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Awacs-Einsatz in der Türkei
"Noch zahlreiche Fragen offen"

Die Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger verlangt von der Bundesregierung weitere Informationen über den geplanten Awacs-Einsatz in der Türkei. Die Regierung habe das Parlament zu spät und nur mit einem "anderthalbseitigen Wisch" über die geplante Überwachung des Luftraums über der Türkei informiert, sagte Brugger im Deutschlandfunk.

Agnieszka Brugger im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) spricht im Bundestag in Berlin.
    Die Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger im Bundestag. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Es fehlten etwa Antworten darauf, wo genau geflogen werde und wie die Regierung sicherstellen wolle, dass keine Gefahr bestehe. Zudem herrsche in Berlin ein "lautes Schweigen" über die problematischen Entwicklungen in der Türkei.
    Die Grünen-Politikerin wies zugleich Rufe nach mehr Soldaten für die Bundeswehr zurück. Bei der deutschen Armee mangele es an Planung und guter Ausgabenpolitik. Deshalb würden Forderungen nach einer Aufstockung des Personals nicht weiterhelfen. Im Grunde sei die Bundeswehrreform gescheitert. Man habe jetzt von allem etwas, aber von unzureichender Quantität und Qualität. "Hier muss man an die Wurzel des Problems gehen, das wird man mit mehr Soldaten nicht beheben können", betonte Brugger.

    Jasper Barenberg: Über 17 Jahre sogenannte Awacs-Aufklärungsflugzeuge verfügt die NATO. Die ausgeklügelte Radartechnik an Bord der Maschine macht es möglich, über hunderte von Kilometern ein präzises Bild eines Luftraums zu erstellen. Genau diese Fähigkeit soll jetzt in der Türkei eingesetzt werden, um Ankara dabei zu helfen, seinen Luftraum zu überwachen, um Zwischenfälle wie den Abschuss eines russischen Jets künftig zu vermeiden, auch das wohl ein Ziel dieses Einsatzes. Deshalb werden einige der Awacs-Maschinen in die Türkei verlegt, vorübergehend, und damit auch die Bundeswehrsoldaten, die Teil der multinationalen Besatzung sind. Ein eigenes Mandat hält die Bundesregierung nicht für erforderlich.
    Volker Finthammer in unserem Hauptstadtstudio zur Kritik an dem Einsatz.
    Vielen Dank für diese Information nach Berlin, unser Hauptstadtstudio, an Volker Finthammer, und mitgehört hat Agnieszka Brugger, die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Schönen guten Tag!
    Agnieszka Brugger: Guten Tag, Herr Barenberg!
    Barenberg: Frau Brugger, lassen Sie uns zuerst über die Awacs-Maschinen sprechen und den geplanten Einsatz im Luftraum über der Türkei. Ein möglichst genaues Bild der Lage über den Luftraum des NATO-Partners zu bekommen, wie wichtig ist das gerade im Moment?
    Brugger: Natürlich ist es immer wichtig, eine Lageeinschätzung zu haben, und man muss auch Ängste von NATO-Partner ernst nehmen, dafür ist die NATO da, trotzdem habe ich hier eine sehr große Kritik an der Bundesregierung, weil die Informationen an das Parlament an dieser Stelle sehr, sehr dürftig waren - ein anderthalbseitiger Wisch kurz vor der Weihnachtspause, und es sind noch zahlreiche Fragen offen, die für uns eine konkrete Bewertung dieses Einsatzes in diesem Fall in der Türkei dann sehr schwierig macht.
    Kein guter Umgang mit dem Parlament
    Barenberg: Sie sprechen über den Brief, der am 18.12. vom Auswärtigen Amt und vom Verteidigungsministerium an die Bundestagsabgeordneten gegangen ist. Anderthalb Seiten können ja auch viele wichtige Informationen enthalten. Was fehlt Ihnen da?
    Brugger: Mir fehlt zum Beispiel eine Antwort auf die Frage, wo genau geflogen wird und wie die Bundesregierung sicher stellt, dass hier keine konkrete Gefahr besteht, dass es eine Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen gibt. Es geht auch um die Frage, was wird dann genau mit den Daten gemacht, und wenn ich dann sehe, und das steht so in dem Brief, dass seit Oktober in der NATO darüber diskutiert wird, dann hätte es zu einem guten Umgang mit dem Parlament gehört, uns auch hier frühzeitig zu informieren und genau darzulegen, was gemacht wird. Gleichzeitig stört mich an dieser Stelle natürlich auch, dass die Bundesregierung ziemlich laut schweigt, wenn es auch um die problematischen innen- und außenpolitischen Entwicklungen in der Türkei geht. Ich finde, so etwas muss man dann auch im Zusammenhang miteinander diskutieren.
    Barenberg: Von der Linkspartei ist ja zu hören, von der Fraktionschefin Sahra Wagenknecht beispielsweise, ein solcher NATO-Einsatz zur Verstärkung der türkischen Luftabwehr sei hochgefährlich. Sehen Sie das auch so?
    Brugger: Das wird dann sehr genau davon abhängen, wo genau geflogen wird, wie groß die Gefahr ist, dass es zu einem möglichen Beschuss kommen könnte, und das sind alles Fragen, die dieser Brief der Bundesregierung an das Parlament überhaupt nicht beantwortet, und da werden wir sehr genau hinschauen, denn auch das ist ein sehr relevanter Punkt, wenn es um die Frage geht, ob die Bundesregierung hier den Bundestag um ein Mandat hätte fragen müssen.
    Bundeswehr mangelt es an guter Planung und kluger Aufgabenkritik
    Barenberg: Nun ist das allgemeine Verständnis, dass diese Maschinen in sehr großer Höhe über dem Luftraum der Türkei, also über Bündnisgebiet fliegen wird - unter welchen Umständen könnten Sie sich denn einen Beschuss solcher Maschinen vorstellen? Was befürchten Sie da?
    Brugger: Das wird man sich, wie gesagt, sehr genau im Detail anschauen müssen, wo geflogen wird. Je nachdem wie nah man an Syrien zum Beispiel fliegt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit oder senkt sie sich, aber ich würde diesen Einsatz vielleicht ein bisschen mit der Mandatierung der Patriots in der Türkei, die Deutschland dort ja auch über Jahre stationiert hatte, vergleichen. Auch da war klar, es besteht eigentlich keine große Gefahr, dass diese Systeme, so wie sie dann am Ende stationiert wurden, hier in Kampfhandlungen involviert werden. Trotzdem hat die Bundesregierung hier den Bundestag um ein Mandat gebeten und im Zweifel für das Parlament entschieden. Man kann es nicht eins zu eins vergleichen, aber diese Situation ist doch sehr ähnlich, und deshalb haben wir hier nicht nur viele offene Fragen, sondern finden natürlich auch, dass wenn man so etwas macht, man auch gut mit dem Parlament umgehen muss, und davon kann man auch bei dieser Informationslage nicht wirklich sprechen.
    Barenberg: Mit anderen Worten, Sie glauben selbst nicht so recht, dass es ein Mandat zwingend notwendig wäre für den Bundestag, aber Sie hielten es für politisch klug, ein solches Mandat einzuholen.
    Brugger: Ob es notwendig ist oder nicht, müssen wir dann noch mal im Einzelfall prüfen, wenn wir mehr Information haben, aber auf jeden Fall gehört es, finde ich, zum guten Umgang mit dem Parlament dazu, dass man frühzeitig und vollumfänglich informiert.
    Barenberg: Zu dem anderen Thema, über das ich gerne mit Ihnen sprechen würde, zur Situation der Bundeswehrsoldaten insgesamt, was das Personal angeht, auch die Ausrüstung natürlich, da hat der Historiker Michael Wolffsohn - unser Korrespondent hat es gerade angesprochen - heute davon geredet, die Bundeswehr sei insgesamt überfordert und unterfinanziert. Wäre das auch Ihr Urteil?
    Brugger: Das wäre nicht mein Urteil. Natürlich gibt es Probleme, die haben wir gerade im letzten Jahr ausführlich diskutiert, aber wenn Personal, Material und Finanzen nicht effektiv und sinnvoll eingesetzt werden, dann hilft es auch ganz sicher nicht, immer nur nach mehr von allem zu rufen. Aus meiner Sicht mangelt es vor allem an einer guten Planung und an einer klugen Aufgabenkritik, die dann auch für die Zukunft die sicherheitspolitischen Schwerpunkte festlegt.
    "Bundeswehrreform ist gescheitert"
    Barenberg: Das heißt, Ihnen ist noch nicht ganz klar, was die Bundeswehr in Zukunft wird leisten sollen.
    Brugger: Ich finde, wir haben mit dem Weißbuchprozess eine sehr wichtige Diskussion vor uns, wo es darum geht, was die zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr sein sollen. Dazu gehört für mich auch ganz klar eine sehr detaillierte Kritik der Auslandseinsätze der letzten Jahre und auch die Entscheidung, was wollen wir schwerpunktmäßig auch in Abstimmung mit den europäischen Partnern machen. Jetzt einfach nur nach mehr Personal zu rufen, ohne genau sagen zu können, wofür, ist dann doch eher die Produktion von leeren Schlagzeilen, insbesondere, wenn man keine Antwort darauf hat, wo denn vor dem Hintergrund des demografischen Wandels eigentlich das qualifizierte Personal langfristig kommen soll.
    Barenberg: Was also halten Sie davon, wenn der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels von der SPD davon spricht, dass es mindestens 7.000 weitere Soldaten, Frauen und Männer, nehme ich mal an, meint er, nötig seien, und der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes auch davon spricht, zwischen 5.000 und 10.000 mehr Soldaten an Verstärkung seien absolut notwendig für das, was im Moment schon geleistet wird. Es sind ja insgesamt 17 Auslandseinsätze.
    Brugger: Ja, wir waren natürlich in den vergangenen Jahren auch bei einer Situation, wo an die 10.000 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz waren, als der Afghanistan-Einsatz personell auf seiner Höchstphase war. Man muss hier sehr genau, glaube ich, im Detail hinschauen, was soll die Bundeswehr in Zukunft leisten, wie stimmt man das mit den europäischen Partnern ab, und dann wird man vielleicht auch feststellen, da gibt es Fähigkeiten, die man verstärken muss, und dann muss man aber auch im Gegenzug bereit sein, auf bestimmte Fähigkeiten zu verzichten. Die Probleme, die wir jetzt diskutieren, haben aus meiner Sicht nicht so viel mit mangelndem Personal zu tun, sondern damit, dass die ganze Bundeswehrreform, die Guttenberg begonnen hat und die unter de Maizière dann vollzogen wurde, gescheitert ist, dass dieses Prinzip Breite vor Tiefe dazu führt, dass wir von allem irgendwie etwas haben, aber oft eben in unzureichender Quantität oder mangelhafter Qualität, und deshalb muss man hier an die Wurzel des Problems gehen, und man wird diese Probleme auch nicht mit ein paar Tausend Soldatinnen und Soldaten mehr lösen können.
    Barenberg: Sagt Agnieszka Brugger, die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, heute hier live im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Brugger! Schönen Tag!
    Brugger: Sehr gerne! Ebenso!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.