FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke hat gute Laune. Sei es, weil sich der Landtag von Baden-Württemberg vor einer halben Stunde ausnahmsweise einmal einig war. Sei es, weil vor zehn Minuten alle Abgeordneten gemeinsam die Kerzen am Landtagsweihnachtsbaum angezündet haben. Jedenfalls kommt der große Mann mit leicht ergrautem Haar fast heiter zu unserem Gespräch über Stefan Mappus. Einen Mann, der für die meisten Baden-Württemberger inzwischen eine Unperson ist. Für Rülke allerdings nicht:
"Ich habe aber nach wie vor keinerlei Hemmungen davor und es gibt keine Gründe dafür, sich mit ihm persönlich abends mit hinzusetzen, Bier und Wein zu trinken und uns nach wie vor vertrauensvoll und offen auszutauschen."
Eine Freundschaft. Nicht zu eng, aber doch stetig. Stefan Mappus, CDU, war 15 Monate lang Ministerpräsident von Baden-Württemberg und hat eine verheerende Bilanz hinterlassen: erst der fragwürdige ENBW-Deal und jetzt auch noch die vielen neuen Fragen, ob er nicht doch für den Schwarzen Donnerstag, den Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten verantwortlich ist, bei dem am 30. September 2010 mehr als 140 Menschen durch Wasserwerfer und Pfefferspray der Polizei verletzt wurden. Mappus eigene Partei, die CDU, ist längst auf Distanz zu ihm gegangen. FDP-Mann Rülke allerdings schätzt seinen Ex-Kollegen persönlich noch immer und er hält Kontakt.
"Wir hatten gemeinsame Anfänge in der Kommunalpolitik in Pforzheim und im Enzkreis. Wir waren viele Jahre beide Kreisvorsitzende in der Region, wir waren parallel Abgeordnete, wir waren parallel Fraktionsvorsitzende und wir haben auch als Ministerpräsident und Fraktionsvorsitzender einer Regierungsfraktion gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet."
Und auch in ihrem Charakter sind viele Gemeinsamkeiten auszumachen. Als Politiker teilen sie beide gerne aus. Zum Beispiel gegen die Grünen. Mappus im November 2010 auf einem CDU-Bundesparteitag.
"Vor allem die Grünen saugen zurzeit förmlich jeden Protest auf. Sie laufen durchs Land, sie sammeln überall die Stimmungen und Stimmen von Unzufriedenen auf und sind fast immer nur dagegen."
Oder Rülke vor einem Jahr im Landtag von Baden-Württemberg. Genüsslich warf er der Landesregierung Versagen in Sachen Haushaltsführung vor.
"Sie machen eine Haushaltspolitik in Baden-Württemberg, die genauso schlicht ist, wie sie jahrelang in Griechenland war. Die Realität ist: Winfriedos Kretschmannakis führt Baden-Württemberg in den Ruin. So sieht es aus."
Allerdings gibt es auch deutliche Unterschiede zwischen beiden. Zunächst ihr Hintergrund: Rülke hat Deutsch, Geschichte, Politik und Soziologie studiert, ist Lehrer und kann auf eine solide humanistische Bildung zurückgreifen. Mappus hingegen ist Diplom-Ökonom und hat bei Siemens Telefonanlagen verkauft, bis er in die Politik wechselte. Anders als Mappus hat Rülke immer wieder politische Niederlagen einstecken müssen, auch weil er in der FDP ist.
Ganz anders sei das bei Mappus gelaufen.
"Stefan Mappus ist über viele Jahre hinweg immer alles politisch gelungen. Die Gefahren, die Anfechtungen der Politik, das Risiko des Scheiterns, auch das Erlebnis von Niederlagen hat mich – glaube ich – sehr viel mehr geprägt als ihn und insofern habe ich sicher ein anderes Verhältnis zum Einstecken entwickelt und in vielleicht auch bei manchen politischen Projekten in der Umsetzung deutlich vorsichtiger gewesen."
Trotz aller Freundschaft, ein Riss lässt sich so schnell offenbar nicht mehr kitten. Der kam vor drei Jahren, als das Land Baden-Württemberg die ENBW kaufte. Bis dahin wurde Rülke – als FDP-Fraktionschef in alle wichtigen Entscheidungen der schwarz-gelben Koalition einbezogen.
"Ich konnte mich immer darauf verlassen, dass das, was ich mit ihm vereinbare, auch eingehalten wird. Er hat mich nie hinters Licht geführt. Er hat allerdings diesen ENBW-Deal gemacht, ohne mich zu konsultieren, vermutlich, weil er befürchtet hat, dass sonst das Ganze an mir scheitert. Er kannte mich ja."
Zu aller Freundschaft ist also seitdem auch ein gerüttelt Maß an offener Kritik gekommen. Über den ENBW-Deal aber auch über das aktuelle Thema: die Frage, ob Mappus doch politischen Einfluss auf den verheerenden Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten am Schwarzen Donnerstag genommen hat.
"Er hat sicher Fehler gemacht. Es hat sicherlich bei seinem Regierungsmanagement Schwachstellen gegeben und von daher ist es auch nicht falsch, diese Dinge aufzuarbeiten."
Und dennoch. Derzeit sei eine Hetzjagd derzeit im Gange gegen Mappus im Gange, sagt der FDP-Politiker. Er kritisiert sie als unangemessen und - da bleibt er sich treu – fragt laut, ob sie den Grünen in Baden-Württemberg nicht dazu dient, von den eigenen Problemen abzulenken:
"Auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, dass man im Vergleich zu manchen anderen Dingen, die wir in Deutschland haben, ich will nur mal das Beispiel Hoeness und Steuerhinterziehung nehmen, bei ihm eine Hetzjagd erleben, einen Versuch, eine Person zu kriminalisieren die über das Ziel hinausschießt."
Am Ende redet Rülke von einer Freundschaft mit Mappus, will aber nicht von einer Männerfreundschaft zwischen Stefan Mappus und ihm reden. Man habe sich vertraut:
"Wir konnten gemeinsam hin und wieder Freizeit gestalten, wir konnten uns durchaus haben uns über dieselben Witze oder Sachverhalte amüsieren, aber wir wussten natürlich immer, dass wir jeweils unsere eigenen Interessen haben."
Und eines fällt auf: Der Germanist Rülke benutzt die Vergangenheitsform, wenn er über seine Freundschaft mit Mappus redet. Ein Zufall wird das nicht sein.