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Autostrada della Mafia

Knapp 450 Kilometer sind es auf der E 45 von Neapel nach Reggio di Calabria an der Stiefelspitze. Auf den ersten acht Kilometer zeigt sich die südlichste Autobahn auf dem europäischen Kontinent hochmodern. Danach wird sie seit Jahrzehnten renoviert. Und die N‘drangheta, die kalabrische Mafia, verdient mit.

Von Karl Hoffmann |
    Auf den ersten acht Kilometer zeigt sich die südlichste Autobahn auf dem europäischen Kontinent hochmodern. Glatter, ebener Asphalt, dreispurig durch hellerleuchtete Tunnelröhren, tadellose Fahrbahnmarkierung. Doch nach wenigen Minuten die ersten Hindernisse.

    Streckenweise zweispurig ohne Standstreifen, und schließlich nur noch einspurig. Die erste von Dutzenden von Baustellen.

    Das Autoradio verbreitet die entsprechenden Verkehrswarnungen.

    Vor dem Bau der Autobahn dauerte die Fahrt auf der kurvenreichen Landstraße von Neapel nach Reggio di Calabria zwölf bis 14 Stunden. Dank des kühnen Bauwerks, das auf 20 Kilometer Brücken und durch 50 Kilometern Tunnel den Apennin durchschneidet, reduzierte sich die Fahrzeit auf ein Drittel. Und heute? Meint der Tankwart an der ersten Raststätte bei Battipaglia:

    "Sie versuchen vergeblich, eine Autobahn draus zu machen, das dauert nun schon Jahrzehnte."

    Die ursprüngliche Autobahn war bald zu klein, zu eng, zu gefährlich. Deshalb wird sie seit Jahrzehnten renoviert. Und die N‘drangheta, die kalabrische Mafia, verdient mit, bestätigt Renato Cortese, Polizeichef von Reggio Calabria

    "Die Mafia sichert sich Bauaufträge zu Lasten von Unternehmen, die sich den Bossen nicht beugen wollen. An jedem Meter der Autobahn von Salerno bis Reggio di Calabria will die Mafia mitverdienen."

    Zuletzt Anfang Juni gelang Cortese und seinen Leuten ein großer Wurf: Sie nahmen 52 Mitglieder von mindestens sechs verschiedener Mafiaclans fest, die seit Jahren um die Kontrolle der milliardenschweren Bauarbeiten entlang der Autobahn nach Reggio di Calabria kämpfen. Dabei hat es bereits Dutzende von Morden innerhalb der Clans gegeben. Und natürlich unzählige Erpressungen von Firmen, die sich legal am Bau beteiligen wollen.

    Derzeit konzentrieren sich die Mafiaclans auf den Bauabschnitt 5, ein 35 Kilometer langes Teilstück über das stark zerklüftete Endstück des kalabrischen Apennin. Mit Attentaten, Drohungen und Brandanschlägen auf Baumaschinen hat die ‘Ndrangheta ehrliche Bauunternehmen zu Schutzgeldzahlungen in Höhe von drei Prozent der Bausumme gezwungen oder ganz aus dem Rennen geworfen. Die Mafia liefert auch das Baumaterial, vor allem Zement, zu erhöhten Preisen. Der wurde an manchen Stellen derart verdünnt, dass die Stabilität mancher Neubauten nicht mehr gesichert ist, so die Ermittler. Deshalb gelten selbst auf Neubaustrecken drastische Geschwindigkeitsbeschränkungen.

    Die ‘Ndrangheta verschafft sich dazu auch noch die stillschweigende Duldung in der Bevölkerung, indem sie Arbeitsplätze am Bau vermittelt, ein Segen im italienischen Süden, wo die Arbeitslosigkeit seit geraumer Zeit grassiert.

    Zwar gelingt es der Polizei und der Justiz immer wieder, einzelnen Mafiaclans auf die Spur zu kommen und die Verbrechen am Bau aufzuklären. Die Kehrseite sind aber Beschlagnahmungen und Einstellung der Bauarbeiten auf unbestimmte Zeit. Und vor allem ändert sich grundsätzlich nichts am System, den Kontrollen der Auftragsvergabe. Dass Mafia und Politik in Italien sich dabei immer wieder gegenseitig in die Hände spielen, ist längst ein offenes Geheimnis:

    Auf halber Strecke in den Süden, gleich hinter der Ausfahrt Sibari, liegt eine Raststätte. Der LKW-Fahrer Concetto hat eine kurze Pause eingelegt. Er hat Kirschen geladen, die er noch in der Nacht auf dem Großmarkt in Catania auf Sizilien abliefern muss. Seit fast 40 Jahren quält er sich die A 3 rauf und runter. Schuld an den chaotischen Verhältnissen sind die "ganz oben", sagt er:

    "Der Fisch stinkt zuerst am Kopf, nicht? Eine Bande von Dieben ist das, von korrupten Leuten…"

    Und er deutet mit dem Daumen rückwärts, Richtung Rom, wo die Regierung sitzt.