"Annette würde sich ein bisschen um dich kümmern, gesehen haben wir jetzt erstmal alles und jetzt könntet ihr was Handwerkliches machen, weil jetzt ist noch Vorbereitungszeit, wo wir noch nicht die spektakulären Sachen machen, sondern die normale Arbeit."
"Wir können ja mal ein paar Knoten knüpfen in eine Perücke. Ein paar Haarknoten."
"Das ist das Grundhandwerk, weil Perücken brauchen wir immer. Kann man sich gut die Finger dran brechen beim ersten Mal. Mal sehen", sagt Chefmaskenbildner Tobias Barthel und überlässt mich augenzwinkernd seiner Kollegin Annette Becker.
Mit ihr stehe ich zwischen Perückenköpfen, Puderquasten, Farbtiegeln. Bis die Tänzer und Choristen für Dmitri Schostakowitschs Oper "Die Nase" ausstaffiert werden, ist Zeit für eine kleine Übungsrunde für die Praktikantin.
Geduld beim Perückenknüpfen
Auf einem Tisch steht ein Perückenkopf mit hellem Tüll. Schräg darüber eine beleuchtete, fast tellergroße Lupe. Ohne sie ließen sich die feinen Maschen kaum erkennen. Annette Becker holt eine dünne Knüpfnadel aus einer Schachtel.
"Die gibt’s in verschiedenen Stärken. Die hat einen kleinen Widerhaken, der sollte möglichst nicht unter die Haut geraten. Also schön festhalten. Soll ich mal zeigen kurz?"
Geschickt zieht die Maskenbildnerin zwei, drei helle Haare aus einem Bündel. Mit bloßem Auge kaum zu erkennen.
"Man nimmt ein paar Haare, legt eine Schlaufe um den Finger, ein bisschen fächerartig auseinander und dann geht man mit der Knüpfnadel, mit diesem Widerhaken durch die Masche. Es ist wie Häkeln eigentlich."
Jetzt bin ich also dran. Annette Becker reicht mir ein paar Haare. Schlaufe legen, Nadel durch die Tüllmasche führen, nicht mit dem Widerhaken verheddern, Haare mit der Spitze erwischen … und schon vorbei. Die Haare sind mir aus den Fingern gerutscht. Zweiter Versuch. Diesmal klappt es zwar schon etwas besser. Im Ernstfall eine Perücke in 40 bis 80 Stunden bühnenreif herzustellen - unvorstellbar. Ich lerne: Perückenknüpfen ist der erste Härtetest für Praktikanten in Sachen Geduld und Feinmotorik. Kurzer Blick auf die Uhr. Zeit für eine zweite kleine Übung. Auf einem Ständer schiebt Annette Becker einen Perückenkopf mit langem Haar vor einen der vielen Spiegel.
"Wollen sie einen Knoten oder eine Banane probieren?"
"Ich glaube, ein Knoten ist einfacher."
"Ok, fangen wir damit an. Einmal das Haar schön sauber kämmen. Wir fassen das Haar zusammen, dann nimmt man Haarklemmen, legt die rundherum um dieses Gummi und steckt das fest."
Alles muss festsitzen
Unzählige Haarklemmen und -nadeln steckt Annette Becker in den Dutt, auf dass später, auf der Bühne, nichts auseinanderfliegt.
"Ballettfrisuren ganz wichtig. Die Damen möchten es auch ganz eng und fest am Kopf haben und sie sind wirklich da sehr unempfindlich. Ich möchte nicht auf der Seitenbühne stehen, wenn sie sich öffnet."
Ich zupfe und hantiere am Perückenkopf herum. Klappt ganz gut. Der Dutt wird in passabler Zeit fertig. Ob er dem Ernstfall standhalten würde, kann ich nicht garantieren. Aber Annette Becker scheint zufrieden.
"Sieht so aus, als könnte es halten."
"Ja, ist doch wunderbar. Gratuliere."
Meine Übe-Stunde ist beendet. Für Annette Becker und ihre Kolleginnen und Kollegen geht es jetzt los. In zwei Stunden hebt sich der Vorhang für die bizarre Barrie Kosky-Inszenierung von Schostakowitschs frühem Geniestreich "Die Nase". Worauf es bei ihrer Arbeit gleich vor allem ankommt?
"Dass die Nasen gut halten und bei den Tänzern die Perücken."
Schon für die ersten Szenen haben die Maskenbildnerinnen alle Hände voll zu tun. Für Thérèse Kleber heißt das, vier Chordamen, einen Tänzer in zwei Stunden.
"Das ist Rock’n’Roll. Weil das Make-up doch schon sehr aufwändig ist."
Leidensfähigkeit bei den Tänzern gefragt
Vorsichtig stupse ich eine der Nasen an, die ordentlich aneinandergereiht auf dem Schminktisch darauf warten, ins Gesicht ihrer jeweiligen Besitzer zu wandern. Wabbelig, fleischfarben, wie aus einem Scherzartikel-Geschäft, dreimal so groß wie eine normale Nase. Ganz wichtig: Die echte Nase darf auf keinen Fall vorher geschminkt werden. Sonst hält der Kleber nicht. Eine Chorsängerin rümpft die Nase. Das Exemplar aus Gummimilch ist nicht ihre Sache.
"Die Nase riecht schrecklich. Das ist das erste, was ich ausziehe, sobald der Vorhang gefallen ist."
Eine gewisse Leidensfähigkeit brauchen auch die Tänzer, wenn ihnen Türme aus dicken geflochtenen Zöpfen aufgesetzt werden. Hunter Jacques nimmt es gelassen.
"Mega bequem ist das nicht, aber für mich ist es wichtig, dass sich die Perücke auf der Bühne sicher anfühlt, weil dann kann man richtig austanzen."
Tanzen mit einem schweren Turm auf dem Kopf. Nicht gerade leicht, stelle ich mir vor.
"Ja, vor allem, weil sie hier so hoch ist, das wackelt ganz schnell. Aber, weil wir auf einer schrägen Bühne tanzen, ist das Gewicht ohnehin komisch."
"Ist auch warm, so eine Perücke."
"Ja, mit Bühnenlicht und wir haben auch einen Pelzmantel dazu. Das ist schon richtig warm auf der Bühne."
Auf der Bühne die Tänzer, Backstage die Maskenbildner in Aktion
Mir bricht schon bei der bloßen Vorstellung der Schweiß aus. Aber für körperliche Befindlichkeit ist keine Zeit. Die Akteure strömen zur Bühne. Die Tänzer grell geschminkt, mit großen Nasen, Perückenbergen, Strapsen, schillernden Korsagen, hohen Plateau-Schuhen. Noch ein paar Dehnübungen, dann stürmen sie mit lautem Tamtam die Bühne.
Während sich die Tänzer verausgaben, legen Backstage die Kolleginnen aus der Maske alles bereit für den großen Umzug. Die Tänzer rennen von der Bühne, schweißnass, außer Atem. Strapse und Korsage aus, weiße Hemden, dunkle Hosen, schwere Uniformjacken an. Dazwischen hohe Perücken abziehen, flache Perücken aufziehen, Bärte ankleben. Auf Fahrräder schwingen, die an runden Tischen montiert sind, und auf die Bühne radeln. Alles in wenigen Minuten. Als Praktikantin schaue ich bloß zu, dass ich niemandem im Weg stehe.
Ende der Vorstellung, langanhaltender Applaus. Lachend und schwatzend kommen Sänger und Tänzer von der Bühne. Eine beeindruckend karnevaleske Revue. Nasen und Perücken haben selbstverständlich gehalten. Mit roten Pappnasen und billigen Industrieperücken, wie ich sie als waschechte Kölnerin bisher aus der fünften Jahreszeit kannte, hat die Arbeit der Maske an der Komischen Oper Berlin selbstverständlich nichts zu tun. Selbst knüpfen werde ich meine Perücke allerdings auch künftig nicht, wenn im nächsten Februar die Kölner Straßen wieder zur großen Bühne für groteskes Theater werden. Das überlasse ich gerne den Profis.