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Ehemaliger israelischer Botschafter
Avi Primor: "Merkels Nahost-Politik war von ihrer DDR-Vergangenheit geprägt“

Angela Merkels Erfahrungen in der DDR erklären ihre Nahost-Politik als Bundeskanzlerin. Davon ist Avi Primor überzeugt, der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland. Besorgt zeigt sich der 86-jährige Diplomat im Deutschlandfunk über die Zukunft des jüdischen Staates.

25.11.2021
    Porträt des ehemaligen israelischen Botschafters in Deutschland und Autor Avi Primor bei der Frankfurter Buchmesse 2013
    Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor. (picture alliance / photothek / Michael Gottschalk)
    Zeitzeugen im Gespräch: Der ehemalige israelische Diplomat Avi Primor
    Die Sendung wird im Deutschlandfunk am 25.11.2021 um 19:15 ausgestrahlt, das Audio können Sie aber jetzt bereits hören.
    Die Nahost-Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist aus Sicht des früheren israelischen Botschafters in Deutschland, Avi Primor, stark von ihrer DDR-Vergangenheit geprägt gewesen. Merkel habe ihm erklärt, dass sie sich nie gegen israelische Interessen wenden würde, sagte Primor im Deutschlandfunk. Zentraler Grund dafür neben dem Holocaust sei ihre Erfahrung in der DDR gewesen. Die Regierung in Ost-Berlin habe nicht nur Propaganda gegen Israel geführt, so Primor. Sie habe palästinensischen Terror unterstützt und Terroristen ausgebildet. Dies habe Merkel weder vergessen noch verziehen.

    Merkel unglücklich über Nahost-Politik, aber loyal

    Primor meinte, die Bundeskanzlerin sei über die israelische Politik im Nahen Osten sehr unglücklich gewesen und habe immer offen gesprochen. Dabei sei die palästinensische Frage das entscheidende bilaterale Problem. Deutschland versuche, die Palästinenser zu unterstützen. Das werde von der israelischen Regierung abgelehnt, wenn nicht regelrecht zerstört. Dennoch habe Merkel Israel bis heute absolut unterstützt, bis hin zum militärischen Bereich.
    Für den früheren Botschafter ist allerdings fraglich, wie die Haltung Deutschlands sich entwickeln wird. Primor meinte, die Zeit vergehe, Israel bedeute insbesondere für die jüngeren Deutschen nicht mehr "die Juden im Holocaust“. Es gebe vielmehr sehr viel Ärger über die Politik in den besetzten Gebieten. Daher komme den Deutschen inzwischen bei Israel die Lage der Palästinenser in den Sinn und die Besatzung. Deshalb wisse er nicht, wie lange die bedingungslose Unterstützung noch halten könne.

    "Israel total von Amerika abhängig“

    Primor hält die europäischen Einflussmöglichkeiten im Nahen Osten für sehr begrenzt. Israel sei von den USA total abhängig, militärisch, diplomatisch, wirtschaftlich, in jedem Bereich. Die Europäer könnten Israel drängen, aber nicht Druck ausüben. Die Amerikaner hingegen könnten dies, wollten es aber nicht, besonders aus innenpolitischen Gründen, betonte Primor. Sollten die USA eines Tages einmal von ihren Einflussmöglichkeiten wirklich Gebrauch machen, dann hätte Israel keine Wahl und müsste nachgeben.

    Zukunft Israels offen

    Primor vertritt die Ansicht, dass sich für Israel entscheidende Zukunftsfragen stellen: Eines Tages werde man die besetzten Gebiete annektieren. Das gelte auch für den Gazastreifen, der nicht alleine leben könne. Dann müssten die betroffenen Palästinenser allerdings die israelische Staatsangehörigkeit bekommen, auch wenn dies Widerstand auslösen werde. Sie würden dann womöglich in der Mehrheit sein. Primor meint, es sei offen, was dann aus Israel werde und ob es noch einen jüdischen Staat geben werde, den das jüdische Volk aus seiner Sicht immer brauchen werde.