Archiv


Baden-Württemberg lässt Atomkraftwerke ergebnisoffen prüfen

Die Nuklearunfälle in Japan werfen ihre Schatten auf deutsche Kernkraftwerke: In Baden-Württemberg lässt Umweltministerin Gönner (CDU) ab heute die Notstromversorgung der AKW prüfen.

Tanja Gönner im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Japan hat auf die Kernenergie gesetzt, doch nach dem ungewöhnlich schweren Erdbeben dort mehren sich die Probleme, und zwar in immer mehr Atomkraftwerken. Nicht mehr allein Fukushima ist betroffen. Spätestens jetzt stellt sich die Frage nach den Konsequenzen für die deutsche Atompolitik.
    Jetzt bin ich mit der Umweltministerin von Baden-Württemberg, mit Tanja Gönner (CDU) verbunden. Frau Gönner, guten Morgen.

    Tanja Gönner: Guten Morgen, Herr Herter.

    Herter: Frau Gönner, setzen Sie darauf, dass in Japan schon alles gut gehen wird?

    Gönner: Es geht nicht darum, ob wir darauf setzen. Ich glaube, dass derzeit die Welt mit angehaltenem Atem nach Japan schaut. Wir sind tief betroffen und natürlich stellt sich auch für uns die Frage, wie gehen wir mit dem, was in Japan passiert, um.

    Herter: Sind die japanischen Verhältnisse einfach auf Deutschland übertragbar?

    Gönner: Das ist sicher sehr schwierig heute schon zu beantworten. Klar ist, dass die Informationslage nach wie vor so ist, dass man sich schwer tut. Es gibt Hinweise darauf, dass die Schwierigkeiten, wie wir sie in Japan erleben, eher durch das Wasser mit dem Tsunami aufgekommen ist als durch Erdbeben. Das was wir bisher wissen, aber das ist alles nicht gesichert, deswegen sage ich es sehr vorsichtig, was wir bisher wissen zeigt, dass die Notstromversorgung angesprungen ist nach dem Erdbeben, aber nach dem Tsunami eben ausgefallen ist, und deswegen gilt es jetzt, das sauber zu analysieren und zu sagen, was davon ist übertragbar auf die Kernkraftwerke in Deutschland.

    Herter: Wie lange reichen denn die Notstromaggregate in deutschen Kernkraftwerken und wie lange reichen die Batterien aus, um einen Notbetrieb der Kühlung aufrecht zu halten?

    Gönner: Es wird sich sicher nicht deutlich unterscheiden. In dem Moment, wo tatsächlich die Aggregate ausfallen und sie auf Batterie gehen müssen, wissen wir, dass Batterien endlich sind.

    Herter: Ein bis zwei Stunden, sagen Atomkraftgegner.

    Gönner: Es ist wohl unterschiedlich. Ich bin da nicht in der Lage. Ich sage ganz ehrlich, deswegen schicken wir in Baden-Württemberg ab heute unsere Inspektoren in die Kernkraftwerke, um sich ganz bewusst um das Thema Notstrom-Diesel zu kümmern, um zu fragen, was von dem, was wir bisher aus Japan wissen, ist übertragbar auf Baden-Württemberg. Die entscheidende Frage wird einfach sein, wie reagieren die Notstrom-Diesel, wie viel Redundanzen, also wie viele unterschiedliche Maschinen, haben wir und gibt es auch die Gefahr, wie sie eben in Japan gegeben war, mit dem Wasser, was bedeutet dies für die Anlagen. Und ich glaube, das ist weit mehr, als jetzt über die Länge von Halten von Batterien zu sprechen, weil zum Schluss benötigt ein Reaktor nach der Schnellabschaltung eine lange Zeit von mehreren Tagen, die Batterie, und ich glaube, dann macht es jetzt wenig aus, ob wir uns über ein, zwei Stunden, über acht oder zehn Stunden unterhalten, weil beides wäre zu kurz.

    Herter: Frau Gönner, in dieser Zeit könnte man immerhin eine andere Stromversorgung sicherstellen. Das ist ja der Sinn dieser Batterien, wenn ich das richtig verstehe.

    Gönner: Ja, das ist richtig, genau darum geht es, und wir sehen in Japan natürlich, wie, mit welch unglaublicher Wucht das Erdbeben und auch der Tsunami die komplette Infrastruktur des Landes zerstört hat. Nach uns vorliegenden Informationen – wie gesagt, gesichert ist ausgesprochen schwierig – ist es so, dass an den übrigen Standorten die externe Stromversorgung sichergestellt werden konnte, aber gerade an dem Standort, auf den wir am meisten schauen, genau dies nicht gelungen ist, was wohl sehr stark mit der Zerstörung durch das Erdbeben zu tun hat.

    Herter: Also eine Überprüfung der Zustände in deutschen Atomkraftwerken. Ist die nötig? Haben wir uns sicherer gefühlt, als wir es tatsächlich waren?

    Gönner: Ich bin dort heute noch nicht in der Lage, das abschließend zu beurteilen. Ich sage, dass wir in Baden-Württemberg auch nach der Ankündigung der Kanzlerin, die sagte, man macht eine Überprüfung aller Kernkraftwerke - Wir haben in Baden-Württemberg entschieden, dass unsere Inspekteure ab heute in die Anlagen in Baden-Württemberg gehen und sich ausschließlich um die Frage der Notstromversorgung kümmern, um die Frage der Batterie, um die Frage, was passiert in welchem Moment, wie kann das sichergestellt werden. Und wir haben eine Expertenkommission einberufen mit bekannten und hochrangigen Experten im kerntechnischen Bereich, die genau dies unabhängig begleiten sollen, um eben zu schauen, wo kann man das, was in Japan passiert ist, dann auch auf Baden-Württemberg anwenden, und ich glaube, das ist jetzt der richtige Weg.

    Herter: Ist das ergebnisoffen? Heißt das, wenn die Experten zum Schluss kommen "abschalten", dann schalten Sie ab?

    Gönner: Ich würde keine Experten einsetzen, wenn ich anschließend nicht bereit wäre, auch über deren Ergebnisse mit ihnen zu diskutieren. Wenn ich zu ihnen sagen würde, egal was ihr mitbringt, das interessiert uns nicht, glaube ich, würden diese Experten dann auch sagen, dann sind wir nicht bereit, dies zu tun. Wir sind dort ergebnisoffen und klar ist, wenn die Sicherheit nicht gewährleistet ist, wird es auch eine Abschaltung geben.

    Herter: Auch vor der Landtagswahl?

    Gönner: Ja, natürlich, wenn wir das bis dahin alles vollumfänglich sehen. Ich glaube nur, man muss da auch wissen, dass hier eine Vielzahl von Fragen abgeklärt werden muss. Aber wenn das Ergebnis so ist, wird auch abgeschaltet.

    Herter: Wie beurteilen Sie die Erdbebengefahr, zum Beispiel am Standort Philippsburg, ein Siedewasser-Reaktor?

    Gönner: Wir haben ja bisher schon, als Grundlage auch von Betriebsgenehmigungen wurde die Frage Erdbeben mitgeprüft, ansonsten hätte eine Genehmigung nicht erteilt werden dürfen. Wir haben Neckarwestheim in der Erdbebenzone 0, wir haben Philippsburg in der Erdbebenzone 1 von insgesamt drei Erdbebenzonen in Baden-Württemberg.

    Herter: Also in der Nähe des Rheingrabens liegt Philippsburg. Das muss man festhalten.

    Gönner: Genau, genau, genau. Wie gesagt, über den Rheingraben gibt es Regionen in Baden-Württemberg, wobei nicht nur den Rheingraben, wo wir bis zur Erdbebenzone 3 gehen. Es ist eine Auslegung auf Erdbeben vorhanden, aber genau das ist jetzt die Aufgabe auch dieser Expertenkommission zu prüfen, reicht diese Auslegung, die im Übrigen bisher nach den kerntechnischen Regeln in Deutschland gemacht worden sind, reicht diese Auslegung ja oder nein, reicht sie nicht. Wenn sie nicht reicht, gibt es Möglichkeiten von Nachrüstungen. Wenn keine Möglichkeit zur Nachrüstung gegeben ist, wird uns dann empfohlen, abzuschalten.

    Herter: Sehr schwierig wäre eine Nachrüstung für den Fall von Flugzeugabstürzen oder Anschlägen, und da spricht man bisher von einem Restrisiko, das nicht eintreten wird. Können wir immer noch davon ausgehen?

    Gönner: Das ist natürlich ausgesprochen schwierig, zu sagen. Klar ist, dass sie immer eine Abwägung von entsprechenden Risiken machen müssen. Wir haben jetzt zum Beispiel in Philippsburg bereits eine Vernebelungsanlage installiert, um den Anflug eines Flugzeugs dann auch deutlich zu erschweren. Es ist so, dass natürlich auch da der Auslegung bestimmte Grundlagen zugrunde gelegt worden sind. Aber natürlich werden sie dies nicht vollumfänglich bis zum Schluss ausschließen können.

    Herter: In Neckarwestheim gibt es noch keine solche Anlage?

    Gönner: Diese befindet sich in Neckarwestheim 1 derzeit in der Genehmigung, und sobald die Genehmigung fertig ist, soll sie auch erteilt werden, wobei hier natürlich die besondere Lage von Neckarwestheim zu betrachten ist. Ich glaube allerdings, dass das Entscheidende die Frage ist, wie gelingt es uns jetzt in einem ersten Schritt, genau die Themen herunterzubekommen, wie es denn in Japan war, das Erdbeben, die Frage, welche Reaktion bringen unsere Notstrom-Diesel, und dann diese Diskussion zu führen.

    Herter: Noch mal ganz kurz, Frau Gönner. Restrisiko, müssen wir diesen Begriff neu definieren und neu damit umgehen?

    Gönner: Das ist ausgesprochen schwierig zu fragen, ob wir Restrisiko neu definieren müssen. Wir wissen, es wird immer ein gewisses Restrisiko sein. Für uns war immer die Frage, wie gelingt es uns, Sicherheit zu gewährleisten, was sind die Annahmen, die wir treffen müssen, damit Sicherheit so ausgelegt werden kann, und dann ist es eine Abwägung, wie insgesamt die Stromversorgung in Deutschland gewährleistet ist. Klar ist, wir wollen alle so rasch als möglich zu erneuerbaren Energien, aber klar ist die Frage, dass wir das Thema der Brücke haben und die Frage sich stellt, wie lange ist diese Brücke.

    Herter: Das war die Umweltministerin von Baden-Württemberg, Tanja Gönner (CDU), im Deutschlandfunk. Frau Gönner, vielen Dank.