Wir sind am Fuße der Schwäbischen Alb am Ortsausgang von Bad Urach im Landkreis Reutlingen.
Allabendlich träumte ich mich den Bach hinauf. Das Wasser der Elsach fließt nämlich durch die Falkensteiner Höhle, mit einer Länge von etwa fünf Kilometern eine der längsten Höhlen der Schwäbischen Alb.
Seit diesem Frühjahr darf man nur noch mit einer Genehmigung in die Höhle. Ins Höhleninnere zieht es mich nicht - nicht mehr. Der riesige Höhleneingang reicht aus, für einen Ausflug in eine andere Welt. Meine Welt.
Man verlässt die Zivilisation
Eilige kommen mit dem Auto. Von einem unscheinbaren Parkplatz zwischen Bad Urach am Anfang der Grabenstetter Steige geht es los. Es sind nur ein paar wenige Meter, aber die reichen um kein Handynetz mehr zu haben. Man verlässt die Zivilisation.
Als wild und herb wird die Landschaft da am Fuße der Schwäbischen Alb beschrieben. Das stimmt, jahrhundertalte Farne und Mooswände bilden zusammen mit grauen Felskolossen so etwas wie einen archaischen Garten. Werde ich gefragt was Heimat ist, es ist diese über Jahrtausende gewachsene Wildnis, die mir bis heute Struktur gibt.
Unterirdische Gefahr: das Wasser
Ein paar Meter geht es vom Hauptweg noch einmal den Berg hinauf. Wer zum ersten Mal hierher kommt, dem verschlägt es erst einmal die Sprache. Ein riesiges hohes Felsportal steht da. Ein Schutzraum und der Einstieg in eine wilde Höhle. Es gibt keine Führungen, und Touristen sollten im Schutz des Schlundes bleiben, nur erfahrene Höhlenforscher gehen weiter. Regnet es oben auf der Alb, steigt innen im Höhleninneren schnell das Wasser. Meine Bächle Elsach ist in Wirklichkeit unkalkulierbar.
Jetzt im Sommer hat es lange nicht geregnet, nur wenig Wasser kommt aus der Höhle. Wie immer, wenn ich hier bin, setze ich mich auf einen großen Stein, und schließe meine Augen.
Die Elsach plätschert heute unschuldig vor sich hin, irgendwo schreit ein Vogel. Ein paar Meter von meinem Sitzplatz entfernt. Ich denke an früher. Als Kinder haben wir uns oft die ersten Meter in die Höhle hineingewagt, Mutproben waren es, aber nie weiter als bis zum Regentörle. Das Wasser fürchteten wir nicht, wir waren uns der Gefahr gar nicht bewusst.
Es war die Geschichte des Rulamans, die uns magisch anzog und mit der wir alle groß geworden sind. Rulaman lebte in der Steinzeit und gehörte zu den "Aimats", einem Stamm der in den Höhlen der Schwäbischen Alb lebte.
"Die Höhle lag beinahe unten im Tal. Und über ihr erhob sich ein mächtiger, breiter, senkrecht aufsteigender Fels, in dessen Klüften und Spalten Uhus nisteten, die man öfters, sogar am hellen Tag, vorn am Rande ihrer Löcher sitzen sah."
Wo Höhlenbewohner hausten
Der Naturforscher und Schriftstellers David Friedrich Weinland hatte mit seinem 1878 erschienen fiktiven Jugendroman "Rulaman" unsere lebhafte Fantasie zusätzlich beflügelt. "Huhkahöhle", diesen Namen gab er der Falkensteiner Höhle. In dieser wohnte ein Angekko - ein weiser Heiler- zusammen mit Geistern.
"Stets herrschte tiefe Stille drinnen; nur zu bestimmten Zeiten, um Mitternacht, bei Sonnenaufgang, um Mittag und bei Sonnenuntergang, ertönten aus dem Zaubergemach dumpfe Trommelschläge, bald weicher, bald härter [...] Dann sang der Angekko [...] einige Worte, die niemand verstand."
Ungestört die Welt vergessen
Eine Abbildung des Autors findet sich heute direkt am Eingang der Falkensteiner Höhle. Wer dort eine Weile sitzt, kommt auch ohne die Erzählung aus.
Lässt man sich auf den Ort ein, ist man bald am Anfang. Jeden Augenblick könnte ein Bär auch ein Wolf um die Ecke kommen. Fast alle, die dort waren, berichten, sie seien gedanklich zurückgewandert. Der schwere Fels, ein Bollwerk gegen den schnellen Takt der digitalen Echtzeit.
Kein Kiosk, keine Menschenmassen. Nur manchmal kommen Höhlenforscher vorbei, erkennbar an Neoprenanzügen und Rucksäcken. Doch auch sie wirken wie Gestalten aus einer anderen Zeit, ruhig und konzentriert überprüfen sie ihre Ausrüstung, bereit hinein zu steigen in die Herzkammer der Schwäbischen Alb. Sie tauchen durch Siphons, klettern etwa durch die "Reutlinger Halle", passieren die "Wasserfallstrecke", und das oft über zehn Stunden lang.
Ich sitze mit geschlossen Augen davor. Die Sonne geht unter, der Angekko singt. Das riesige Felsdach schützt mich, zu allen Zeiten hat es Menschen Schutz geboten. Bis heute. Und sei es nur um ungestört kurz die Welt zu vergessen.