In der Wirtschaftswelt spricht man von einer feindlichen Übernahme, wenn eine Firma eine andere ohne das Einverständnis der Firmenleitung kauft. Um das zu tun, braucht man enorm viel Geld, und wenn man nicht genug Eigenkapital hat, dann leiht man es sich mit riskanten Prognosen auf zukünftige Aktiengewinne und benutzt als Sicherheit die Profite der "Opfer"-Firma.
In Ayad Akhtars "Junk" geht es genau um eine solche fremdfinanzierte Übernahme mit Bankern, Firmenchefs, Rechtsanwälten, Analysten, Journalisten, Maklern und den Agenten der Börsenaufsicht. Im Zentrum dieses wahren Finanzepos um den Paradigmenwechsel in der Finanzbranche der 80er-Jahre, als der sogenannte Finanzmarktkapitalismus geboren wurde, steht Investment-Banker Robert Merkin, den das Times Magazine auf der Titelseite schon zum "Alchemisten Amerikas" gekürt hat.
"Wir hatten keine Wehrpflicht mehr und jeder eine Kreditkarte"
Denn er hat den Stein der Weisen entdeckt, indem er Schulden zu einem "asset", einem Vermögenswert, erklärt. Aus Nichts entsteht etwas Wertvolles, je höher die Schulden, umso höher die Chance auf eine rentable Tilgung. Das Evangelium der "Junk bonds", der hochriskanten Schrottanleihen war geschrieben, das jedem, der bereit war das Risiko einzugehen, enormen Reichtum versprach. Geld wurde heilig und der freie Markt sein unangefochtener Gott. Ayad Akhtar erklärt das Phänomen so:
"Was ist in den 80ern passiert? Wir hatten keine Wehrpflicht mehr und jeder bekam eine Kreditkarte. Anstatt einer verpflichtenden Begegnung mit dem Tod, gab es eine Art Erlösung in die grenzenlose Fülle, durch Kredit. Ich glaube, dass das ein fundamentaler psychischer Wandel im amerikanischen Bewusstsein ist."
Auf einer schicken spiegelglatten Bühne mit mehreren einzeln beleuchtbaren Segmenten auf zwei Etagen, mit deren Hilfe man blitzschnell die vielen Telefonsituationen des Stückes herstellen kann, vollzieht sich die Tragödie des Stahlherstellers Thomas Everson, der sein Familienunternehmen vor den Kredithaien der Junk Bonds beschützen will.
Über 70 Szenen in ermüdendem Sprechtempo
Regiealtmeister Doug Hughes bewegt sein 23-köpfiges Ensemble wie ein Schachgroßmeister mit großer Präzision und Schnelligkeit. Er lässt bis auf wenige Ausnahmen seine Spieler direkt ins Publikum reden wie bei einem Königsdrama von Shakespeare. Denn auch in "Junk" verbergen sich hinter der oft abstrakten Begrifflichkeit Verrat, Eifersucht, Hass und Liebe.
Man braucht allerdings in den ersten zwei Akten viel Gelduld, um die abstrakten Konzepte des Finanzjargons nachvollziehen zu können, oft ermüdet das schnelle Sprechtempo der Schauspieler bei den über 70 Szenen. Doch wenn Robert Merkin, dessen Name und Philosophie an den realen Banker Bob Mirkin angelehnt ist, voller Rachegelüste davon spricht, dass die Zeit, in der Gott nur Amerika gesegnet hat, endgültig vorbei ist, oder wenn sich Everson nach verlorenerer Schlacht das Leben nimmt, dann öffnet sich auch für den Zuschauer der Abgrund der neuen Religion.
Das Schweigen einer Journalistin, die das Ganze auffliegen lassen könnte, wird mit drei Millionen Dollar erkauft – sie tut das, was jeder tun würde, sagt sie. Sie nimmt das Geld und schreibt nie wieder. Wie käuflich sind wir?, fragt das Stück eine Gesellschaft, die keinen anderen Wert als Reichtum und Wohlstand mehr zu kennen scheint.
Kapitalismusanalyse, nicht nur -kritik
"Junk" ist also sicher ein wichtiges Stück, denn es polemisiert nicht einfach gegen die Mechanismen eines rücksichtslosen Kapitalismus, sondern zeigt auch wie tief der Glaube an die Allmacht des Geldes im Individuum verwurzelt ist. Oder wie Ayad Akhtar es formuliert:
"Es ist einfach, Kapitalismus zu kritisieren, und noch einfacher, seine Vorteile zu genießen. Das ist der Widerspruch, in dem wir alle gefangen sind."