Vor einem der Prüfungsbüros der Goethe-Universität Frankfurt wartet Oliver Kraft: Lehramtsstudent im ersten Semester. Vor Weihnachten will er noch die Note seiner letzten Präsentation erfahren. Zum Glück, sagt er, konnte er davor persönlich mit seiner Dozentin sprechen:
"In der Präsentation war jetzt der Fokus auf dem theoretischen Teil und ich hätte es ganz anders gemacht. Ich hätte versucht, so etwas Interaktives zu machen. Aber wenn man in einer Vorlesung sitzt mit 300 Leuten, kann ich nicht einschätzen, was die Dozenten von einem Abverlangen."
Obligatorische Sprechstunden-Termine stehen deswegen ganz oben auf seiner Wunschliste. Zu oft seien die Türen der Dozenten verschlossen. Professor Andreas Nölke wünscht sich eher eine Veränderung in der Studienorganisation. Sieben Jahre lang hat er in den Niederlanden doziert und empfindet hier in Deutschland vergleichsweise einige Abläufe unnötig kompliziert:
"Wir haben zum Beispiel ein vollkommen veraltetes Anmeldesystem zu Prüfungen, wo die Studierenden mit so Formularen von Sekretariat zu Sekretariat laufen. In Amsterdam hab ich meine Noten einfach in ein Spreadsheet eingetragen und ans Prüfungsamt geschickt. Das spart den Sekretariaten und den Studierenden unglaubliche Zeit."
Vielen fehlt das Durchhaltevermögen
Zeit, die Sun Yoon hätte gut gebrauchen können. Die 26-Jährige hat ihren Bachelor in Sinologie erst zwei Semester nach Regelstudienzeit abgeschlossen. Der Grund: Sie musste arbeiten, weil ihre Eltern sie finanziell nicht unterstützen konnten. Für die Miete ihrer 20qm-Wohnung, Essen, Bücher und Kleidung hat sie vier Jahre lang neben ihrem Studium gejobbt, als Bäckereiverkäuferin.
"Ich hätte zwei Wünsche. Erstens: günstigere Wohnungen für Studenten. Und zweitens: Viele Studenten arbeiten meistens in der Gastronomie, also nicht Sachen, wo sie ihre Fähigkeiten mehr rausbringen können, entwickeln können. Und das find ich schade, dass sie nicht auch als Studenten so viele Chancen auf dem Arbeitsmarkt bekommen."
Mehr Zeit für das Studium
Zum erfolgreichen Studienabschluss fehle jedoch vielen das Durchhaltevermögen, sagt Patricia Knoll, Masterstudentin und Tutorin. Immer mehr Studenten würden glauben: Der Lernstoff an der Hochschule würde ihnen genauso aufbereitet werden wie in der Schule:
"Aber da bist du an der falschen Adresse. Studium bedeutet eben auch Eigenständigkeit. Zum Beispiel, dass eben nicht mehr Wissen abgeklopft wird, sondern dass man vielleicht daran arbeitet, das Weiterdenken zu fordern."
Bezahlbare Mieten und bessere Jobs
Dafür sieht sie die Pflicht bereits bei den Schulen. Christian Marusczyk, Politik-Student im 8. Semester, sagt hingegen, die Studierenden seien selbst dafür verantwortlich, ihr kritisches Denken zu fördern. Er wünscht sich deshalb von seinen Kommilitonen: mehr Beteiligung an Lesezirkeln anstatt nur Credit-Points hinterherzujagen. Und von den Kultusministerien wünscht er sich:
"Dass tatsächlich mal wieder faktisches Wissen verbreitet und reflektiert wird und eben nicht alles darauf ausgerichtet ist, wie man sich selbst dann später am Arbeitsmarkt verwerten kann und sollte und müsste."
Fazit: Viele wünschen sich mehr Zeit fürs Studium. Denn es sei doch weit mehr als nur Lernen nach Lehrplan- sagt auch Iris Poller, Mutter zweier Kinder:
"Bachelor und Master: Das ist eher eine Produktion von Arbeitskräften als auch eine Menschwerdung- und Entwicklung. Also ich finde den Kontakt zur Wirtschaft immer gut, aber wenn ich das Gefühl habe, das ganze Curriculum wird irgendwie von Pharmakonzernen und auch Wirtschaft gedeckt, dann macht mich das irgendwie unglücklich."