Tobias Armbrüster: Es sind Zahlen, die viele Leute aufschrecken lassen: Immer mehr Bäcker- und Fleischereibetriebe in Deutschland machen dicht. Innerhalb von zehn Jahren hat ein Drittel dieser Unternehmen aufgegeben, darunter viele kleine Betriebe, die oft über Jahrzehnte geführt und von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Ein gewaltiger Umbruch also im deutschen Lebensmittelhandwerk.
Wir können darüber sprechen mit einer Frau, die das wahrscheinlich jeden Tag mitverfolgt, am Telefon ist Alexandra Dienst, sie ist die Geschäftsführerin der Bäcker-Innung Köln. Schönen guten Morgen, Frau Dienst!
Alexandra Dienst: Guten Morgen, Herr Armbrüster!
Armbrüster: Frau Dienst, wie viele Bäckereien haben Sie in den letzten Jahren sterben sehen?
Dienst: Über 400.
Armbrüster: Und woran liegt das? Warum mussten die alle dichtmachen?
Dienst: Das hat ganz viele Gründe. Zum einen, es sind eventuell keine Nachfolger vorhanden, oder die Bäckereien befanden sich in Lagen, die einfach nicht mehr von Käufern besucht werden, es waren bauliche Mängel vorhanden.
Ein ganz schlimmer Einbruch war, als etwa vor 20 Jahren die Discounter aufkamen, die den Bäckereien ganz massiv Umsätze weggenommen haben. Die produzieren ihre Backwaren in China, Litauen und ähnlichen Ländern, die werden dort eingefroren, hier aufgetaut in unseren Regionen, und dort für ein unvergleichbar kleines Geld verkauft. Und das hat gut und gern fast die Hälfte des Umsatzes weggebrochen.
"Die Vielfalt ist bei den Discountern nicht gewährleistet"
Armbrüster: Da haben Sie jetzt gleich mehrere Punkte genannt, Frau Dienst, über die wir etwas genauer sprechen müssen. Das mit den Discountern, mit dem Einfluss der Discounter, da würde ich gern zuerst mal drauf eingehen.
Was heißt das denn für die Qualität von dem Brot, was dann jetzt auf deutschen Tellern landet? Ist es noch genauso gut wie das, was von einem kleinen, jahrzehntelang geführten Bäckereibetrieb gekommen ist?
Dienst: Auf gar keinen Fall. Erst mal: Die ganz strengen Lebensmittelvorschriften, die in Deutschland und Europa gelten, die gelten in diesen Ländern zum Teil nicht, die auch teilweise unter fragwürdigen hygienischen Bedingungen hergestellt werden. Es ist in jedem Fall ein sehr eingeschränktes Sortiment, Getreidearten wie Dinkel oder so sind dort kaum verfügbar. Also diese Vielfalt, worauf die Deutschen so stolz sind und was auch ein Kulturgut in Deutschland ist, ist auf keinen Fall gewährleistet.
Armbrüster: Und wie funktioniert das genau? Das Brot wird in China, sagen Sie, hergestellt und dann wie genau nach Deutschland gebracht?
Dienst: Dann wird es eingefroren, wird über unsagbar weite Wege nach Deutschland gebracht und dann nach Bedarf von leider oft Unkundigen in diesen Discountläden aufgebacken.
"Leider gilt immer noch die Devise, Geiz ist geil"
Armbrüster: Was genau sagen die Kunden dazu? Sind die damit zufrieden?
Dienst: Leider gilt immer noch Devise, Geiz ist geil, und wenn ich nur 14 Cent für ein Brötchen ausgeben muss, auf das Risiko, dass es vielleicht innen noch einen gefrorenen Kern hat, ist das wichtiger, als dass ich 30 Cent bei einem handwerklichen Bäcker bezahle.
Armbrüster: Können denn die deutschen Bäcker, die Bäckereibetriebe, vor allen Dingen die kleineren Betriebe, können die dagegen irgendetwas ausrichten?
Dienst: Sie versuchen es jeden Tag mit Qualität. Aber ich bin immer wieder erschrocken, wenn ich angesprochen werde bei Veranstaltungen, wo man dann erfährt, welchen Beruf ich habe, und dann werde ich gefragt: Gibt es noch Bäckereien, die selber backen?
Ja, alle deutschen Bäcker backen selber, auch, wenn sie etwas größer sind, auch, wenn sie Filialen betreiben. Ja, sie backen jeden Tag selber, jeden Morgen stehen um zwei Uhr eine große Gruppe Bäcker und produzieren Roggenbrot und Brötchen und Kuchen und Teilchen. Und es ist einfach so, ein Brötchen hält sich vier Stunden, das ist kein Produkt, was man für Tage herstellen kann.
Armbrüster: Frau Dienst, jetzt haben Sie auch schon gesagt, der Mangel an Fachkräften ist ein Thema, …
Dienst: Ja.
"Alle predigen Entlastung von Bürokratie, tatsächlich nimmt sie täglich zu"
Armbrüster: … vor allen Dingen der Mangel an Bäckern, die dann solche Bäckereibetriebe irgendwann übernehmen könnten, wenn der Chef oder der vormalige Besitzer in Ruhestand geht. Warum finden die Bäckereibetriebe keinen Nachwuchs?
Dienst: Das hat in erster Linie zwei Gründe. Zum einen bedeutet Bäckerei Sieben-Tage-Woche. Ich hatte also vor zwei Jahren einen jungen, sehr erfolgreichen Bäcker, wirklich tolle Qualität, tolle Umsätze, dem ist von seiner Frau die Pistole auf die Brust gesetzt worden: Du kannst jetzt entscheiden, entweder die Bäckerei oder ich, ich mache es nicht mehr mit, dass du sieben Tage in der Woche in der Bäckerei bist, wir haben gar nichts voneinander.
Er hat sich leider, nein, er hat sich verständlicherweise für die Frau entschieden. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist aber auch die überbordende Bürokratie, mit denen die handwerklichen Betriebe, insbesondere die Bäckerei, so überrollt werden. Alle predigen Entlastung von Bürokratie, tatsächlich nimmt sie täglich zu.
Und Bäcker, das liegt einfach in ihrer Natur, sie schreiben nicht gerne und sie lesen nicht gerne, und wenn die dann seitenlange Dokumentationen ausfüllen müssen über die Struktur ihrer Abfälle, über die Datenschutzgrundverordnung und ähnliche Dinge, dann haben Bäcker einfach keine Lust mehr. Die sagen, ich will Brot backen und ich will nicht Papier ausfüllen.
Armbrüster: Da könnte man jetzt sagen, Frau Dienst, Bäckerei, Bäcker ist ein schwieriger Beruf, ein anstrengender Beruf, Sie haben es erklärt, auch ein bürokratisch aufwendiger Beruf. Was ist dann so falsch daran, wenn wir das einfach outsourcen, auslagern in andere Länder und dann eben unser Brot nicht mehr im Bäckerladen um die Ecke kaufen, sondern eben im Discounter?
Dienst: Oh, ich denke einfach, wenn Sie deutsche Touristen befragen am Flughafen, was haben Sie im Urlaub am meisten vermisst, dann kriegen Sie ganz oft die Antwort: unser deutsches Brot.
So. Wenn wir das auslagern - die Kultur des deutschen Brotes und der deutschen Backwaren, die lassen sich Gott sei Dank nicht so ohne Weiteres exportieren oder dann reimportieren.
Armbrüster: Und was macht das alles mit den deutschen Innenstädten?
Dienst: Ja, gut, die Innenstädte, da muss man differenzieren. In den Innenstädten gibt es ein unglaublich großes Brot- oder Gebäck-, Bäckereiangebot, mehr als früher, aber es sind halt keine handwerklichen Bäckereien mehr. Allein schon deshalb, weil … ja, um die ganzen Auflagen in den Innenstädten zu erfüllen, mit Geruch und Geräusch, werden die ja an den Stadtrand gedrängt, diese Betriebe.
"Die Deutschen lieben Bäckereien, und das wird mehr ins Bewusstsein gerückt"
Armbrüster: Und was würden Sie denn sagen, was steht uns da in den kommenden Jahren sozusagen bevor? Geht die Zahl weiter zurück? Werden wir irgendwann die letzte kleine Bäckerei in Köln haben, die dann vielleicht auch noch dichtmacht, die letzte kleine Bäckerei in Berlin, in Stuttgart, in München, in Hamburg?
Dienst: Nein, da bin ich optimistisch. Ich beobachte im Moment, dass junge Leute sich Nischen heraussuchen. Wir haben zum Beispiel eine Bäckerei in Bonn, der backt ausschließlich täglich zehn Sorten Brot und sonst überhaupt nichts, mit einem Riesenerfolg.
Wir haben einen jungen Bäckermeister hier in Köln, der backt ausschließlich glutenfreie Backwaren, mit einem unglaublichen Erfolg. Die backen das mit Begeisterung, die Kunden merken das und nehmen das dankbar an.
Wir haben in der Kölner Innenstadt eine Bäckerei, die sich darauf spezialisiert hat, ihr tolles Schwarzbrot täglich zu produzieren, mit großem Erfolg. Ich denke einfach, die Deutschen lieben Bäckereien, und das wird mehr ins Bewusstsein gerückt. Ich bin optimistisch.
Armbrüster: Dann, Frau Dienst, ganz zum Schluss vielleicht noch die Frage für den unkundigen Brotesser: Welches Brot, welches Brötchen würden Sie mir heute Morgen noch empfehlen, vielleicht ohne einen Markennamen zu nennen?
Dienst: Hier in Köln das Oberländer Brot, das ist ein Roggenmischbrot, das ist das Lieblingsbrot und ganz lecker.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.