Archiv

Psychotherapie
Ein Avatar gegen die Angst

Soziale Angst beeinträchtigt in vielen alltäglichen Situationen. Der Leidensdruck ist groß, doch gerade weil Kontakt zu anderen Menschen Stress bedeutet, suchen die Betroffenen nur selten Unterstützung. Könnte ein virtueller Begleiter den Teufelskreis durchbrechen?

Von Magdalena Schmude | 31.01.2022
Eine junge Frau sitzt mit dem Kopf auf den Knien an eine Wand gelehnt.
Eine Laborstudie zeigt, dass virtuelle Begleiter den Alltag bei sozialer Phobie erleichtern kann. (picture alliance / Viktor Gladkov)
Grit Hein ist Psychologin und Professorin für Translationale soziale Neurowissenschaft am Universitätsklinikum Würzburg. Sie beschäftigt sich unter anderem mit Therapiemöglichkeiten für Menschen mit sozialen Phobien. Diese Erkrankungen stellen Betroffene vor besondere Herausforderungen, weil sozial ängstliche Menschen häufig Menschen sind, die einen sehr hohen Leidensdruck haben, die aber aufgrund ihrer sozialen Ängstlichkeit es schwer finden, sich Hilfe zu suchen, weil Hilfe suchen wieder mit sozialen Kontakten zu tun hat."

„Social Buffering“ durch einen Avatar könnte gegen die Angst helfen

Wie könnte man diesen Teufelskreis durchbrechen und den Betroffenen helfen? Eine Idee: Ein virtueller Begleiter, der durch seine Anwesenheit beruhigt, aber selbst keine Angst auslöst. Grit Hein und ihr Team wollten wissen, ob dieser Ansatz funktionieren könnte. Für ihre Studie ließen sie rund 200 Testpersonen einen Fragebogen ausfüllen, mit dem sich einordnen lässt, wie sozial ängstlich jemand ist. Dann spielten sie den Probandinnen und Probanden in zwei verschiedenen Versuchs-Settings Angst auslösende Schreie vor. In einem Setting begleitet  von einer realen Person, im zweiten Setting war stattdessen ein Avatar mit im Raum. Ein Teil der Testpersonen betrat den Raum als Kontrollgruppe ohne Begleitung.
Der Avatar war ein sogenannter Body-Scan einer Person, die die Probandinnen und Probanden nicht kannten, und das war dieselbe Person, die auch in der realen Bedingung anwesend war. Wir haben also eine virtuelle Realität unseres Versuchsraums nachgebaut und in dieser virtuellen Bedingung saß eben dieser virtuelle Avatar in diesem Raum. Man muss sich das so vorstellen, dass aufgrund dieses Body-Scans diese Avatare schon sehr lebensecht heutzutage aussehen. Aber den Probanden und Probandinnen war natürlich vollkommen klar, dass es sich hier um eine virtuelle Person handelt.“
Über die Messung des Hautleitwiderstands konnten Grit Hein und ihr Team objektiv erfassen, ob die jeweilige Begleitung bei den Testpersonen die körperliche Stress-Reaktion veränderte. Außerdem mussten die Probandinnen und Probanden die Wirkung der Angst-auslösenden Geräusche auf einer Zahlenskala bewerten.
Und dann konnten wir vergleichen, wie diese subjektiv erlebte Angst und auch die damit verbundene Veränderung im Hautleitwert sich ändert, im Vergleich zwischen diesen virtuellen und real anwesenden Bedingungen, wo die Person virtuell und real anwesend war. Im Vergleich zu dieser Bedingung, in der sie allein waren.“


Sozial ängstliche Frauen profitieren


Das Ergebnis: Die reine Anwesenheit einer virtuellen Begleitperson konnte die Angstreaktion verringern.

 „Und die Effekte waren eben besonders bei Personen da, die sozial ängstlich sind. Und bei diesen Personen hat die Anwesenheit einer realen Person eben nicht zu dieser Angstreduktion geführt. Das heißt also sozial ängstliche Personen, das sind die Personen, die tatsächlich von dieser virtuellen Anwesenheit profitieren.“

Am stärksten war die Wirkung bei Frauen, die laut ihrer Angaben auf dem Fragebogen sozial ängstlicher sind als der Durchschnitt. Bei Männern ließ sich kein solcher Unterschied feststellen. Ob die Ergebnisse der Studie sich auch auf Personen mit einer diagnostizierten sozialen Phobie übertragen lassen, ist bisher unklar. Und auch, ob die Wirkung eines virtuellen Begleiters auch langfristig erhalten bleibt oder durch Gewöhnung nachlässt, muss noch geklärt werden. Dann, denkt Grit Hein, könnten die Ergebnisse aus der Laborstudie auch in der Praxis helfen.

„Zum einen könnte es zur Weiterentwicklung von Therapien bei Angsterkrankungen beitragen. Wir sehen, dass sozial ängstliche Patienten von virtueller sozialer Anwesenheit profitieren können. Und das sollten wir auf alle Fälle auch im Rahmen unserer Therapien nutzen.