtschaft, die auf der Hannover-Messe zusammentreffen.
Klein: Soweit der Anspruch und die Forderung, Herr Schockenhoff. Sie selbst haben ja sich sehr, sehr kritisch relativ schnell nach der Verabschiedung dieses NGO-Gesetzes geäußert. Welche Wirkung entfaltet denn derzeit die Kritik aus Deutschland an russischen Verhältnissen?
Schockenhoff: Die russischen betroffenen Organisationen wenden sich an uns und fühlen sich dadurch einigermaßen solidarisch behandelt, denn es kam ja vorher in dem Bericht auch heraus: Die Grundlagen für die Überprüfungen sind eigentlich völlig unklar. Es geht – das ist ganz offensichtlich – vor allem um Verunsicherung und Einschüchterung von zivilgesellschaftlichem Engagement. Deswegen ist es im Interesse der russischen Menschen, die sich ehrenamtlich einsetzen, die von unten nach oben auch eine moderne vielfältige Gesellschaft bauen wollen, dass wir diese Dinge ansprechen. Noch mal: Es geht nicht um eine demonstrative Kritik an Russland; es geht um unser Interesse an einem Russland, das sich politisch und wirtschaftlich modern, rechtsstaatlich und demokratisch entwickelt, und deshalb muss es unter Partnern auch offene und kritische Worte geben, wenn in einer solchen eklatanten Weise das von oben boykottiert wird.
Klein: Sie haben es gerade selbst angesprochen. Sehen Sie auch deutsche Wirtschaftsunternehmen an dieser Stelle in der Verpflichtung und auch in der Verantwortung?
Schockenhoff: Ja selbstverständlich! Gerade die Wirtschaftsunternehmen brauchen doch eine kreative Bevölkerung, brauchen Wettbewerb. Innovation und Modernisierung entsteht nicht durch Dekretierung von oben, sondern entsteht immer durch den Wettstreit der besten Ideen im Wettbewerb, und Wettbewerb ist eben nicht nur zwischen Unternehmen, Wettbewerb muss in der Zivilgesellschaft, Wettbewerb muss zwischen den Medien, Wettbewerb muss zwischen politischen Parteien, Wettbewerb muss zwischen Meinungen entstehen. Daraus wird das Gute besser, daraus entsteht Innovation, daraus …
Klein: Ich meinte jetzt eigentlich eher, ob die deutsche Wirtschaft auch in der Lage wäre, Druck auszuüben, oder ist das gar nicht deren Rolle?
Schockenhoff: Natürlich ist es deren Rolle und die deutschen Wirtschaftsunternehmen sind ja nicht nur wenige große, es sind über 6000 deutsche Unternehmen in Russland tätig, vor allem kleinere und mittelständische Unternehmen, die natürlich darauf angewiesen sind, dass sie dort lebendige, dynamische, neugierige Partner haben. Deshalb ist es wichtig, dass sich die deutsche Wirtschaft auch vor Ort in Russland engagiert, auch in konkreten zivilgesellschaftlichen Projekten.
Klein: Herr Schockenhoff, die Osteuropa-Expertin der Grünen, Marieluise Beck, hat sich diese Woche in der Diskussion im Deutschlandfunk geäußert und sie hat eine Unschärfe in der deutschen Außenpolitik gegenüber Russland beklagt, und wie sie das begründet, das hören wir mal kurz:
O-Ton Marieluise Beck: "Was ich in Deutschland erlebe, ist doch eine gewisse Unschärfe und Unsicherheit in der Beurteilung, womit wir es zu tun haben. Die drückt sich immer dann aus, wenn gesagt wird, wir können unsere Werte nicht auf Russland übertragen. Und das ist dann Demokratie, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, Bürgerrechte, Ähnliches mehr. Das ist ein ganz schwieriger Punkt in der deutschen Außenpolitik, der gefällt dem Kreml …"
Klein: Also die Kritik von Marieluise Beck, dass da immer so ein bisschen relativiert wird, wir können den Russen sozusagen nicht unsere Werte aufdrücken. Sie haben zumindest gesagt, man kann jetzt nicht oder sollte jetzt nicht demonstrativ Kritik üben. Fühlen Sie sich etwas angesprochen von der Kritik durch Frau Beck?
Schockenhoff: Nein, im Gegenteil. Ich teile ihre Aufforderung sehr offen, auch über unterschiedliche Modernisierungskonzepte zu sprechen. Wir werden am 25., 26. April im Auswärtigen Amt eine deutsch-russische Konferenz über die Perspektiven der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit veranstalten. Dabei kommen über 300 Teilnehmer aus Deutschland, aber vor allem eben auch aus Russland. Sie wird eröffnet von Bundesminister Westerwelle, auch der Vorsitzende des Menschenrechtsrates aus Moskau, Herr Fedotow, wird dabei sein. Es ist wichtig, dass wir offen und transparent darüber sprechen, und dass es in Deutschland unterschiedliche Vorstellungen gibt, wie wir mit Russland umgehen sollen, das ist doch ganz normal. Im Gegenteil: Es wäre in einer Demokratie eigenartig, wenn alle genau die gleiche Haltung einnehmen würden. Deswegen ist gerade diese offene Debatte in Deutschland ein Beispiel dafür, dass solche Diskussionen nicht von oben gelenkt sein dürfen, sondern dass sie einfach auch im Wettstreit unterschiedlicher Meinungen stattzufinden haben.
Klein: Der Russland-Koordinator der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff von der CDU, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Schockenhoff, herzlichen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag.
Schockenhoff: Bitte schön, Frau Klein. Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Und darum soll es nach diesem Bericht von Christina Nagel aus Moskau jetzt gehen, im Interview mit Andreas Schockenhoff (CDU), Russland-Koordinator der Bundesregierung. Guten Morgen, Herr Schockenhoff!
Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Frau Klein.
Klein: Wir haben gerade den Originalton von Werner Schulz gehört. Er spricht von einem astreinen Despoten mit Blick auf Putin und findet es nicht verwunderlich, dass der ehemalige KGB-Offizier jetzt ähnliche Methoden anwendet. Muss die Kanzlerin am Wochenende in Hannover ähnlich Klartext reden, oder ist das nur einem Politiker einer deutschen Oppositionspartei vorbehalten?
Schockenhoff: Nein, überhaupt nicht. Wer die Bundeskanzlerin Ende letzten Jahres bei den Regierungskonsultationen in Moskau erlebt hat, der weiß, wie souverän und offen sie solche Dinge anspricht. Und natürlich gehört das zum deutsch-russischen Verhältnis und das Vorgehen gegen deutsche Stiftungen hat den deutsch-russischen Beziehungen geschadet, das ist gar keine Frage. Das Entscheidende aber – und das kam ja in dem Bericht auch gerade deutlich zum Vorschein – ist, dass Putin damit dem eigenen Anspruch schadet, ein modernes wettbewerbsfähiges Land zu sein. Wirtschaftlich kann sich ein Land wie Russland nicht durch Einschüchterung und vertikale Kontrolle steuern lassen. Im Gegenteil: Modernität erfordert Wettbewerb der Ideen, die Freude, Gutes zu verbessern, Kreativität der Menschen, und deshalb ist eine solche Konfrontation zwischen Staat und den Bürgern ein Anschlag zu allererst auf Russlands eigene Zukunftsfähigkeit.
Klein: Herr Schockenhoff, wir gehen gleich noch einige Punkte durch, die Sie genannt haben. Aber noch mal meine Frage: Einen astreinen Despoten wird die Kanzlerin Putin nicht nennen, da muss sie diplomatischer vorgehen?
Schockenhoff: Das ist der Sprachgebrauch, den in anderer Form ihr Vorgänger benutzt hat. Die Kanzlerin hat eine sehr selbstbewusste Art, deutsche Interessen anzusprechen. Es geht dabei nicht um eine zur Schau gestellte Kritik an Russland, sondern es geht darum, dass wir als Partner offen auch Sorgen um die innere Entwicklung Russlands ansprechen. Die Sorge um die Stabilität Russlands ist das Hauptanliegen deutscher Interessen, deutscher und europäischer Russland-Politik, vor allem aber auch deutscher Wirtschaftsinteressen, denn die deutsche Wirtschaft kann ein politisch instabiles und wirtschaftlich kriselndes Russland nicht als Partner wünschen.
Klein: Teilen Sie denn die Analyse, dass es sich bei Putin um einen Despoten handelt, und muss man noch stärker in den Blick nehmen, dass es sich eben um einen ehemaligen KGB-Offizier handelt?
Schockenhoff: Es ist bestimmt dieses Denken, von oben nach unten alles absolut zu kontrollieren, und dieses Denken widerspricht fundamental einer offenen modernen pluralen Gesellschaft. Es ist ein autoritäres Vorgehen, mit dem sich Wettbewerbsfähigkeit und Modernität heute nicht vereinbaren lassen.
Klein: Er besucht jetzt die Hannover-Messe, Russland ist Gastland dabei, Sie haben es angesprochen. Bietet das der deutschen Regierung auch die Möglichkeit, auf diese Weise Druck auszuüben, oder muss man sagen, ganz im Gegenteil: Aus Rücksicht auf wirtschaftliche Interessen wird man sich eben doch etwas vorsichtiger verhalten?
Schockenhoff: Ich glaube, es gibt keinen Gegensatz zwischen wirtschaftlichen Interessen und politischen Interessen, denn wir haben Russland, übrigens die EU auch, eine Modernisierungspartnerschaft angeboten. Dann müssen wir auch offen über den Begriff der Modernisierung reden, denn Russland scheint immer weiter von einem gemeinsamen Modernisierungsverständnis abzurücken. Putin selbst spricht nur noch von Re-Industrialisierung und meint damit Erneuerung der alten Industriestrukturen, die vor allem auf Energieexporte, Rohstoffexporte ausgerichtet sind. Russland hat in der Diversifizierung den Anschluss zu führenden Technologienationen verloren, und deswegen müssen wir darüber sprechen, ob sich Modernisierung gegen die eigene Bevölkerung oder nur mit einer kreativen, mit einer lebendigen eigenen Bevölkerung, die eigene Ideen entwickelt, realisieren lässt. Und deswegen ist ein Gastland auf der Hannover-Messe nicht nur ein Land, das sich selbst präsentiert, sondern das sich selbst immer auch im Wettbewerb zu den Entwicklungen anderer Länder, zu den Produkten, die aus anderen Teilen der Welt kommen, präsentiert, und dort muss dann Russland auch sehen, wo es selbst steht. Russland, das sich in den nächsten Jahren mit einer Reihe politischer und sportlicher Großereignisse präsentieren will, als weltoffener, moderner Staat, vor allem bei den Olympischen Spielen in Sotschi, braucht für die Entwicklung des Landes das aktive Mitwirken seiner Bürger. Deswegen kann die Modernisierung Russlands nur mit und nicht gegen die eigene Gesellschaft gelingen. Darüber zu diskutieren, ist Aufgabe der Bundeskanzlerin. Es ist aber auch Aufgabe der deutschen Wirtschaft, es ist auch Aufgabe der Partner der russischen Wirtschaft, die auf der Hannover-Messe zusammentreffen.
Klein: Soweit der Anspruch und die Forderung, Herr Schockenhoff. Sie selbst haben ja sich sehr, sehr kritisch relativ schnell nach der Verabschiedung dieses NGO-Gesetzes geäußert. Welche Wirkung entfaltet denn derzeit die Kritik aus Deutschland an russischen Verhältnissen?
Schockenhoff: Die russischen betroffenen Organisationen wenden sich an uns und fühlen sich dadurch einigermaßen solidarisch behandelt, denn es kam ja vorher in dem Bericht auch heraus: Die Grundlagen für die Überprüfungen sind eigentlich völlig unklar. Es geht – das ist ganz offensichtlich – vor allem um Verunsicherung und Einschüchterung von zivilgesellschaftlichem Engagement. Deswegen ist es im Interesse der russischen Menschen, die sich ehrenamtlich einsetzen, die von unten nach oben auch eine moderne vielfältige Gesellschaft bauen wollen, dass wir diese Dinge ansprechen. Noch mal: Es geht nicht um eine demonstrative Kritik an Russland; es geht um unser Interesse an einem Russland, das sich politisch und wirtschaftlich modern, rechtsstaatlich und demokratisch entwickelt, und deshalb muss es unter Partnern auch offene und kritische Worte geben, wenn in einer solchen eklatanten Weise das von oben boykottiert wird.
Klein: Sie haben es gerade selbst angesprochen. Sehen Sie auch deutsche Wirtschaftsunternehmen an dieser Stelle in der Verpflichtung und auch in der Verantwortung?
Schockenhoff: Ja selbstverständlich! Gerade die Wirtschaftsunternehmen brauchen doch eine kreative Bevölkerung, brauchen Wettbewerb. Innovation und Modernisierung entsteht nicht durch Dekretierung von oben, sondern entsteht immer durch den Wettstreit der besten Ideen im Wettbewerb, und Wettbewerb ist eben nicht nur zwischen Unternehmen, Wettbewerb muss in der Zivilgesellschaft, Wettbewerb muss zwischen den Medien, Wettbewerb muss zwischen politischen Parteien, Wettbewerb muss zwischen Meinungen entstehen. Daraus wird das Gute besser, daraus entsteht Innovation, daraus …
Klein: Ich meinte jetzt eigentlich eher, ob die deutsche Wirtschaft auch in der Lage wäre, Druck auszuüben, oder ist das gar nicht deren Rolle?
Schockenhoff: Natürlich ist es deren Rolle und die deutschen Wirtschaftsunternehmen sind ja nicht nur wenige große, es sind über 6000 deutsche Unternehmen in Russland tätig, vor allem kleinere und mittelständische Unternehmen, die natürlich darauf angewiesen sind, dass sie dort lebendige, dynamische, neugierige Partner haben. Deshalb ist es wichtig, dass sich die deutsche Wirtschaft auch vor Ort in Russland engagiert, auch in konkreten zivilgesellschaftlichen Projekten.
Klein: Herr Schockenhoff, die Osteuropa-Expertin der Grünen, Marieluise Beck, hat sich diese Woche in der Diskussion im Deutschlandfunk geäußert und sie hat eine Unschärfe in der deutschen Außenpolitik gegenüber Russland beklagt, und wie sie das begründet, das hören wir mal kurz:
O-Ton Marieluise Beck: "Was ich in Deutschland erlebe, ist doch eine gewisse Unschärfe und Unsicherheit in der Beurteilung, womit wir es zu tun haben. Die drückt sich immer dann aus, wenn gesagt wird, wir können unsere Werte nicht auf Russland übertragen. Und das ist dann Demokratie, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, Bürgerrechte, Ähnliches mehr. Das ist ein ganz schwieriger Punkt in der deutschen Außenpolitik, der gefällt dem Kreml …"
Klein: Also die Kritik von Marieluise Beck, dass da immer so ein bisschen relativiert wird, wir können den Russen sozusagen nicht unsere Werte aufdrücken. Sie haben zumindest gesagt, man kann jetzt nicht oder sollte jetzt nicht demonstrativ Kritik üben. Fühlen Sie sich etwas angesprochen von der Kritik durch Frau Beck?
Schockenhoff: Nein, im Gegenteil. Ich teile ihre Aufforderung sehr offen, auch über unterschiedliche Modernisierungskonzepte zu sprechen. Wir werden am 25., 26. April im Auswärtigen Amt eine deutsch-russische Konferenz über die Perspektiven der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit veranstalten. Dabei kommen über 300 Teilnehmer aus Deutschland, aber vor allem eben auch aus Russland. Sie wird eröffnet von Bundesminister Westerwelle, auch der Vorsitzende des Menschenrechtsrates aus Moskau, Herr Fedotow, wird dabei sein. Es ist wichtig, dass wir offen und transparent darüber sprechen, und dass es in Deutschland unterschiedliche Vorstellungen gibt, wie wir mit Russland umgehen sollen, das ist doch ganz normal. Im Gegenteil: Es wäre in einer Demokratie eigenartig, wenn alle genau die gleiche Haltung einnehmen würden. Deswegen ist gerade diese offene Debatte in Deutschland ein Beispiel dafür, dass solche Diskussionen nicht von oben gelenkt sein dürfen, sondern dass sie einfach auch im Wettstreit unterschiedlicher Meinungen stattzufinden haben.
Klein: Der Russland-Koordinator der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff von der CDU, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Schockenhoff, herzlichen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag.
Schockenhoff: Bitte schön, Frau Klein. Auf Wiederhören!
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