Archiv

Ava DuVernay
"Ich möchte Filme drehen, bis ich nicht mehr kann"

Das Historiendrama "Selma" über Martin Luther King ist bei den Oscars für den besten Film nominiert. Im Corsogespräch spricht die Regisseurin Ava DuVernay über Rassismus in den USA und in der Filmbranche sowie über ihren Traum, auch im Seniorenalter noch Filme zu drehen.

Ava DuVernay im Gespräch mit Sigrid Fischer |
    Der britische Schauspieler David Oyelowo, die US-Regisseurin Ava DuVernay und der US Schauspiler Colman Domingo auf der Berlinale bei der Aufführung von "Selma"; Foto vom 10. Februar 2015
    Der britische Schauspieler David Oyelowo, die US-Regisseurin Ava DuVernay und der US-Schauspieler Colman Domingo auf der Berlinale bei der Aufführung von "Selma". (AFP / Tobias Schwarz)
    Sigrid Fischer: Das Drehbuch zu Selma hat eine wahre Odyssee hinter sich, mehrere Regisseure waren schon im Gespräch.
    Ava DuVernay: Ich war nicht die erste, zweite, dritte vierte, fünfte oder sechste Wahl, sondern die siebte. Aber ich hab's geschafft.
    Fischer: Da waren ja sehr namhafte Kollegen im Gespräch - Stephen Frears, Michael Mann Spike Lee - Was sprach gegen die Kollegen?
    DuVernay: Es hatte mit dem Budget zu tun. Die anderen sind alle etablierte Regisseure, die wollten mehr Geld als zur Verfügung stand. Ich kam als unabhängige Regisseurin, die schon vorher mit kleinen Budgets gearbeitet hatte, und vielleicht war ich auch flexibler, ich habe das Drehbuch nochmal umgeschrieben, um es dem kleinen Budget anzupassen, ich denke, es hatte viel mit Geld zu tun. Mein letzter Film hat 200.000 Dollar gekostet. Wenn mich jemand fragt, ob ich den Film für 20 Millionen Dollar drehen kann, sag ich; klar kann ich das. Aber wenn Sie Lee Daniels fragen, der zuvor mit 40 Millionen gedreht hat, kann er schwer dahinter zurück. Ich denke, damit hatte es viel zu tun.
    "Der erste Film mit Dr. King als Hauptfigur in 50 Jahren"
    Fischer: Das kleine Budget sieht man dem Film nicht an. Martin Luther King ist eine Ikone, eine wichtige historische Figur, warum wollte das niemand besser finanzieren?
    DuVernay: Weil er ein Schwarzer ist. Und die Geschichte kann ja nur ein schwarzer Schauspieler spielen. Aber uns wird immer und immer wieder gesagt, dass die Welt keine schwarzen Darsteller sehen will. Dass man solche Filme in Übersee nicht verkaufen kann. Und dann kann man nicht mehr als 20 Millionen investieren, damit kommt man nicht weit, man kann sich kaum bewegen, wegen dieser Lüge, dass niemand schwarze Schauspieler und Geschichten sehen will. Das ist ein Teufelskreis. Und in Berlin haben den auf Film auf einmal 1.500 Leute geschaut. Und Standing Ovations gegeben. Und ich sehe ja, wie der Film die Leute angeht. Deshalb weiß ich, dass es eine Lüge ist, dass niemand außerhalb der USA Geschichten über Schwarze sehen will. Und deshalb ist dies auch der erste Film mit Dr. King als Hauptfigur in 50 Jahren. Das muss man sich mal vorstellen. In 50 Jahren. Auch, dass King ein Held war, ist schwierig, in Hollywood sind schwarze Figuren selten Helden, in "12 years a slave" zum Beispiel, oder "Der Butler", das sind dienende Figuren. In "Selma" nicht. Aber egal, der Film hat 50 Jahre gebraucht, er ist da, und die Frage ist, was wird er verändern.
    Fischer: Wenn wir heute immer noch über sowas reden müssen, muss man ja fast fragen, was ist geblieben von Martin Luther Kings Engagement für die Rechte der Schwarzen.
    DuVernay: Na zum Beispiel, dass ich jetzt hier mit Ihnen sitzen kann. Vor 50 Jahren hätte ich nicht mal dieses Hotel betreten dürfen. Und dass ich einen Film drehen konnte. Vor 50 Jahren hätte ich nicht die Kamera nehmen und drehen dürfen. Das alles hat sich verändert.
    Fischer: Sie Ava DuVernay sind Jahrgang 1972, da haben Sie viele Diskriminierungserfahrungen Ihrer Eltern nicht mehr machen müssen.
    DuVernay: Als ich geboren wurde, konnte ich mir Trinkwasser von egal wo herholen. Aber meine Eltern konnten das nicht, und ihre Urgroßmutter war eine Sklavin. Das ist unsere jüngste Geschichte. Und sowas prägt auch die folgenden Generationen, das ist in der DNA meiner Familie verankert, das ist das Erbe meiner Familie, und das hat natürlich Auswirkungen.
    Fischer: Ist Ihre Familie ist stolz auf Sie?
    DuVernay: Die sind sehr stolz auf mich. Ich kann tun und lassen, was ich will. Ich kann bei meiner Mutter in der Küche den Kühlschrank aufmachen, nehmen was ich will, bin eine große Filmregisseurin - Scherz! Mein stolzester Tag war wohl, als ich meine Eltern ins Weiße Haus mitnehmen konnte, zur Vorführung meines Films. Der Präsident und die First Lady hatten uns eingeladen, rechts meine Mutter, links mein Vater - Ach, das war ein großer Tag, ja, sie sind sehr stolz.
    Fischer: Aber von Präsident Obama haben sich ja viele Amerikaner mehr versprochen und sind enttäuscht.
    DuVernay: Das denken die Leute nicht, einige vielleicht, aber er hat viel Zuspruch und viele denken wie ich, dass er großes vollbracht hat, er hat das Gesundheitssystem revolutioniert, hat uns vor dem Wall-Street-Kollaps bewahrt, hat das Einwanderungsrecht reformiert - das sind alles große Schritte. Das wäre bedauerlich, wenn Amerika von ihm enttäuscht wäre, das ist nicht der Fall.
    "Ich hab mich gefreut, dass wir als bester Film nominiert sind"
    Fischer: Ok. Dann kam auch noch die Oscarnominierung für "Selma". Bester Film, aber keine beste Regie, kein bester Hauptdarsteller David Oyelowo, wie war der Morgen der Verkündigung für Sie?
    DuVernay: Ich hab mich gefreut, dass wir als bester Film nominiert sind. Und für den besten Song. Diese Kategorie haben sie ja als erste genannt und ich dachte: Ja! Es geht los. Und dann kamen die technischen Kategorien, dann Regie - ich hab nicht damit gerechnet, für mich ist es okay, dass ich nicht nominiert bin. Aber was mich wirklich traurig gemacht hat, war dass David nicht nominiert ist. Das konnte ich nicht glauben, ich habe mir das so sehr gewünscht für ihn, ich war schockiert und hatte Tränen in den Augen. Als dann noch die Kategorie "Bester Film" kam, konnte ich mich erst gar nicht freuen, später natürlich schon, das ist fantastisch. Aber das mit David tat mir weh, denn ich weiß, dass er eine der besten Darstellungen des Jahres gegeben hat, ich weiß, was er geleistet hat, aber so ist das eben.
    Fischer: Das wäre natürlich auch eine der wenigen Chancen gewesen, eine Regisseurin zu nominieren, die gibt es nicht so oft, deshalb streiten Regisseurinnen auf den großen Festivals wie Berlinale und Cannes für die Quote, Gelder müssten gleich verteilt werden sagen sie, stimmen Sie zu?
    DuVernay: Ja, klar stimme ich zu. Es werden nicht genug Frauen bevollmächtigt, Filme zu drehen, und man ist bevollmächtigt, wenn man das Geld hat, um Filme zu drehen. Aber wenn wir kein Geld kriegen, wie sollen wir dann Filme drehen? Die Lösung für mich ist, unabhängig von den Studios zu drehen mit wenig Geld, das ich auf verschiedenen Wegen besorge. Aber der Kampf dafür läuft bei mir auch sehr anders ab als bei meinen weißen männlichen Kollegen. Die müssen nicht kämpfen. Die können einfach Künstler sein und sich auf ihre kreative Arbeit konzentrieren. Warum so wenig Frauen, warum so wenig weibliche Filme auf Festivals? Das liegt eben daran, dass ihnen niemand die nötigen Mittel dafür gibt. Ja, es ist leider ungleich, aber was sollen Frauen tun? Rumsitzen und warten, bis sich was ändert? Oder andere Wege finden? Für mich und viele meiner Kolleginnen gilt, andere Wege zu finden.
    "Was ich mache, stelle ich alles selbst auf die Beine"
    Fischer: Wenn Selma den Oscar gewinnt und gut läuft, dann kommen vielleicht doch die großen Studios auf Sie zu.
    DuVernay: Nein, das glaube ich nicht. Ich bekomme nicht viele Angebote von dort, was ich mache, stelle ich alles selbst auf die Beine. Oprah Winfrey fragt mich, was ich als Nächstes machen will, sie unterstützt mich, wir sind befreundet. Ich mache einen Film über Hurricane Katrina mit dem gleichen Verleih, der schon meine anderen Filme herausbrachte, ich arbeite bis jetzt mit einer kleinen Gruppe von Leuten zusammen, allzu viele neue Chancen tun sich nicht auf für mich.
    Fischer: I have a dream - ist der historisch legendäre Satz von Martin Luther King. Was ist ihr Traum, Ava DuVernay?
    DuVernay: Dass ich auch im Seniorenalter noch Filme drehe. Ich möchte dann eine graue Afrofrisur haben, und mit dem Krückstock in der Hand rufen: Cut! Action! Ich möchte böse und mürrisch sein, ich möchte Filme drehen, bis ich nicht mehr kann. Das ist mein Traum. Das hat noch keine schwarze Frau bisher getan, mal sehen, ob mir das vergönnt ist.